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# taz.de -- Spielfilm „War Sailor“: Verlorene Lebenszeit
> Der Film „War Sailor“ erzählt, wie junge Norweger den Zweiten Weltkrieg
> erlebt haben. Dabei spielen Soldaten eine kleinere Rolle als Explosionen.
Bild: Unter Beschuss: Filmszene mit Kristoffer Joner in der Rolle des Seemanns …
„War Sailor“ ist ein Kriegsfilm, in dem kämpfende Truppen kaum vorkommen.
Soldaten haben hier nur kurze Auftritte an den Bildrändern. Im Zentrum der
Leinwand und der Geschichte stehen Zivilisten. Im Kontext des Genres ist
dies zwar ungewöhnlich, aber es erklärt sich schon dadurch, dass „War
Sailor“ ein norwegischer Film ist. Denn Norwegen war seit den Zeiten der
Wikinger keine Kriegspartei mehr. In beiden Weltkriegen blieb es neutral,
aber das hielt die deutsche Wehrmacht nicht davon ab, Norwegen im Jahr 1940
zu besetzten.
Erzählt wird die Geschichte von dem norwegischen Seemann Alfred Garnes,
seinem Freund Sigbjörn Kvalen und seiner jungen Familie. Die beiden Männer
heuern im Jahr 1939 auf einem Handelschiff an. Nach dem Beginn des Zweiten
Weltkriegs geraten sie zwischen die Fronten, denn sie müssen jederzeit mit
Angriffen von deutschen U-Booten auf dem Atlantik rechnen. Bis zum Ende des
Krieges kommen sie nicht mehr in die Heimat, nach [1][Bergen].
Dort muss Garnes junge Frau Cecilia ihre drei Kinder allein durchbringen.
Das wird unter der deutschen Besatzung immer schwieriger und gefährlicher.
Die zwei Seeleute sind dazu gezwungen, auf Handelsbooten weiter die
Weltmeere zu bereisen. Zwischen den Jahren 1939 und 1948 gehen sie in
Liverpool, Malta, New York, Hallifax und schließlich Singapore vor Anker.
Sie werden wiederholt angegriffen und schließlich wird ihr Schiff versenkt,
sodass sie als einzige Überlebende hilflos auf einem Floß im Atlantik
treiben. Diesen dramatischen Höhepunkt hat Regisseur Gunnar Vikene in einer
spektakulären Parallelmontage zu einem Luftangriff der Alliierten auf
Bergen geschnitten, der Cecilia und ihre Kinder in Lebensgefahr bringt.
Eine historische Begebenheit: Bei dem Versuch, einen deutschen U-Boot
Bunker zu bombardieren, trafen britische Bomber eine Grundschule und
Wohnhäuser. Hunderte Zivilisten starben. Dieser Angriff gilt in Norwegen
als die schlimmste Katastrophe des [2][Zweiten Weltkriegs]. Auch die
Familie des Regisseurs verlor einen zehnjährigen Jungen während des
Angriffs, und die Geschichte von Alfred und Sigbjörn basiert ebenfalls auf
Familienerzählungen, die Vikene schon seit seiner eigenen Jugend kennt.
Gunnar Vikene erzählt in epischer Breite und so ist sein Film mit 151
Minuten ein wenig zu lang geraten: Die erste Stunde von „War Sailor“ wirkt
wie eine nicht enden wollende Exposition.
In der gelingt es zwar eindrücklich, die [3][Angst] der Seeleute und die
Einsamkeit von Cecilia herauszuarbeiten. Aber trotz exotischer
Handlungsorte – ein Teil des Films ist auf Malta gedreht – entsteht nur ein
schwacher dramaturgischer Sog. Gezeigt werden soll damit, wie viel
Lebenszeit den Protagonisten geraubt wird, aber das Kunststück wäre
gewesen, Monotonie darzustellen, ohne sie zu erzeugen.
In den letzten anderthalb Stunden aber wird der Film spannender. Der
Torpedoangriff und die Bombardierung sind spektakulär in Szene gesetzt
worden und die computeranimierten Elemente sind so geschickt und sparsam
eingesetzt, dass sie nicht zu künstlich wirken. Bei den Szenen der in
Seenot geratenen Matrosen auf dem Floß nutzt Vikene die dramaturgischen
Tricks des Abenteuerkinos. Die Rettung kommt genau in einem
tragisch-ironischen Moment, den sich Jack London wohl auch nicht anders
ausgedacht hätte.
Eine Ironie der Zeitgeschichte besteht auch darin, das solch ein Film heute
ganz selbstverständlich als norwegisch-deutsche Koproduktion gedreht und
von den zwei norddeutschen Filmförderanstalten mitfinanziert wurde. Dass
die Aufnahmen zu einem große Teil hier entstanden sind, liegt dabei vor
allem an den hohen Drehkosten in [4][Norwegen]. So wurden die Sequenzen,
die im Bergener Wohnhaus von Cecilia und ihren Kindern spielen, in Groß
Thondorf bei Uelzen gefilmt. In Cuxhaven wurden auf dem Museumschiff „MS
Bleichen“ unter anderem Stuntszenen mit Explosionen gedreht.
Zum Ende hin mündet der Film in ein Familiendrama, weil die Männer
Schwierigkeiten haben, nach Kriegsende auch ihren eigenen Frieden zu
finden. Darum auch der bewegende Epilog, der im Jahr 1972 spielt und zeigt,
dass die Wunden von Alfred, Sigbjörn und Cecilia nie wirklich verheilt
sind. So ist „War Sailor“ eine Geschichte von Überlebenden und dennoch eine
Tragödie.
9 Feb 2023
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## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Film
Kriegsfilm
Norwegen
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Neu im Kino
NS-Gedenken
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Spielfilm
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