# taz.de -- Sozialwissenschaftler über 10 Jahre AfD: „Es fehlt die Machtpers… | |
> Im Osten sei der Wandel der AfD zur rechtsextremen Partei abgeschlossen, | |
> sagt der Rechtsextremismus-Experte David Begrich. | |
Bild: Wenn Hetze zieht: Die AfD kam 2021 bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anha… | |
wochentaz: Die AfD war am Anfang eher eine westdeutsch geprägte | |
Professorenpartei. Haben die Ostdeutschen die Partei übernommen? | |
David Begrich: Nein, sie wurde von einem Netzwerk | |
völkisch-nationalistischer Akteure übernommen, die interessanterweise in | |
ihrer Mehrheit im Westen sozialisiert wurden, ihren | |
gesellschaftspolitischen Resonanzraum aber im Osten gefunden haben. | |
Sie meinen Leute wie Alexander Gauland, Björn Höcke, Andreas Kalbitz … | |
Ja, oder auch Hans-Thomas Tillschneider, der bei uns in Sachsen-Anhalt ja | |
eine wichtige Rolle spielt. Sie sind die Schlüsselfiguren der | |
Rechtsradikalisierung der AfD. | |
Wie erklären Sie sich das? | |
Gauland war Herausgeber der Märkischen Allgemeinen und hat einen etwas | |
anderen Weg genommen. Aber bei den anderen wiederholt sich ein Muster, was | |
wir in der extremen Rechten seit 1990 ganz häufig haben. Dass | |
weltanschaulich sehr überzeugte Personen aus Westdeutschland nach | |
Ostdeutschland gehen, weil sie dort Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden, die | |
es in Westdeutschland aus verschiedenen Gründen nicht gab. | |
Bizarrerweise mobilisieren diese Westdeutschen mit der Diktaturerfahrung | |
der Ostdeutschen. | |
Ja, die AfD hat dieses Diktatur-Narrativ, also die Behauptung, sie sei die | |
letzte Oppositionskraft, die der Totalität des politischen Systems noch was | |
entgegenzusetzen hat, strategisch sehr erfolgreich eingesetzt. Das war für | |
den Aufstieg der AfD wichtig. | |
Greift deshalb auch die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz hier | |
nicht? | |
Zu glauben, man könne die AfD mit dem Verfassungsschutz irgendwie politisch | |
zurückdrängen, ist eine westdeutsche Illusion. Im gesellschaftlichen | |
Diskurs im Osten ist der Verfassungsschutz keine Autorität. Und aus der AfD | |
heißt es, das sei die Stasi von heute. | |
Wo steht die AfD in Ostdeutschland derzeit? | |
Das kann man in zwei Sätzen zusammenfassen: Die AfD ist in Ostdeutschland | |
eine bei 20 bis 25 Prozent stehende, etablierte Partei. Und der Prozess der | |
Radikalisierung der AfD zu einer rechtsextremen Partei ist abgeschlossen. | |
Nach neuen Umfragen könnte die AfD in mehreren ostdeutschen Bundesländern | |
stärkste Kraft werden, zuletzt hat sie in Mecklenburg-Vorpommern deutlich | |
zugelegt. Woran liegt das? | |
Die AfD hat in Ostdeutschland schon sehr lange ein stabiles Wählermilieu, | |
unabhängig von aktuellen Themen und Kampagnen. Das sind etwa 15 bis 20 | |
Prozent. Und alle anderen Wählerinnen und Wähler verhalten sich volatil | |
dazu. Für sie sind Themen und Kampagnen wichtig, zum Beispiel [1][der Krieg | |
Russlands gegen die Ukraine]. Da trifft die AfD eine Tonlage, die in | |
Ostdeutschland auf einen anderen zeitgeschichtlichen Resonanzraum trifft, | |
als das im Westen der Fall ist, wo ja nach wie vor die Westbindung | |
favorisiert wird. | |
Ist die AfD im Osten ausmobilisiert, wie es manchmal heißt? Stößt sie bei | |
irgendwas zwischen 25 und 30 Prozent an eine gläserne Decke? | |
Es hat 2016 schon Prognosen gegeben, dass die AfD mit 24 oder 25 Prozent | |
ausmobilisiert sei. Das ist schwer zu sagen. Interessanter finde ich | |
ohnehin die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Resonanz und die geht auch | |
bei 24 oder 25 Prozent darüber hinaus und liegt in einigen Regionen bei 30 | |
Prozent. Gleichzeitig gibt es ein gegenläufiges Phänomen: Auf | |
