# taz.de -- Neue Leitung an Berliner Unis: Stühlerücken in der Wissenschaft | |
> An der HU und TU sind nun zwei Präsidentinnen an Steuer der Berliner | |
> Elite-Unis. An der FU bleibt – fast – alles beim Alten. | |
Bild: Julia von Blumenthal, die neue Präsidentin der Humboldt-Universität Ber… | |
The Great Reset: Wäre der Begriff vom „großen Neustart“ nicht von den | |
Verschwörungstheoretikern gekapert worden, würde er jetzt gut auf die | |
Berliner Wissenschaftspolitik passen. Dort findet auf der Leitungsebene von | |
Senat und Hochschulpräsidien der umfassendste Personalwechsel seit Jahren | |
statt. | |
Gerade haben die drei Universitäten ihre Spitzen neu gewählt – in zwei | |
Fällen wurden neue Präsidentinnen gekürt. Neue Köpfe, neue Chancen? Nach | |
Jahren der relativen Ruhe in der Berliner Wissenschaft hat eine Phase der | |
Ungewissheit begonnen. | |
Der stärkste Einschnitt zeichnete sich schon vor der Wahl zum | |
Abgeordnetenhaus im September ab. Das Gespann Michael Müller/Steffen Krach | |
kündigte an, ihre politischen Ämter in Berlin nicht weiter fortsetzen zu | |
wollen. Zuvor hatten sie – Müller in der Doppelfunktion als Regierender | |
Bürgermeister und Senator für Wissenschaft und Forschung, Krach als sein | |
umtriebiger Staatssekretär – den Wissenschaftsstandort Berlin in der | |
bundesweiten Konkurrenz von einem Erfolg zum nächsten geführt, darunter die | |
Verleihung des Exzellenztitels an die drei Universitäten 2019. | |
Im neuen Berliner Senat war von Anfang an klar, dass Franziska Giffey – | |
durch die Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit an der Freien Universität | |
politisch beschädigt – neben dem Job als Regierende Bürgermeisterin nicht | |
auch noch das Wissenschaftsressort an sich ziehen würde. Die SPD gab die | |
Zuständigkeit sogar komplett auf und überließ in den | |
Koalitionsverhandlungen die Wissenschaft den Grünen. Das den Grünen | |
zustehende Amt wurde im Dezember durch einen Personalimport besetzt: die | |
Umweltwissenschaftlerin und Medizinerin Ulrike Gote kam aus Kassel nach | |
Berlin, wo sie kurz vor Weihnachten als Senatorin für Wissenschaft, | |
Gesundheit, Pflege und Gleichstellung vereidigt wurde. | |
## Ein besonderes Ei im Nest | |
Wechsel auch im Berliner Landesparlament, dem Abgeordnetenhaus, mit | |
politischer Akzentsetzung. Der zuständige Fach-ausschuss für Wissenschaft | |
und Forschung, der in der letzten Legislaturperiode von dem | |
AfD-Abgeordneten Martin Trefzer geleitet wurde, wählte in seiner neuen | |
Zusammensetzung die Linken-Politikerin Franziska Brychcy zur Vorsitzenden – | |
ein Schwenk von ganz rechts nach ganz links. | |
Das Gremium war zugleich indirekt dafür verantwortlich, dass die | |
Personalrochaden bei den Berliner Universitäten in Gang kamen. In seiner | |
letzten Sitzung der alten Legislatur hatte das Parlament nämlich der | |
Berliner Wissenschaft noch ein besonderes Ei ins Nest gelegt: [1][Die | |
Neuformulierung des Berliner Hochschulgesetzes], das unter anderem zur | |
Schaffung von mehr Dauerstellen im akademischen Mittelbau verpflichtete. | |
Die Nacht-und-Nebel-Aktion des Wissenschaftsausschusses überraschte nicht | |
nur das Senatsduo Müller/Krach in seinen letzten Amtstagen. | |
Vor allem die Uni-Präsidenten trieben die unabgestimmte und massive | |
Neuregulierung auf die Palme. Am weitesten in ihrem Protest ging die Chefin | |
der Humboldt-Universität, Sabine Kunst, [2][die im Oktober ihren Rücktritt | |
zum Jahresende ankündigte] und als letzte Amtshandlung eine | |
Verfassungsbeschwerde gegen das Hochschulgesetz einlegte. | |
