# taz.de -- Uigurisches Restaurant in München: Eine Wüste, in der niemand hun… | |
> Die Uiguren sagen, sie haben die Pasta erfunden. Ihre Küche vereint ost- | |
> und zentralasiatische Einflüsse. Zu Besuch im „Taklamakan“ in München | |
Bild: Die Kunst der uigurischen Nudelzubereitung: hier auf einem Markt in der X… | |
Der erste Gang, den das Leben Rinat Rahim serviert, heißt „Verfolgung und | |
Flucht“. 1997 fliehen ihre Eltern mit ihr vor der Unterdrückung durch die | |
chinesische Regierung aus der Provinz Xinjiang nach Deutschland. Ihr Vater | |
war in der alten Heimat Sportdozent und Eisschnellläufer, ihre Mutter | |
machte eine Ausbildung zur Elektrikerin. Rahim ist noch ein kleines Mädchen | |
von acht Jahren, als die Familie in der Flüchtlingsunterkunft in Neuburg an | |
der Donau ankommt. Was ihre Eltern mitbringen, ist nicht viel, und trotzdem | |
haben sie ein großes Geschenk für die Deutschen dabei: die uigurische | |
Küche. | |
Dass Rahims Familie bald in München landet, ist kein Zufall. Zu Zeiten des | |
Kalten Kriegs sendete von hier aus der antikommunistische Sender Radio | |
Liberty, in dem auch uigurische Intellektuelle ihre Stimme erhoben, und so | |
wurde München zum Anziehungsort für uigurische Exilanten. Von den knapp | |
1.500 [1][uigurischstämmigen Menschen] in Deutschland leben rund 700 hier, | |
heißt es. | |
Wie so viele Migranten machen sich auch Rinat Rahims Eltern in der | |
Gastronomie selbstständig und eröffnen 2006 einen Schnellimbiss im Münchner | |
Bahnhofsviertel. „Taklamakan“, benannt nach der zweitgrößten Sandwüste d… | |
Welt, die im Westen von Xinjiang liegt und deren Oasen mit ihren | |
Obstplantagen in der uigurischen Kultur von großer Bedeutung sind. | |
„Durch unsere Küche sollte die Welt mehr über die Uiguren erfahren. Das war | |
das Ziel meiner Eltern“, sagt Rinat Rahim, und dafür bedienten sie sich | |
eines Tricks. Um im multikulturellen Bahnhofsviertel viele Kunden in ihren | |
Laden zu locken, boten sie türkische Kebabgerichte an. Damit konnte jeder | |
etwas anfangen. Und letztlich haben Kebabgerichte mit Lammfleisch, oder | |
auch der Trinkjogurt Ayran, ihren Ursprung ja auch in der Lebensweise der | |
alten Turkvölker der Steppen Zentralasiens, zu denen auch die Uiguren | |
zählen und für die die Verarbeitung tierischer Produkte unerlässlich ist. | |
## Meterlange Nudeln als Nationalgericht | |
Nach und nach lernten die Gäste dann auch andere traditionelle Gerichte der | |
Uiguren kennen. Denn neben dem Dönerspieß wurden seit jeher die meterlangen | |
Nudeln, die Läghmen, gezogen. Eine Art Nationalgericht. Die Uiguren selbst | |
sehen sich als die eigentlichen Erfinder der Pasta. Marco Polo soll ihre | |
Rezepte über die Seidenstraße nach Europa gebracht haben. Die Chinesen | |
können es auf jeden Fall nicht gewesen sein, die hätten Reis angebaut, | |
während die Uiguren Getreide von ihren Feldern trugen, so das Argument. | |
Als ihre Eltern ihren Imbiss 2019 wegen Bauarbeiten am Bahnhof schließen | |
müssen, eröffnet Rinat Rahim mit ihrem Mann Stefan Woellke das „Taklamakan�… | |
am Münchner Isartor neu, dieses Mal als richtiges Restaurant, eines von nur | |
sehr wenigen uigurischen hierzulande. Und man kann sagen, der Gang, den das | |
Leben Rinat Rahim in den letzten Jahren serviert hat, ist „Erfolg“: Das | |
Taklamakan kommt gut durch die Pandemie. Und inzwischen gebe es kaum einen | |
Abend, an dem es nicht gefüllt sei, erzählt sie. | |
Serviert werden den Gästen zum Beispiel die hausgemachten Tügrä: gekochte | |
Teigtaschen, mit Lamm- und Rinderhack gefüllt. Sie werden mit einer | |
Rotweinessig-Sojasauce gereicht, das Hackfleisch ist würzig und hat eine | |
feine Textur. Oder Terhemek, ein traditionell zubereiteter Gurkensalat. Die | |
gekühlten, grob geviertelten Gurkenstücke werden mariniert in Sesamöl, | |
Sojasauce, Frühlingszwiebeln, Koriander und fein gehacktem rohen Knoblauch. | |
Sie sind knackig und frisch, und während das Sesamöl für einen Tick Süße | |
sorgt, bringen Knoblauch und Koriander Schärfe auf die Zunge. | |
## Eine Prise Kreuzkümmel trifft auf Sojasauce | |
Von den türkischen Speisen aus Imbisszeiten hat sich Rinat Rahim in ihrem | |
Restaurant verabschiedet. Dass beide Kulturen verwandt sind, schmeckt man | |
hier kaum. Die ostasiatischen Einflüsse im Taklamakan hingegen sind augen-, | |
