| # taz.de -- Queere Selbstsuche auf der Berlinale: Mal im Geheimen, mal in Freih… | |
| > Queere Selbstsuche in konträren Realitäten: „All the Colours of the World | |
| > Are Between Black and White“ aus Nigeria und der Berlin-Film „Drifter“. | |
| Bild: In Nigeria wird Homosexualität bestraft. Martha Orhiere in „All the Co… | |
| Die Panorama-Sektion der Berlinale steht seit jeher für Queerness. Dennoch | |
| sind Filme mit deutlichem LGBT-Bezug dort in diesem Jahr besonders stark | |
| vertreten. Mit 16 von 35 Titeln stellen sie fast die Hälfte des Programms. | |
| Mehr noch: Die Filme nehmen noch vielfältigere Perspektiven ein, als sie es | |
| zumindest zuletzt in den coronagebeutelten Jahren taten. | |
| Dass die Sektion zugleich das zarte Liebesdrama „All the Colours of the | |
| World Are Between Black and White“ aus Nigeria und „Drifter“, einen bewus… | |
| schaugierigen Film über den ungezügelten Hedonismus der queeren Szene in | |
| Berlin, beherbergt, bringt das am Klarsten zum Ausdruck. Beide ergründen | |
| den inneren Aufruhr, erzählen vom Hadern und letztlich auch vom Glück, das | |
| die Suche nach dem Selbst mit sich bringt. | |
| Doch könnte dieser Prozess bei ihnen nicht unterschiedlicher sein. Das hat | |
| mit der Umgebung zu tun, in der Bambino (Tope Tedela) und Moritz (Lorenz | |
| Hochhuth) ihre Identität ausloten, und mit ihrem jeweils ganz anderen | |
| schwulen Selbstverständnis. Konträr sind auch die Inszenierungen, ungleich | |
| die Bildwelten und Stimmungen. | |
| ## Die Isolation wird tonlos fassbar | |
| Der mittlerweile in Großbritannien beheimatete Regisseur Babatunde Apalowo | |
| richtet den Blick in „All the Colours“ in statischen Einstellungen meist | |
| auf seinen Protagonisten. Gerade zu Beginn ist es einzig Bambino, den die | |
| Kamera einfängt. Seine Gesprächspartner verschwinden hinter Türen, Mauern | |
| oder sind erst gar nicht im Bildfeld. | |
| Die Isolation, die das Abschirmen von Facetten seines Selbst mit sich | |
| bringt, wird tonlos fassbar. Das meiste in Apalowos Langfilmdebüt spielt | |
| sich ohne viele Worte ab. Beinahe stumm nähert sich Bawa (Riyo David) | |
| Bambino an, den er nur durch die Linse einer Kamera richtig anzusehen wagt. | |
| Bawa jobbt in einem Wettbüro und schießt nebenbei Passfotos. Anders als | |
| Bambino hat er sich seine Homosexualität zumindest vor sich selbst | |
| eingestanden. | |
| [1][Viel mehr ist in der nigerianischen Heimat der beiden Männer, die | |
| homosexuelle Handlungen unter Strafe stellt, auch nicht möglich.] Bis zu 14 | |
| Jahren Haft werden verhängt. In einigen Bundesstaaten, die die Scharia | |
| anwenden, kann sogar eine Hinrichtung durch Steinigung drohen. So lavieren | |
| sie langsam umeinander, tasten über vorsichtige Blicke und zufällig | |
| wirkende Berührungen ab, was der andere fühlt und denkt. | |
| Unter dem Vorwand, dass Bambino als Lieferant die Gegend am besten kenne | |
| und Bawa beim Finden von interessanten Fotomotiven helfen könnte, | |
| unternehmen sie gemeinsame Ausflüge in die Natur. Sie wird zum | |
| Zufluchtsort, abseits der gefahrvollen räumlichen Enge in der | |
| 14-Millionen-Einwohner-Stadt Lagos. | |
| ## Das freisinnige Berlin und seine sexpositive Partyszene | |
| Ganz anders verhält es sich in „Drifter“, wo das freisinnige Berlin und | |
| seine sexpositive Partyszene für Moritz zum Katalysator seiner Selbstsuche | |
| werden. Eigentlich ist er für seinen Freund Jonas (Gustav Schmidt) aus der | |
| Provinz hergezogen. Doch wie das mit der bereits zum Klischee gewordenen | |
| Unverbindlichkeit der Hauptstadt so ist, möchte Jonas der Enge einer | |
| Beziehung unmittelbar wieder entfliehen. | |
| Um nicht in Einsamkeit zu verfallen, taucht Moritz in das ein, was ihm sein | |
| Ex-Freund von der Metropole zeigte und er zunächst mit einer gewissen | |
| Vorsicht beobachtete: tagelange Raves und Techno-Clubs, Drogentrips und | |
| schnelle sexuelle Begegnungen. Hannes Hirsch beleuchtet den Exzess, den | |
| schwules Leben in Berlin mitunter bedeuten kann. | |
| Dabei zeigt sich „Drifter“ weder euphorisch für diese Freizügigkeit noch | |
| dämonisiert er sie. Im Erzählen von Moritz’ zweitem Coming-out hinterfragt | |
| Hannes Hirsch vielmehr, wie groß die Freiheit angesichts strenger | |
| Körperideale und der Erwartung, ständig in Feierlaune und Stimmung zu sein, | |
| tatsächlich ist. Die Kamera scheint absichtlich voyeuristisch vorzugehen | |
| und macht den gaze, dem Moritz ständig ausgesetzt ist, greifbar. | |
| ## Was tun mit dem eigenen Leben? | |
| Im Ergebnis scheinen beide Filme trotz aller Unterschiede auf das Gleiche | |
| hinauszuwollen. Sie machen eine Sorge sichtbar, die die Protagonisten | |
| antreibt. In wenigen Dialogzeilen in „All the Colours“ wird diese treffend | |
| auf den Punkt gebracht. | |
| Als Bawa in einem hoffnungslosen Moment fragt, ob sie nur ihre Zeit | |
| verschwenden, entgegnet Bambino ungewöhnlich klar: „Zeit kann man nicht | |
| verschwenden. Sie ist endlos und läuft immerzu. Was wir verschwenden | |
| können, ist unser Leben.“ | |
| 22 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Arabella Wintermayr | |
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