| # taz.de -- Wissenschaftsrat und Politik: Mehr Engagement gefordert | |
| > Bundespräsident Steinmeier hat sechs neue Mitglieder des | |
| > Wissenschaftsrates ernannt. Dieser hat nun drei Jahre Zeit, sich mehr | |
| > Gehör zu verschaffen. | |
| Bild: Können Computer Gedanken lesen? Foto: Rainer Weisflog | |
| Er gilt als das wichtigste Beratungsgremium für die Politik, wenn es in | |
| Deutschland um Fragen der Forschung und der akademischen Lehre geht: Der | |
| Wissenschaftsrat. Seit 1957 tritt das Gremium, dessen Mitglieder vom | |
| Bundespräsidenten berufen werden, viermal jährlich zusammen, um | |
| bedeutungsschwere Empfehlungen für die Hochschul- und Forschungslandschaft | |
| zu beschließen. Zuletzt Ende Januar in Berlin, als es um neue | |
| Finanzierungsmodelle für die Forschung ging. Eine Frage hat der | |
| Wissenschaftsrat allerdings noch nicht beantwortet: Ist er selbst noch | |
| zeitgemäß? | |
| Aufgabe des Wissenschaftsrats ist es, sowohl die Akteure der | |
| Wissenschaftspolitik in Bund und Ländern wie auch die Präsidenten und | |
| Manager innerhalb der Wissenschaft in Fragen der inhaltlichen und | |
| strukturellen Weiterentwicklung des Hochschulsystems sowie der staatlichen | |
| Förderung von Forschungseinrichtungen zu beraten. Für diese Arbeit hat der | |
| Rat zwei „Kammern“: Die Wissenschaftliche Kommission mit 32 Mitgliedern, | |
| davon 24 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und acht Personen des | |
| öffentlichen Lebens, sowie eine Verwaltungskommission mit 22 Vertreterinnen | |
| und Vertretern aus den Wissenschaftsministerien von Bund und Ländern. | |
| Das Plenum umfasst somit 54 Köpfe aus Wissenschaft und Politik, die nicht | |
| immer einheitlicher Meinung sind. Neben der Faktenbewertung gehört die | |
| Kunst der Kompromissfindung zum Hauptgeschäft des Wissenschaftsrates. Denn | |
| die Empfehlungen der Wissenschaftlichen Kommission kollidieren nicht selten | |
| mit der Zahlungsbereitschaft der Wissenschaftsminister, die von ihren | |
| Finanzministern am Zügel gehalten werden. | |
| ## Zu wenig Politkberatung | |
| Die Mitglieder amtieren im Rotationsverfahren. Jetzt im Januar ernannte | |
| Bundespräsident Steinmeier sechs neue Mitglieder für drei Jahre, die von | |
| den Wissenschaftsorganisationen vorgeschlagen waren: Kapazitäten der | |
| Innovationsforschung, Transplantationsimmunologie, Datenbanken, Ethnologie, | |
| Quantenoptik und Pädagogische Psychologie. | |
| Auf Vorschlag der politischen Seite stieß Harald Schwager, Vizevorstand des | |
| Chemiekonzerns Evonik, neu zu dem Gremium. Er ergänzt dort weitere | |
| Vertreter aus der Wirtschaft, in erster Linie Industrieunternehmen wie | |
| der Pharmakonzern Merck, Evotec SE, das Bremer Raumfahrtunternehmen OHB SE | |
| oder der Optikhersteller Schott AG. Sogar eine Journalistin gehört dem | |
| Wissenschaftsrat seit 2018 an: Die Moderatorin Alexandra Gerlach, die von | |
| der Sächsischen Landesregierung vorgeschlagen wurde. Inhaltliche Impulse | |
| sind jedoch nicht bekannt. | |
| Der Anstoß für eine mögliche Selbstevaluation des Wissenschaftsrates kam | |
| aus dem Wissenschaftsjournalismus. In einem bissigen Kommentar bescheinigte | |
| Anna-Lena Scholz, Bildungsredakteurin der Hamburger Zeit, dem Gremium einen | |
| schleichenden „Bedeutungsverlust“: Im Unterschied zu früher fänden seine | |
| Stellungnahmen heute „keinen Eingang in die hochschulpolitischen Debatten, | |
| die vielen guten Ideen verharren im Status des Man-müsste-mal“. | |
