Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Theater online in der Pandemie: Banden bilden, Monopole knacken
> Theater im Netz? Die Pandemie hat es notwendig gemacht. Doch schon zuvor
> arbeiteten die Spectyou.com und Nachtkritik.de an eigenen Konzepten.
Bild: Bei Nachtkritik.plus gab es „Schneewittchen Beauty Queen“ aus dem Sch…
So zynisch es klingen mag: Für Elisabeth Caesars [1][Streaming-Plattform
Spectyou] kam der Lockdown im Frühjahr 2020 gerade recht. Am 19. März ging
Spectyou online, am 22. März begann der Lockdown. Die Plattform ist
allerdings keine übereilte Pandemie-Geburt, sondern ein Langzeitprojekt.
Drei Jahre hat die Schauspieldramaturgin Elisabeth Caesar mit ihrem Team
daran gearbeitet – und gerade, als das Kulturleben in Deutschland gen null
gefahren wurde, konnten Theater, Freie Gruppen, Tänzerinnen ihre
Inszenierungen dort hochladen. Was für ein Timing.
Erst mal, so Ceasar, seien die Videos und Streams kostenlos angeboten
worden, um ein Zeichen zu setzen, um alle Menschen Theater gucken zu
lassen, um einen „Hoffnungsschimmer“ leuchten zu lassen. Inzwischen kann
man zwischen 3 Euro Solipreis, 10 Euro Normalpreis und 50 Euro als
Unterstützer:in pro Video wählen – die Einnahmen werden zwischen
Künstler:innen und Spectyou aufgeteilt.
Rund hundert Aufzeichnungen freier Gruppen und Häuser abseits der
Metropolen sind mittlerweile im Archiv zu finden: von vorschlag:hammer
und markus & markus, vom Theater in der Altmark oder in Baden-Baden.
Romanadaptionen, Klassiker oder eigens entwickelte Stoffe. Im November
streamte Spectyou zudem die Verleihung des Theaterpreises „Der Faust“ live.
Die Zuschauerzahlen seien von Angebot zu Angebot sehr unterschiedlich,
lägen zwischen 10 und 800.
## Künstler:innen vernetzen, Sichtbarkeit vergstärken
Doch die Plattform soll mehr können als Streamen und Archivieren – sie soll
Künstler:innen vernetzen und das Publikum mit Hintergrundwissen zu den
Inszenierungen versorgen. Kleine Theater mit wenig Budget sollen dieselbe
Sichtbarkeit bekommen wie große Häuser – das war vor drei Jahren Caesars
Grundidee für die Plattform Spectyou. Wichtig ist ihr, „dass man Banden
bildet, eine Plattform kreiert, die unabhängig ist von Machtmonopolen und
ökonomischen Aspekten, auf der keine Werbung geschaltet wird und auch keine
Kritiken geschrieben werden“.
Als Dramaturgin sei sie deutlich häufiger in Berlin, um Inszenierungen zu
sehen und Schauspieler zu casten, als in Buxtehude – Spectyou soll aber
alle Theaterschaffenden gleichermaßen abbilden und verbinden können. In
einem passwortgeschützten Bereich zeigte die Plattform während der Pandemie
beispielsweise auch die Vorsprechen an Schauspielschulen.
## Nachtkritik.plus zeigt ein kuratiertes Programm
Mit der im November 2021 neu gestarteten Seite der
Theaterkritik-Plattform Nachtkritik.de hätte sich Caesar deutlich mehr
Zusammenarbeit gewünscht. Doch die klare Abgrenzung der
„Nachtkritik.plus“-Redaktion zu Spectyou ist verständlich – bei Spectyou
kann jedes Theater Produktionen einstellen, Nachtkritik.plus dagegen
kuratiert streng, zeigt wenige ausgewählte Produktionen. Und, viel
wichtiger: Nachtkritik.plus begreift sich als Seite für Theaterkritik. Auch
sie wird unabhängig von der Pandemie seit Jahren geplant, ihre Entstehung
hat tiefere Gründe als die kurzfristig geschlossenen Theater.
[2][Redakteurin Esther Slevogt] (auch taz-Autorin und
nachtkritik.de-Gründerin) erklärt: „Vielleicht hat sich das Medium Kritik,
das mit der gedruckten Zeitung Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden ist,
mit dem Ende von Print inzwischen überholt. Wenn wir das Theaterschaffen im
deutschsprachigen Raum bisher mit Kritiken abgebildet haben, müssen wir
jetzt möglicherweise über andere Formen dieser Abbildung nachdenken.“
Nicht die Kritikerin, sagt Slevogt, erkläre auf Nachtkritik.plus in
geschriebenen Worten, was zu sehen war – sondern die Kamera zeige es in
Bildern. Diese Videos, von den Theatern aufgezeichnet, bilden eine neue
Gesprächsgrundlage.
