# taz.de -- „Oslo Stories: Sehnsucht“: Der Traum des Schornsteinfegers | |
> Es geht schon auch um Sex: Mit dem tastenden Spielfilm „Sehnsucht“ kommt | |
> die „Oslo Stories“-Trilogie von Dag Johan Haugerud vollständig ins Kino. | |
Bild: Schornsteinfeger unter sich (Jan Gunnar Røise li., Thorbjørn Harr) in �… | |
Als weltgewandter Mensch möchte man sich gleich schon darüber mokieren, | |
dass ein Film, der im – norwegischen – Original „Sex“ betitelt ist, fü… | |
deutschen Verleih in „Oslos Stories: Sehnsucht“ umgetauft wird. Aber | |
abgesehen davon, dass die Umbenennung den Kinobetreibern hierzulande sicher | |
einige Erklärungen gegenüber schlecht informierter Kundschaft erspart, | |
zeigt man sich mit der leicht überheblichen Reaktion auch schon ins Thema | |
des Films verstrickt. | |
Denn in „Sex/Sehnsucht“ geht es genau um das: den offenen Umgang mit den | |
Themen sexuelle Orientierung und sexuelle Identität und wie die Wahrnehmung | |
von anderen die Einzelnen wiederum einschränkt und beeinflusst. Es geht | |
auch darum, dass durch offenes Reden die Widersprüche und Probleme oft | |
nicht wegzureden sind. So sehr die Figuren es in diesem Film auch | |
probieren. | |
„Sex“ ist der Auftaktfilm der „Oslo-Stories“-Trilogie, mit der der | |
norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud sich der europäischen | |
Kinolandschaft im letzten Jahr bekannt machte. Wären seine Filme nicht so | |
entschieden antimartialisch, könnte man von einem regelrechten Siegeszug | |
sprechen: „Sex“ feierte auf der Berlinale 2024 seine Premiere noch in der | |
Nebensektion Panorama; [1][„Liebe“] war im vergangenen September bereits im | |
Wettbewerb von Venedig eingeladen und [2][„Träume“] eroberte schließlich | |
vor wenigen Monaten den [3][Goldenen Bären auf der Berlinale]. Wie um zu | |
unterstreichen, dass die Trilogie keine inhärente Reihenfolge hat, bringt | |
der deutsche Verleih nach „Liebe“ und „Träume“ „Sehnsucht/Sex“ nun… | |
Letztes ins Kino. | |
„Sehnsucht“ ist der düsterste der drei Filme, glänzt aber zugleich mit dem | |
untergründigsten Humor. Man spürt davon etwas in der fast schon ikonischen | |
Szene, die die meisten Filmplakate schmückt: Da sitzen zwei | |
Schornsteinfeger in ihren schwarzen Uniformen auf einem Dach und reden über | |
Sex. Es hat etwas von einem Kinder- oder Märchenfilm, aber gleichzeitig ist | |
es auch feinster, kleinteiliger Realismus. | |
Als wären sie in einer Therapiesitzung, erzählt Schornsteinfeger | |
Avdelingsleder (Thorbjørn Harr) seinem Kollegen Feier (Jan Gunnar Røise) | |
von einem Traum, der ihn verstörte. Er sei darin einer gottgleichen Person | |
begegnet, die sich als David Bowie herausstellte. Das Verstörende bestand | |
darin, dass dieser Traum-Bowie ihn, den Schornsteinfeger, mit einem | |
gewissen Begehren behandelt und angeschaut habe, in etwa so, als sei er | |
eine Frau. Er erzählt davon mit einem Mut zur Ehrlichkeit, die das Lachen | |
sofort ersticken lässt. Auch, weil der Erzählende selbst es sich beim | |
Nachdenken über den originellen Traum alles andere als einfach macht. Er | |
ist irritiert, fühlt sich aber auch sehr dazu angeregt, den ungewohnten | |
Gefühlen, nachzuforschen. | |
## Beiläufiger Sex | |
Sein Gegenüber antwortet mit einem in gewisser Weise noch schockierenderen | |
Geständnis. Schockierender, weil es sich nicht nur im Traum abspielte. Er | |
habe neulich zum ersten Mal Sex mit einem Mann gehabt, berichtet Feier. Die | |
Begegnung war beiläufig und zufällig, ein Kunde, bei dem er zur | |
Schornsteinwartung war, habe es ihm freundlich vorgeschlagen und nachdem er | |
zuerst abgelehnt habe, sei er doch noch darauf eingegangen. | |
Es sei ein wirklich einschlägiges Erlebnis gewesen, bei dem er sich und | |
seinen Körper neu und anders gespürt habe. Dabei empfand er das Ganze als | |
eine solche Ausnahmesituation, dass er weder an der eigenen heterosexuellen | |
Orientierung zweifelt noch daran denkt, dass er seine Frau betrogen hat. | |
Weshalb der treue Familienvater es ihr auch gleich erzählt hat. Aber wer | |
könnte Revisor (Siri Forberg) verübeln, dass sie es ganz anders empfindet? | |
Ein Glas Bier mache ihn doch auch noch nicht zum Alkoholiker, gibt Feier | |
zum Besten, als erneut die Frage auftaucht, ob er nicht eigentlich schwul | |
sei. Der Vergleich passt zwar nicht ganz, aber in ihm drückt sich gerade | |
deshalb das Tastende dieses Films gut aus. Haugerud interessiert sich als | |
Autor und Regisseur nicht für Schubladen und Labels, sondern für | |
Transformationen und Potenziale. Die Meisterschaft seines subtil | |
geschriebenen Drehbuchs und seiner zurückhaltenden Inszenierung mit ihren | |
langen, ungeschnittenen Dialogszenen zeigt sich in dem, was hinter der | |
Fassade des gepflegten norwegischen Umgangs alles passiert. Avdelingsleder | |
freundet sich mit seiner „weiblichen Seite“ an, wenn man so will, und | |
findet in seinem Sohn einen überraschenden Verbündeten. | |
Feier dagegen sieht seine Ehe in die Krise rutschen und empfindet immer | |
mehr Ungewissheit über sich selbst und seinen Platz in der Welt. Haugeruds | |
„Oslos Stories“ sind keine Wohlfühlfilme, in denen Menschen nach einer | |
Periode der Krise so einfach zur Behaglichkeit zurückkehren. Im Reichtum | |
der dialogischen Verstrickungen, aus denen seine Filme bestehen, zeichnen | |
sich Abhängigkeiten und gesellschaftliche Bedingtheiten ab. Wer wir sind, | |
wen wir lieben, hat vielleicht mehr mit der Definitionsmacht von anderen zu | |
tun, als wir wahrhaben wollen. | |
22 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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