# taz.de -- Theaterdebatte in der Deutschschweiz: Neuer Zürcher Schnitzer | |
> Das Schauspielhaus Zürich zoge unter Benjamin von Blomberg und Nicolas | |
> Stemann ein anderes Publikum an. Nun wurde ihr Vertrag nicht verlängert. | |
Bild: Sollen in Zürich gehen: Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg | |
Am Anfang der Woche kam der Knall: Das Schauspielhaus Zürich verlängert den | |
Vertrag des Intendantenteams [1][Nicolas Stemann] und Benjamin von Blomberg | |
nicht. 2024 endet ihre Intendanz nach nur fünf Spielzeiten. Hört man sich | |
in der Kulturszene Zürichs um, stößt man auf Entsetzen. Der Tenor ist klar: | |
Dieser Entscheid sei politisch. Tatsächlich scheint es, als sei er Resultat | |
einer Kampagne konservativer Medien gegen angeblichen woken Meinungsterror. | |
Der Verwaltungsrat, in dem Stadt und Kanton Zürich vertreten sind, gab die | |
Nichtverlängerung des Vertrags am Montag bekannt. | |
Ausgangspunkt der Debatte waren sinkende Zuschauerzahlen. In der Spielzeit | |
2021/2022 sank die Auslastung im Vorjahresvergleich um über 10 Prozent. | |
Auch die Abos brachen um 20 Prozent ein. Daraus resultierte ein Verlust von | |
2 Millionen Franken. Doch im Vergleich mit anderen Städten relativiert sich | |
der Rückgang. | |
Viele Häuser kämpfen seit der Pandemie mit sinkenden Ticketverkäufen. In | |
Basel gingen die Abos auch um 20 Prozent zurück, in Frankfurt am Main sogar | |
um fast die Hälfte. Dass 2022 weniger Abos abgeschlossen wurden, erstaunt | |
nicht, denn pandemiebedingte Einschränkungen sorgten für viel Frust, sodass | |
viele nicht in die Säle zurückgekehrt sind. | |
Es gab auch künstlerische Kritik am Intendanten-Duo: Sie vernachlässigten | |
das Ensemble, Tanz und Performance nehme zu viel Raum ein, so dass die Form | |
des Sprechtheaters leide. | |
## Kritik am „woken Einheitsbrei“ | |
Doch um so Prosaisches wie die Nachwirkungen der Pandemie, sachlich | |
vorgetragene fachliche Kritik an der Dramaturgie oder das Gerangel ums | |
Budget ging es in der aufgepeitschten Debatte ums Schauspielhaus nicht | |
ausschließlich. Das eigentlichen Problem der konservativen Kräfte: der | |
„woke Einheitsbrei“. | |
Die NZZ, die rechts blinkende Zeitung am Platz, hob zu einer regelrechten | |
Kampagne gegen den neuen Geist an: „Subventioniert die Stadt ein | |
sektiererisches Gesellschaftsexperiment?“, fragte Feuilletonchef Benedict | |
Neff in einem der erstaunlich zahlreichen Artikel, in denen die NZZ die | |
Intendanten kritisierte. Sie weigerten sich, „sich unvoreingenommen mit der | |
Stadt auseinanderzusetzen“, moniert die Zeitung etwa. | |
Stemann und Blomberg waren 2019 explizit mit dem Auftrag geholt worden, | |
progressives Theater zu machen. Sie stellten eine Diversitätsbeauftragte | |
ein, übertitelten Stücke auf Englisch, setzten ein interdisziplinäres | |
Achterteam aus Hausregisseur:innen ein, darunter Stars der Kunstszene | |
wie Wu Tsang. | |
Thematisch ging es oft um gesellschaftliche Missstände, um race und gender. | |
Auch den Genderstern führten sie ein, der konservative Feuilletons so | |
triggert. Das funktionierte: Das Haus zog ein deutlich jüngeres und | |
vielfältigeres Publikum an. | |
## Hitzige Diskussionen über Racial Profiling | |
Denn Zürich hat einen der größten Anteile der Bevölkerung mit | |
Migrationshintergrund im deutschsprachigen Raum. Die Auseinandersetzung mit | |
Rassismus im Theater bildet Diskussionen der Stadt gut ab. Das sah auch das | |
Publikum so: Neben postdramatisch bearbeiteten Schweizer Klassikern wie | |
„Willhelm Tell“ oder „Der Besuch der alten Dame“ war das Dokumentarstü… | |
„Bullestress“ über Racial Profiling am häufigsten ausverkauft. | |
Die NZZ fragte, weshalb „Schweizer Polizisten als rassistische Täterfiguren | |
auftreten“. Dabei hat die Schweizer Polizei laut zahlreicher Studien ein | |
gewaltiges Problem mit Rassismus. In den vergangen Jahren gab es in Zürich | |
hitzige Diskussionen über Racial Profiling. Die am Theater weiterzuführen, | |
war eine Auseinandersetzung mit der Stadt. Die Diversitätsbeautragte ist | |
übrigens selbst im Außenbezirk Schwamendingen aufgewachsen. | |
Neben der Verjüngung des Publikums verzeichneten Stemann und Blomberg | |
andere Erfolge: Stücke waren zu den Wiener Festwochen, den Salzburger | |
Festspiele und zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Internationale | |
Presse berichtete mitunter begeistert über Zürcher Vorstellungen. Eine | |
Theaterredakteurin der New York Times schrieb, Blomberg und Stemann | |
hätten das Schauspielhaus zu einem der interessantesten und aufregendsten | |
Theater Europas gemacht. So gute Presse kriegt Zürich selten. | |
Kürzlich sorgte die Überführung der Sammlung des deutschen | |
Waffenproduzenten Emil Bührle ins öffentlich finanzierte Kunsthaus für | |
internationale Empörung. Nun leistet sich Zürich erneut mit einer | |
kulturpolitischen Entscheidung einen groben Schnitzer. | |
9 Feb 2023 | |
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[1] /Jelinek-Premiere-in-Zuerich/!5903164 | |
## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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