# taz.de -- Buch über die Weiße Rose: Helden, aber keine Engel | |
> Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime wie die Mitglieder der „Weißen | |
> Rose“ werden oft als Lichtgestalten dargestellt. Mit fatalen Folgen. | |
Bild: Hans und Sophie Scholl, im Februar 1943 wurden sie hingerichtet | |
Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor einigen Tagen den | |
Widerstand der „Weißen Rose“ in München würdigte, sprach er kurz, wenn a… | |
eher versteckt im Mittelteil seiner Rede, die Vorgeschichte ihrer | |
Mitglieder an. Es stimme zwar, dass kaum einer von ihnen von Anfang an | |
gegen das NS-Regime eingestellt gewesen sei, ja Sophie und Hans Scholl | |
seien zunächst sogar begeistert von Hitler gewesen. | |
Aber je brutaler das NS-Regime gegen seine Gegner vorging, „umso mehr | |
reifte in diesen jungen Menschen die Erkenntnis, wie es in Wahrheit um | |
Deutschland stand“, so Steinmeier. Steinmeier ordnete den Widerstand in | |
eine Vorgeschichte ein. Das sind eher selten vernehmbare Worte aus den | |
Reihen der höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik. | |
Tatsächlich tendiert das [1][öffentliche Gedenken an die Kämpfer gegen das | |
NS-Regime] dazu, diesen eine Reinheit ihrer Herzen und Gedanken | |
zuzubilligen, die es so nicht gegeben hat. Auch die Träger des Widerstands | |
hatten, sehr vorsichtig ausgedrückt, ihre Macken. Da gab es Kommunisten, | |
die Josef Stalin als eine Lichtgestalt der Geschichte wähnten, Christen, | |
die ihren Antisemitismus keineswegs abgelegt hatten, und Offiziere, die den | |
Tod aus Deutschland zuvor in die entferntesten Winkel Europas getragen | |
hatten. | |
Das gilt auch für die kleine Gruppe der studentisch geprägten „Weißen | |
Rose“, die mit Flugblättern zum Sturz des Regimes aufriefen. Zum Beispiel | |
Sophie Scholl: Als sie 1937 konfirmiert wurde, trug sie als Gruppenführerin | |
stolz die Uniform der Jungmädel im Bund Deutscher Mädel (BDM). Mit 18 | |
Jahren hätte sie sich ohne Schwierigkeiten vom BDM zurückziehen können, | |
aber sie tat weiter ihre „Pflicht“, auch mit deutschem Gruß. | |
## Dunkle Vorgeschichte | |
Ihr Bruder Hans Scholl hatte 1938 ein Verfahren wegen angeblicher | |
Homosexualität mit einem Untergebenen nach dem berüchtigten Paragrafen 175 | |
glimpflich überstanden. Er war als Fähnleinführer der Hitlerjugend (HJ) für | |
150 „Kameraden“ verantwortlich. Als Fahnenträger nahm er 1935 am | |
Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg teil. | |
Oder Kurt Huber: Der Professor mit einem Faible für Volksmusik war | |
Nationalist, Antisemit und ein Gegner der Demokratie, der sich 1914 darüber | |
ausgelassen hatte, dass der Krieg die „Nachkommensproduktion der | |
vollwertigen Männer gegenüber den minderwertigen“ hemme. 1937 gelobte | |
Huber, an der deutschen Volkskunstpflege „im Sinne unseres Führers | |
mitzuarbeiten. Heil Hitler!“ | |
Diese und weitere Details sind keine Geheimwissenschaften, sondern lange | |
und bis in Details erforscht. Man kann sie in dem gerade erschienen | |
lesenswerten Buch [2][„Die Weiße Rose“ von Robert M. Zoske] nachlesen. An | |
den Historikern liegt es also nicht, wenn dunkle Flecken in der | |
Vorgeschichte des Widerstands weitgehend unbeleuchtet bleiben. | |
Zoske zeigt auch, wie sich das Bild der „Weißen Rose“ nach dem Krieg | |
entwickelte. Ost-Berlin erklärte die Gruppe zu antifaschistischen | |
Sozialisten, während sie im Westen quasi zu geistigen Müttern und Vätern | |
der Bundesrepublik aufstiegen. Aus Sophie Scholl als der einzigen Frau in | |
