# taz.de -- Schulbau in Berlin: Wenig in Gemeinschaft investiert | |
> Die Gemeinschaftsschule ist ein viel gelobtes Projekt. Doch der Ausbau | |
> stockt. Kaum ein Bauprojekt ist finanziert, zeigt eine Linken-Anfrage. | |
Bild: Blick in eine der bekannteren Gemeinschaftsschulen Berlin: Der Rütli-Cam… | |
BERLIN taz | Die Gemeinschaftsschule ist ein viel gelobtes Projekt in der | |
rot-grün-roten Koalition. Wie auch schon die Vorgängerregierung möchte man | |
diese Schulform, bei der alle Kinder von der ersten Klasse bis bestenfalls | |
zum Abitur gemeinsam lernen, gerne ausbauen. So ist es im Koalitionsvertrag | |
festgehalten. Nicht ohne Grund: Wissenschaftliche Begleitstudien zeigen, | |
dass benachteiligte Kinder hier am besten lernen. [1][Chancengerechtigkeit | |
ist ein Thema], mit dem sich gerade die SPD, die seit vielen Jahren das | |
Bildungsressort verantwortet, gerne schmückt. Doch trotz aller politischen | |
Willensbekundungen entstehen kaum neue Gemeinschaftsschulen in Berlin, wie | |
jetzt eine noch unveröffentlichte Linken-Anfrage an die Bildungsverwaltung | |
zeigt. | |
Erst 2026, wenn der Baubeginn denn pünktlich erfolgt, soll die nächste neue | |
Gemeinschaftsschule fertig sein: Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft | |
Howoge sitzt derzeit an den Vorplanungen für rund 1.300 Schulplätze in | |
Adlershof. Zwar sind laut Senatsverwaltung insgesamt 12 Neubauvorhaben und | |
acht Fusionierungen von Grund- und Sekundarschulen zu Gemeinschaftsschulen | |
geplant, was rund 16.300 Schulplätze entspräche. Doch nur fünf dieser | |
Maßnahmen sind überhaupt mit einem Budget i[2][n der Investitionsplanung | |
bis 2026] versehen. Das bedeutet, dass sich bei 15 Bauvorhaben noch viele | |
Jahre lang kein einziger Baukran drehen wird. | |
Rund 26 Gemeinschaftsschulen gibt es bisher in Berlin, seit Jahren | |
stagniert diese Zahl. „Wir treten bei der Gemeinschaftsschule auf der | |
Stelle“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Franziska | |
Brychy. Sie vermisst auch ein ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbartes | |
Förderkonzept seitens der Bildungsverwaltung. Vor allem aber sollen die | |
Bezirke aus ihrer Sicht begründen müssen, wenn sie statt | |
Gemeinschaftsschulen lieber Grundschulen und Oberschulen separat neu bauen. | |
Aus Sicht der Bezirke geschieht das häufig aus Platz- und Kostengründen. | |
Grundschulen sind kleiner, die Klassenstärken sind geringer. Regina | |
Kittler, bildungspolitische Sprecherin der Linken in Marzahn-Hellersdorf, | |
sagte deshalb am Montagabend auf einer Diskussionsveranstaltung zur | |
Gemeinschaftsschule an die Adresse ihrer Kolleg*innen auf Landesebene: | |
„Wir brauchen zwei verschiedene Standard-Typenbauten für | |
Gemeinschaftsschulen, eine davon auch für Flächen, wo es nicht viel Platz | |
gibt. Dafür müsst ihr euch im Abgeordnetenhaus einsetzen.“ | |
## Lieber gleich aufs Gymnasium | |
Kittler kritisierte außerdem, dass es in ihrem Bezirk keine einzige | |
Gemeinschaftsschule gebe, bei der man auch das Abitur machen kann. Nach der | |
10. Klasse ist Schluss. „Da sagen viele Eltern nach der 6. Klasse in der | |
Grundstufe, dann schicke ich mein Kind doch lieber gleich aufs Gymnasium.“ | |
Es brauche ein verbindliches Förderkonzept für die Gemeinschaftsschule vom | |
Senat, das auch Oberstufen vorschreibt – und dafür müsste es endlich einen | |
Ansprechpartner in der Bildungsverwaltung geben. Die Stelle für | |
Gemeinschaftsschulen ist vakant. | |
Bei vielen Gemeinschaftsschulen sind zudem Grundschulteil und | |
weiterführende Schule räumlich getrennt. „Es fehlen Campuslösungen“, sagt | |
deshalb auch Jana Oestreich, Gesamtelternvertreterin an der | |
Sophie-Brahe-Gemeinschaftsschule in Treptow-Köpenick und Mitglied im | |
Berliner Elternnetzwerk Gemeinschaftsschule. Rund zwei Drittel der Kinder, | |
schätzt sie, gingen nach der Grundschule woanders hin. „Da fehlt der | |
Klebeeffekt, die Gemeinschaft ist nicht greifbar.“ Aus Elternsicht, sagt | |
Oestreich, sei unter Rot-Grün-Rot „nicht viel passiert“ in Sachen | |
Gemeinschaftsschule. | |
Das findet – aus Schulleiter-Perspektive – auch Robert Giese. Der | |
Schulleiter der Neuköllner Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule und | |
Vorsitzender des Berliner Verbands für Schulen des gemeinsamen Lernens, | |
sagt: „Das ist vielleicht eine 4, was der Senat da bisher geschafft hat. Es | |
ist nicht erkennbar, wie es weitergehen soll.“ | |
Giese sagt, an den Gemeinschaftsschulen lernten „doppelt so viele | |
Migranten, dreimal so viele arme Kinder, zehnmal so viele mit Förderbedarf“ | |
wie an anderen Schulformen. Das seien große Herausforderungen, auch für die | |
Lehrkräfte. Zugleich habe die Begleitstudie bei der Einführung der | |
Gemeinschaftsschule vor einigen Jahren in Berlin gezeigt, dass sich hier | |
Herkunft und Bildungserfolg am besten entkoppelten. „Die | |
Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule hatte vor kurzem berlinweit den | |
besten Abiturschnitt aller Schulen“, sagt Giese. | |
Trotz der Herausforderungen an die Schulform ist die Personalausstattung | |
oft schlecht. In Marzahn-Hellersdorf liege sie bei „70 bis 90 Prozent“, | |
weiß Kittler. An der Macana-Gemeinschaftsschule, wo auch die Schulleitung | |
vakant ist, seien nur 76 Prozent der Lehrerstellen besetzt. Nur 34 Prozent | |
hätten eine abgeschlossene Lehramtsausbildung. Am besten gehe es der | |
Gretel-Bergmann-Gemeinschaftsschule mit 91 Prozent Personalausstattung – | |
und immerhin 63 Prozent voll ausgebildeter Lehrkräfte. Kittler resümiert: | |
„Ich habe den Eindruck, die Gemeinschaftsschule ist nicht gewollt.“ | |
7 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ampelplaene-fuer-Bildungsgerechtigkeit/!5895419 | |
[2] /40-Millionen-fuer-Pankower-Gymnasium/!5894600 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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Sandra Scheeres | |
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