# taz.de -- Israelische Siedlungspolitik: Ausweitung der Wohnzone | |
> Zehn illegale Siedlungen sollen von Israels Regierung legalisiert werden. | |
> Kritiker sehen eine „Belohnung für Kriminelle und gewalttätige Siedler“. | |
Bild: Die illegale Siedlung Beit Hogla in der West Bank wird von der israelisch… | |
Yagel Shmuel ist gut gelaunt. Vor dem Spielplatz von Beit Hogla, im Osten | |
von Jericho im besetzten Westjordanland, gibt er ein Interview nach dem | |
nächsten und führt die Medienteams aus Russland, Frankreich und Deutschland | |
durch die drei Straßen seines Wohnortes. Es geht vorbei an der Synagoge und | |
dem rituellen Bad, der Mikve. Eine Frau reicht Kekse und Kaffee. | |
Bis vor wenigen Tagen wurde der Ort, an dem Shmuel wohnt, von Israel noch | |
als Außenposten bezeichnet – als sogenannte wilde Siedlung, die selbst nach | |
israelischem Recht illegal ist. Mehr als 100 solcher Außenposten gibt es im | |
Westjordanland. Doch dann kündigte die Regierung am Sonntag an, [1][dass | |
zehn Außenposten legalisiert werden sollen], darunter auch die, die der | |
33-Jährige vor sieben Jahren mit drei weiteren Familien gegründet hat: Beit | |
Hogla. | |
Mittlerweile leben dort rund 30 Familien, in weißen Containern mit Blick | |
auf die hügelige Wüstenlandschaft. „Es war ein bisschen, als wäre der | |
Messias gekommen“, sagt Shmuel, holt sein Handy hervor und zeigt ein Video, | |
aufgenommen am Sonntagabend, kurz nachdem er eine Whatsapp-Nachricht | |
erhielt, die ihn über den Regierungsbeschluss informierte: Die Männer des | |
Außenpostens singen und tanzen Schulter an Schulter im Kreis, die | |
gehäkelten Kippot auf dem Kopf – das Markenzeichen der nationalreligiösen | |
Siedler, einer schwenkt die Israelfahne. | |
Die Entscheidung zur Legalisierung wurde von der Regierung als Antwort auf | |
die jüngsten Anschläge in Jerusalem verkauft: ein Außenposten „für jede | |
Person, die bei den Angriffen in den vergangenen Wochen ermordet worden | |
ist“, hieß es in der Erklärung des Sicherheitskabinetts. | |
## Zweistaatenlösung verhindert | |
Außerdem kündigte das Kabinett 10.000 neue Wohneinheiten für Siedlungen an | |
– das größte Siedlungsbauvorhaben seit Langem. Für Shmuel ist völlig klar, | |
dass ihm und seinen Landsleuten der Grund und Boden vom Mittelmeer bis zum | |
Jordan gehört. Vor 2.000 Jahren seien sie vertrieben worden, sagt er, jetzt | |
seien sie zurück. Gott habe den Juden das Land versprochen. | |
Doch die Freude über die Legalisierung seines Außenpostens teilen längst | |
nicht alle. „Die israelische Regierung handelt weiterhin mit | |
Entschlossenheit, um die Besatzung zu vertiefen und Fakten zu schaffen, die | |
die Möglichkeit eines zukünftigen palästinensischen Staates verhindern“, | |
erklärte die israelische Nichtregierungsorganisation Peace Now. Die | |
Schritte seien eine „Belohnung für Kriminelle und gewalttätige Siedler.“ | |
[2][Ungewöhnlich scharfe Kritik an den Schritten kam außerdem sowohl aus | |
Washington als auch aus Europa]. US-Außenminister Antony Blinken zeigte | |
sich am Montag „zutiefst beunruhigt“ über die einseitigen Maßnahmen, die | |
die „Aussichten auf eine Zweistaatenlösung“ unterminierten. Er rief alle | |
Parteien dazu auf, auf weitere Maßnahmen zu verzichten, die zu einer | |
Eskalation führen könnten, und rief zu „praktischen Schritten“ auf, die d… | |
Wohlergehen der Palästinenser*innen verbessern. | |