kommunalpolitischer Ebene ist die AfD häufig ein Scheinriese. | |
Was heißt das? | |
Der Partei fehlt die sozialräumliche Verankerung in den Kommunen. Es fehlt | |
ihr auch an kompetentem Personal für die kommunalpolitische Arbeit und die | |
entsprechenden Karrieren. | |
Sie haben früher gesagt, dass eine Zusammenarbeit der AfD mit anderen | |
Parteien, insbesondere der CDU, auf der kommunalen Ebene beginnen und von | |
dort aus auf die Landesebene wachsen wird. Sehen Sie das also nicht mehr | |
so? | |
Es gibt immer wieder Zählgemeinschaften und gemeinsame Abstimmungen, mal | |
tauchen sie in den Medien auf, mal nicht. Man muss sich die Situation vor | |
Ort sehr genau anschauen. Also wer stimmt mit wem, aus welchem Grund, in | |
welchem Kontext? Es hilft ja nicht, nur die Empörungsmaschine | |
anzuschmeißen. Natürlich muss ein gemeinsames Abstimmungsverhalten immer | |
berücksichtigen, dass es nicht in der Situation vor Ort, aber in der | |
politischen Rezeption die AfD stärkt. Wenn sich andere Parteien auf die | |
ideologische Agenda der AfD einlassen, ist das ein Verlustgeschäft für die | |
Demokratie. Immer. | |
Der nächste Schritt für die AfD wäre eine Regierungsbeteiligung auf | |
Landesebene, AfD-Chefin Alice Weidel hat dies als Ziel formuliert. Halten | |
Sie ein Bündnis mit der CDU für möglich? | |
Ich halte das für möglich, wenn die AfD rhetorisch, habituell und | |
inhaltlich abrüstet. Das aber ist nicht in Sicht. Das jüngst gegründete | |
Bündnis Deutschland ist eine zum Scheitern verurteilte Kleinstpartei, aber | |
wenn die AfD so auftreten würde, wäre die Lage eine andere. Es fehlt der | |
AfD die Machtperspektive. Höcke sagt dazu: In dem Moment, in dem wir uns | |
pragmatisch verhalten, verlieren wir an Resonanz als Bewegungspartei, weil | |
wir uns dem System anpassen. Aber wenn die Partei eine Machtoption haben | |
will, dann wird sie sich auf machtpragmatische Mechanismen einlassen | |
müssen. Und natürlich hängt alles auch an den handelnden Personen. | |
Was meinen Sie damit? | |
Zur Zusammenarbeit braucht es Schnittstellen zwischen Personen, also | |
persönliche Sympathien oder gemeinsame Haltungen. Gerade hier in | |
Sachsen-Anhalt war das in einigen Fällen in der Vergangenheit offenkundig | |
der Fall. Im Moment geht es in eine gegenläufige Richtung: Abgrenzung. | |
Pauschal gesagt ist die AfD im Westen zerstritten, im Osten geschlossen. | |
Woher kommt das? | |
Das ist natürlich das Bild, das die AfD im Osten gerne verbreitet. Aber | |
Höcke hat auf seiner Erfolgsspur politisch viele kaltgestellt, das darf man | |
nicht vergessen. Erfolg reduziert das Konfliktpotenzial zunächst einmal. | |
Zwischen einem Landesverband wie Schleswig-Holstein, in dem ja offenkundig | |
überhaupt nichts funktioniert, und Sachsen-Anhalt liegen Welten. Auf der | |
anderen Seite zeigt der Landesverband Brandenburg, dass es auch im Osten | |
Auseinandersetzungen und Unwuchten gibt. | |
Derzeit nehmen Proteste gegen Geflüchtete und Unterkünfte für sie wieder | |
zu, [2][Grevesmühlen in Mecklenburg] ging gerade durch die Medien. Gauland | |
hat 2015 Flüchtlinge als „Geschenk“ für die AfD bezeichnet – ist das wi… | |
der Fall? | |
Die AfD profitiert von Formaten rassistischer Mobilisierung. Aber sie hat | |
sowohl ein kooperatives als auch ein konkurrierendes Verhältnis zu diesen, | |
wie das Beispiel der Freien Sachsen zeigt. Da sagen manche auch: „Ihr seid | |
eigentlich im Parlamentarismus angekommen und seid die jüngste der | |
Altparteien.“ Aber natürlich ist die AfD ein wichtiger | |
Schlüsselmultiplikator, wenn es um die Mobilisierung geht. | |
6 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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