Mitte Februar wählte das Konzil der HU die Politikwissenschaftlerin Julia | |
von Blumenthal als einzige Kandidatin mit großer Mehrheit zur neuen | |
Präsidentin. Zuvor hatte sie in gleicher Funktion die Europa-Universität | |
Viadrina in Frankfurt (Oder) geführt. Um die Studierenden der HU muss sich | |
die neue HU-Chefin noch bemühen. Die versagten ihr die Stimme mit der | |
Begründung, dass sich Blumenthal in ihrer Bewerbung zu sehr auf Forschung | |
und zu wenig auf Lehre konzentriert habe. Als inhaltlichen Schwerpunkt will | |
die neue HU-Präsidentin die „digitale Transformation“ der HU in Forschung, | |
Lehre und Verwaltung vorantreiben. Auch gegen die umstrittenen Neuerungen | |
im Berliner Hochschulgesetz will sie sich engagieren. | |
Dem Paukenschlag an der Humboldt-Uni folgte ein noch überraschenderer | |
Knalleffekt an der Technischen Universität. Dort stand im Januar die | |
reguläre Präsidenten-Neuwahl an, und Amtsinhaber Christian Thomsen | |
erwartete nichts weniger als die Fortsetzung seiner bisher achtjährigen | |
Amtszeit. Doch seine junge Gegenkandidatin Geraldine Rauch, Prodekanin für | |
Lehre an der Charité, setzte sich bereits im ersten Wahlgang gegen den | |
„Platzhirsch“ Thomsen durch. Unübersehbar: An der TU herrscht Wandelklima. | |
Dem Altpräsidenten, der im März die Amtskette förmlich übergibt, wurden im | |
Rückblick eine zu gemächliche Leitung der seit 68er-Zeiten – Stichwörter: | |
Vietnam-Kongress, Tunix – immer quirligen Hochschule und eine verschleppte | |
Verwaltungsreform zum Verhängnis. | |
## Quirlige Hochschule | |
Der letzte Akt im „Superwahljahr“ der Berliner Universitäten spielte vorige | |
Woche an der Freien Universität in Dahlem. Auch hier deuteten einige | |
Indizien auf eine „Götterdämmerung“ für den bisherigen Präsidenten, den… | |
Jahre alte Mathematiker Günter Ziegler. Doch mit 46 von 60 gültigen Stimmen | |
erreichte Ziegler gegen seine Herausforderin, die Kölner Prorektorin | |
Beatrix Busse, ein über Erwarten starkes Ergebnis. Offenbar gab auch eine | |
gewinnende Rede Zieglers den Ausschlag, die die FU-Grabenkämpfe der letzten | |
Jahre vergessen macten konnten. | |
Nachdem in der Professorenriege des Akademischen Senats die Kritik an der | |
Amtsführung Zieglers seit 2018 wuchs und der Wunsch nach einer Ablösung | |
keimte, wurde auf Veranlassung der Ziegler-Gegner die Kanzlerin der FU, | |
Andrea Bör, aktiv. Hinter dem Rücken des FU-Präsidenten beauftragte sie | |
eine Headhunting-Agentur mit der Suche nach einem Nachfolger. Nachdem der | |
Tagesspiegel die Intrige publik gemacht hatte, wurde im Dezember letzten | |
Jahres von der Senatswissenschaftsverwaltung ein Disziplinarverfahren gegen | |
Bör eingeleitet. Geplant war ihre Versetzung von der FU in die | |
Senatsverwaltung, was aber durch die Neuordnung der Ressorts nicht zustande | |
kam. | |
In dieser Woche reagierte die neue Wissenschaftssenatorin Gote mit der | |
Anordnung an die FU, dass Kanzlerin Bör ihre Amtsgeschäfte mit sofortiger | |
Wirkung drei Monate lang nicht wahrnehmen dürfe. „President re-elect“ | |
Ziegler dürfte der Ukas zupasskommen. Soll doch nach seiner Aussage statt | |
fortgesetzter Konfliktlinien eine „Kultur der Wertschätzung“ in die | |
Südberliner Lehranstalt Einzug halten. | |
25 Feb 2022 | |
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[1] /Neues-Hochschulgesetz-in-Berlin/!5811223 | |
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## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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