oder besser gaumenscheinlich: Eine Prise Kreuzkümmel trifft auf Sojasauce. | |
„Viele Gewürze verwenden wir gar nicht“, sagt Rahim. Die meisten | |
Hauptgerichte werden à la minute mit Chiliöl und Sojasauce angebraten. | |
So auch die Läghmen. Die Weizennudeln werden mit grünen und roten | |
Paprikawürfeln und Rindfleischstreifen im Wok geschwenkt, und obwohl sie | |
weicher sind als italienisch al dente gekochte Pasta, haben sie eine schöne | |
Bissfestigkeit. Allein für diese einzigartigen Nudeln lohnt ein Besuch. | |
Die Kunst ihrer Zubereitung beherrscht Rinat Rahims Mutter, die im | |
Taklamakan die Küchenchefin ist. Der Teig aus Mehl, Wasser und Salz wird | |
zwischen allen Fingern zu meterlangen Schnüren gezogen, durch die Luft | |
geschleudert und immer wieder auf die Arbeitsfläche geschlagen. Wie | |
schwierig das ist, merkte 2016 auch Drei-Sterne-Koch Juan Amador, der für | |
die Fernsehsendung „Kitchen Impossible“ im Imbiss der Rahims zu Besuch war. | |
„Der hat das in vier Stunden nicht hinbekommen und wollte hinschmeißen, bis | |
die Mama ihm einen Tipp geben durfte“, erinnert sich Rinat Rahim. | |
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie vom Fernsehauftritt ihrer | |
Mutter erzählt. Seitdem kämen nicht nur Gäste aus München, sondern aus ganz | |
Deutschland, erzählt sie stolz. Sie kann sich auch vorstellen zu | |
expandieren: „Aber die Mama kann man leider nicht klonen.“ | |
## Auch die Leute vom chinesischen Konsulat essen hier | |
Ein uigurisches Sprichwort lautet: „Alle Welt liebt chinesisches Essen und | |
alle Chinesen lieben uigurisches Essen.“ Und tatsächlich, auch Mitarbeiter | |
des chinesischen Konsulats besuchen das Taklamakan, erzählt Rahim. Sie | |
steigen aus schwarzen SUVs, betreten das Restaurant, bestellen Essen, das | |
eine vor ihrem Regime Geflüchtete zubereitet. Gastfreundschaft erfahren | |
auch sie. „Wir diskriminieren niemand. Das passt einfach nicht zu uns.“ | |
Die Situation in der Heimat ihrer Eltern berührt Rinat Rahim. In den | |
letzten Jahren haben die Repressionen und die Menschenverachtung einen | |
neuen Höhepunkt erreicht. [2][Die UN schätzt], dass das chinesische Regime | |
mehr als eine Million [3][Uiguren in Umerziehungslagern inhaftiert], dort | |
zu Arbeit zwingt – und zur Aufgabe ihrer Lebensweise, ihrer Sprache, ihrer | |
Kultur. Es ist ein Genozid. | |
Ihre Großmutter sah Rahim das letzte Mal als Kind. Kontakthalten sei | |
schwierig, zu groß sei die Angst, ihre Familie in Gefahr zu bringen. Und | |
trotz ihrer deutschen Papiere hat sie Bedenken vor einer Reise nach China. | |
Die chinesischen Behörden könnten einreisenden Uiguren aus Deutschland | |
Drogen ins Gepäck schmuggeln, fürchtet man in der Exilgemeinschaft. | |
## Der Geschmack von Hoffnung | |
Trotzdem heißt der letzte Gang, der in diesem Text serviert werden soll, | |
„Hoffnung“. Rahims Familie kommt aus der Stadt Ürümqi, wo bei einem Brand | |
im November 2022 mehrere Menschen starben, darunter auch Kinder. Am Tod | |
dieser Menschen soll auch die rigorose Quarantänepolitik der chinesischen | |
Regierung schuld sein. Das Feuer entfachte [4][in China die größten | |
Proteste gegen das Regime] seit Langem. „Die Chinesen haben nicht nur für | |
ihre Rechte demonstriert, sondern auch für unsere“, sagt Rahim. Das sei | |
eine neue Erfahrung für sie gewesen. Eine, die Hoffnung macht. | |
Die Proteste sind erloschen, aber das Gefühl, dass Veränderungen möglich | |
sind, bleibt. Irgendwann wolle sie einen langen Urlaub in Xinjiang machen. | |
Mit der ganzen Familie. | |
Und der letzte Gang im Taklamakan? Ein fluffiger Mohnpudding mit Mandeln, | |
garniert mit Heidelbeeren und weißer Schokolade. „Die Basis ist Mascarpone. | |
Wenn die Italiener unsere Nudeln klauen, können wir uns ja auch in ihrer | |
Küche bedienen“, sagt Rahim und lacht. | |
Ein Sprichwort besagt, wer die Taklamakanwüste betrete, finde nie mehr | |
heraus. Würde das auch auf das Restaurant zutreffen, wäre das gar nicht so | |
schlimm. | |
27 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Uiguren/!t5019184 | |
[2] https://www.rnd.de/politik/uiguren-in-china-mehr-als-eine-million-menschen-… | |
[3] /UN-Bericht-zur-Lage-der-Uiguren/!5878712 | |
[4] /Neue-Protestbewegung-in-China/!5897233 | |
## AUTOREN | |
Jannis Holl | |
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