| Grund dafür sei seine Antiquiertheit: „Der Wissenschaftsrat hat es in den | |
| letzten Jahren verpasst, sich an die Wissenschaftsgesellschaft anzupassen, | |
| der er dienen soll.“ Andere Expertenzirkel betrieben das Geschäft der | |
| wissenschaftlichen Politikberatung sehr viel professioneller und | |
| wirkungsvoller, wie sich in der Krisensituation der Coronapandemie gezeigt | |
| habe. „Wenn dieses Gremium relevant bleiben will, muss es hörbarer werden“, | |
| empfahl das Leitmedium des deutschen Bildungsbürgertums. „Es muss die | |
| Politik vor sich her treiben, statt sie mit Papier zu sedieren.“ | |
| ## Wenig Präsenz in der Praxis | |
| In der Pressekonferenz zur Wintersitzung des Wissenschaftsrats vorletzte | |
| Woche ging der neue, zuvor einstimmig gewählte Vorsitzende Wolfgang Wick, | |
| der als Neuroonkologe am Heidelberger Universitätsklinikum tätig ist, auf | |
| die Kritik noch nicht ein. Im Mittelpunkt standen dort die grundlegenden | |
| Empfehlungen zur Forschungsfinanzierung in den Hochschulen, die wegen | |
| Unstimmigkeiten mit der politischen Fraktion im Wissenschaftsrat bereits | |
| einmal verschoben werden mussten. Das zugrunde liegende Problem: Derzeit | |
| werden die Kosten für Forschungsprojekte zu 55 Prozent aus den Grundmitteln | |
| der Hochschulen – finanziert aus den Länderetats – und zu 45 Prozent aus | |
| Drittmitteln für befristete Vorhaben durch externe Auftraggeber bezahlt. | |
| Dies ist aus Sicht des Wissenschaftsrates ein ungutes Verhältnis, weil | |
| dadurch Ressourcen für andere universitäre Aufgaben tendenziell | |
| beschnitten werden. Als eine Lösung wird unter anderem die Erhöhung von | |
| Grundpauschalen vorgeschlagen, die als Nebenkosten für die Nutzung der | |
| Hochschulinfrastruktur auf die eigentlichen Projektmittel aufgeschlagen | |
| werden. Angemessen seien 40 Prozent des Projektvolumens. | |
| Bei seinem ersten Auftritt als neuer Kopf des Wissenschaftsrates äußerte | |
| sich Wick auch zur Digitalierung seiner eigenen Profession, der | |
| Hochschulmedizin. So sollten künftig Gesundheitsdaten aus der | |
| Krankenversorgung anonymisiert im Normalfall auch für die wissenschaftliche | |
| Forschung zur Verfügung stehen. Für diesen Datentransfer sollten besondere | |
| digitale Räume geschaffen werden, in denen der Forschung ein | |
| niedrigschwelliger Zugang möglich ist. Ein theoretisches Konzept dafür | |
| hatte der Wissenschaftsrat im vergangenen Sommer vorgelegt. Derzeit befinde | |
| man sich zur praktischen Umsetzung in Gesprächen mit den Bundesministerien | |
| für Gesundheit und Forschung, berichtete Wick. | |
| Die scheidende Vorsitzende, die Karlsruher Informatikerin Dorothea Wagner, | |
| verwies darauf, dass der Wissenschaftsrat in ihrer dreijährigen Amtszeit | |
| eine Reihe von wegweisenden Beschlüssen zur Digitalisierung der | |
| Wissenschaft in Deutschland gefasst habe, etwa zur Nutzung von digitalen | |
| Formaten in der Hochschullehre. Die Coronapandemie habe seit 2020 die | |
| Entwicklung unerwartet stark beschleunigt. Die Umsetzung müsse nun an den | |
| Hochschulen geleistet werden, was aber noch ein langer Weg sei, räumte | |
| Wagner ein. | |
| Allerdings: Der Vorschlag zu einer digitalen Ertüchtigung des | |
| Hochschulsystems – so wie es mit dem „Digitalpakt Schule“ für den | |
| Schulbereich angepackt wurde – wurde vom zuständigen Bundesministerium für | |
| Bildung und Forschung zunächst auf die lange Bank geschoben. | |
| 10 Feb 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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