## Einbahnstraße verlassen
Für Nachtkritik ist das folgerichtig: 2007 ging die Plattform an den Start,
um den „Hochsitz“ zu verlassen und die sogenannte „Einbahnstraße der
Kritik“ für den „Gegenverkehr zu öffnen“, wie die Redaktion stets beton…
also: für Kommentare aus dem Publikum. Diese Kommentare sind während eines
Live-Streams nun ebenfalls in Echtzeit möglich. Bislang seien die
Zuschauendenzahlen so, dass sie „kleine Studiobühnen und manchmal auch
größere Säle“ füllen könnten, so Slevogts Schätzung.
Allerdings: Eine Theaterkritik-Plattform, die das geschriebene Wort
geringer schätzt als das Auge der Kamera – das klingt, als würde die Kritik
das Handtuch werfen. Posthumane Theaterkritik womöglich? Zudem filmt ja
keine Kritikerin mit dezidiert akzentuiertem Blick das Bühnengeschehen, oft
nicht einmal der Bühnenregisseur, sondern ein von der Inszenierung
losgelöster Kamera-Profi.
Slevogt begreift die Plattform als Forschungsprojekt, erst zu einem Drittel
fertig. Im Bereich „Wissen“ soll es bald möglich sein, sich über neue
digitale Techniken zu informieren. Im schon gestarteten Video-Format
„Gegenprobe“ tauschen sich Kritikerinnen aus: Ein professionelles Trio
diskutiert drei neue Inszenierungen, ähnlich wie im Literarischen Quartett,
nur ohne Bücher.
Zwischen den Jahren hat Nachtkritik.plus zudem ein Feiertagsspecial für
Kinder und Jugendliche gezeigt, mit Schauspiel- und Tanz-Performances. Ein
sehenswertes, gut kuratiertes und kostenfreies Programm, nur für wenige
Tage online. Hauptsächlich versucht sich Nachtkritik.plus jedoch im
kritischen Community-Gespräch über einzelne Theater-Aufzeichnungen. Ob das
tatsächlich mit der geschriebenen, analytischen Kritik mithalten halten
kann, muss sich zeigen.
6 Jan 2022
## LINKS
[1] https://www.spectyou.com/de
[2] /Theaterkritikerin-ueber-die-Coronakrise/!5734920
## AUTOREN
Barbara Behrendt
## TAGS
Theater
Online-Plattform
Kindertheater
Freie Szene
Zürich
taz Plan
Politisches Theater
Theater
Theater
Theater
## ARTIKEL ZUM THEMA
Theaterdebatte in der Deutschschweiz: Neuer Zürcher Schnitzer
Das Schauspielhaus Zürich zoge unter Benjamin von Blomberg und Nicolas
Stemann ein anderes Publikum an. Nun wurde ihr Vertrag nicht verlängert.
Theatervorstellungen in Berlin: Theater, ungelöst
Antike Cold Cases im RambaZamba und „Vögel“ der Liebe im BE, die
Sophiensaele rollen den Fall „Salomé“ auf, im TD geht es um die Grenzen der
Kraft.
Performance im Hebbel am Ufer Berlin: Mit bohrenden Geräuschen
Nicoleta Esinencus „Sinfonie des Fortschritts“ thematisiert illegale
Arbeitsbedingungen und Ausbeutung. Nach der Premiere tourt die Performance.
Werthers Leiden im Massenmedium: Sturm und Drang auf Ebay
Mit „werther.live“ beweist ein junges Team um die Regisseurin Cosmea
Spelleken, dass intimes, kluges und witziges Netztheater möglich ist.
Theaterkritikerin über die Coronakrise: „Arche Noah des Theaterdiskurses“
Kann Theater im Stream funktionieren? Im Gespräch erzählt Esther Slevogt,
Mitgründerin von nachtkritik.de, über das besondere Jahr und den Platz der
Kritik.
„Der Zauberberg“ als Livestream-Premiere: „Ich muss sterben“
Orientierungsverlust und Angst: Sebastian Hartmann inszeniert den
„Zauberberg“ in einer visuell überbordenden Livestream-Premiere in Berlin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.