der Gruppe entstand eine Inkarnationsfigur, die sie in ihrem Leben nicht | |
war. | |
Tatsächlich trat die junge Frau erst relativ spät der Gruppe bei und hatte | |
keine intellektuelle Führungsposition. Doch nur Sophie ist in der Walhalla | |
bei Regensburg, diesem Ruhmestempel deutschen Geistes, eine marmorne Büste | |
gewidmet, ihr Abbild findet sich auf Briefmarken wieder und noch 2019 | |
erinnerte Bundespräsident Steinmeier an das „Schicksal der Gruppe um Sophie | |
Scholl“. | |
## Auch nur ganz normale Antisemiten | |
Es soll hier nicht darum gehen, das Andenken an den Widerstand gegen das | |
NS-Regime in den Schmutz zu ziehen, im Gegenteil. Aber es bleibt | |
festzuhalten: Auch die Gegner Hitlers waren ganz normale Menschen und | |
fehlend in ihren Urteilen. | |
Das gilt auch für die meist jugendlichen Mitglieder der „Weißen Rose“, di… | |
vornehmlich aus christlich orientierten Elternhäusern stammend, den | |
Vorstellungen der bündischen Jugend nicht abgeneigt schienen, Vorurteile | |
über Jüdinnen und Juden in sich trugen und nicht immer als lupenreine | |
Demokraten auftraten. Ihre Hinwendung zum Widerstand geschah früh, wenn man | |
es nach ihrem Lebensalter bemisst, aber spät angesichts der Verbrechen der | |
Nationalsozialisten. | |
Doch spiegelt diese Bereitschaft, im Kampf gegen das NS-Regime das eigene | |
Leben aufs Spiel zu setzen, angesichts der persönlichen Vorgeschichten bei | |
der „Weißen Rose“ nicht gerade eine ganz besondere Leistung wider? | |
Diesen weiten Weg zu gehen vom unkritischen Fan der NS-Bewegung hin zu | |
ihrem erbittertsten Gegner: Das ist ein Beweis eigenen Denkens und eines | |
Muts, der seinesgleichen sucht. Diese Lebenswege zeigen auch, dass man | |
Menschen nicht verloren geben darf, die einmal falsch abgebogen sind. | |
## Zu Göttern stilisiert | |
Die Frage, ob sich die deutsche Öffentlichkeit ein umfassenderes Bild von | |
den Trägern des Widerstands machen sollte, ist keine akademische. Denn die | |
Tendenz, diese Vorgeschichten gnädig auszublenden, hat fatale Folgen. | |
Wie soll ein junger Mensch von heute diese Kämpfer zum Vorbild nehmen, wenn | |
sie als derart rein von Fehl und Tadel dargestellt werden? Wie soll man | |
sich mit Menschen identifizieren, die engelsgleich immer nur das Mutige, | |
Gute, Vorbildliche geleistet haben, immer auf der richtigen Seite standen – | |
eingedenk der Tatsache, dass doch alle um die Verfehlungen im eigenen Leben | |
wissen? | |
So werden die Widerstandskämpfer zu unnahbaren Göttern gemacht, denen | |
nachzueifern von vorneherein ein Ding der Unmöglichkeit ist. Sie sind | |
abgehobene Lichtgestalten, mit deren Handeln man sich nicht identifizieren | |
kann. | |
Vor 80 Jahren, am 18. Februar 1943, betraten Hans und Sophie Scholl die | |
Münchner Universität, mehr als tausend Exemplare ihres 6. Flugblatts mit | |
sich führend. Es forderte „persönliche Freiheit“, „freie Meinungsäuße… | |
„Geistesfreiheit“ sowie „Freiheit und Ehre“. Sophie Scholl ließ einige | |
Flugblätter den Lichthof hinuntersegeln. Sie wurde beobachtet, beide | |
Geschwister festgenommen und verhört. Am 22. Februar verurteilte der | |
Volksgerichtshof beide sowie Christoph Probst zum Tode. Nachmittags um fünf | |
erfolgte die Hinrichtung. Am 13. Juli starben Alexander Schmorell und Kurt | |
Huber, am 12. Oktober Willi Graf. | |
Ja, das waren Helden. Aber auch sie waren fehlbar. | |
22 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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