Kurz darauf nahm auch die EU Stellung: Sie lehne die Entscheidung ab und | |
wiederholte ihre Position, dass alle Siedlungen unter internationalem Recht | |
illegal seien. | |
## Harsche Kritik von EU und USA | |
In einem ungewöhnlichen Schritt legten die Außenminister*innen | |
Deutschlands, Frankreich und Italiens mit einem gemeinsamen Statement noch | |
einmal nach und zeigten sich „zutiefst beunruhigt“ über die Ankündigungen | |
der israelischen Regierung. Diese seien „lediglich dazu geeignet, die | |
Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen und die | |
Bemühungen um die Aushandlung einer Zweistaatenlösung zu untergraben.“ | |
Die palästinensische Vertretung bei den Vereinten Nationen unterstützt | |
derweil das Vorhaben der Vereinigten Arabischen Emirate, am kommenden | |
Montag über eine Resolution des UN-Sicherheitsrates abzustimmen, in der | |
Israel zur sofortigen Einstellung aller Siedlungsaktivitäten aufgefordert | |
wird. | |
Quellen der israelischen Internetzeitung [3][Times of Israel ] zufolge | |
versucht Washington derzeit, die Palästinenser*innen zu ermutigen, | |
stattdessen eine symbolträchtigere gemeinsame Erklärung zu verfassen, in | |
der die Siedlungsankündigungen verurteilt werden. | |
Samir Said zuckt mit den Schultern, wenn man ihn nach Beit Hogla fragt. | |
„Was können wir tun? Sie nehmen unser Land, aber das Problem sind nicht die | |
einzelnen Menschen“, sagt der 65-Jährige. Sein Geschäft für Gärtnereibeda… | |
liegt nur wenige Autominuten vom Außenposten entfernt, direkt an der | |
Straße, die nach Jerusalem führt. Manchmal, erzählt er, kaufen die | |
Siedler*innen bei ihm. Der nächste palästinensische Ort ist Jericho – 20 | |
Autominuten von Beit Hogla entfernt. Rund um Jericho und den Außenposten | |
Beit Hogla ist es – wohl auch aufgrund der Distanz – ungewöhnlich ruhig. | |
## Gewalt gegenüber Palästinenser*innen steigt | |
Viele andere Außenposten liegen in unmittelbarer Nähe von palästinensischen | |
Orten, mitunter sind sie auf Privatland von Palästinenser*innen | |
errichtet. Gewalt von Siedler*innen an Palästinenser*innen hat | |
laut der israelischen Nichtregierungsorganisation Yesh Din im vergangenen | |
Jahr einen Höhepunkt erreicht. Das Problem, fährt Said in der ruhigeren | |
Jericho-Gegend fort, sei die politische Führung. | |
Ginge es nach ihm, würden alle in einem Staat mit einer Regierung leben, | |
mit gleichen Rechten für alle. Doch er weiß, dass nur wenige auf beiden | |
Seiten des Konflikts seine Vorstellung teilen. Die Zustimmung zur | |
Zweistaatenlösung ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt – im | |
Dezember 2022 unterstützten jeweils nur noch ein Drittel die Idee laut der | |
jährlich durchgeführten Umfrage „The Palestine/Israel Pulse“. | |
„Was können wir tun? Was können meine Söhne tun?“, fragt Samir Said, ste… | |
sich vor die Regale mit den Pflanzen und blickt auf die Autos, die die | |
Wüstenstraße entlangfahren. „Die müssen sich doch wehren. Oder nicht?“ | |
16 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.haaretz.com/us-news/2023-02-15/ty-article/.premium/west-bank-ou… | |
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/israel-siedlungsbau-117.html | |
[3] https://www.timesofisrael.com/washington-european-powers-issue-joint-condem… | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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