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# taz.de -- Vor dem EU-Sondergipfel Migration: Mehr Grenzschutz und Abschiebung…
> Rechter Akzent durch EU-Ratspräsidentschaft: EU-Länder, Libyen und
> Tunesien arbeiten enger zusammen, um Fluchtmöglichkeiten zu reduzieren.
Bild: Zerstörtes Boot an der Küste von Lesbos
Berlin taz | Was in der Europäischen Union (EU) offiziell verpönt war, will
die schwedische Ratspräsidentschaft nun zur Regel werden lassen: Die EU
soll ganz offen mit der libyschen Küstenwache kooperieren, damit diese
Flüchtlinge auf dem Meer einfängt und zurück nach Libyen bringt. 59
Millionen Euro sollen dafür ausgezahlt werden. Eine „Koordinierungsgruppe“
der Behörden von Italien, Malta, Libyen und Tunesien für „besser
koordinierte Such-, Rettungs- und Abfangmaßnahmen und Abfangoperationen“
soll eingerichtet werden. Das geht aus einem schwedischen Papier vom 11.
Januar hervor, das der taz vorliegt. Erst kürzlich hatte [1][Amnesty
International die Bedingungen für Flüchtlinge in Libyen] „höllisch“
genannt.
Um solche Themen wird es gehen, wenn sich am Donnerstag die EU-Staats- und
Regierungschefs zum Sondergipfel in Brüssel treffen. Neben dem Krieg in der
Ukraine und der Inflation steht die Migration auf der Tagesordnung. Vor
Kurzem veröffentlichte Frontex, die EU-Grenzschutzagentur, die
Ankunftszahlen für 2022. Circa 330.000 irreguläre Grenzübertritte wurden an
den EU-Außengrenzen festgestellt, der höchste Wert seit 2016, 64 Prozent
mehr als der coronabedingt niedrige Vorjahreswert. Hinzu kommen rund 4,8
Millionen registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine.
Es ist der erste EU-Gipfel, seit Anfang Januar Schweden turnusmäßig die
Ratspräsidentschaft übernommen hat. Das Land wird seit Oktober [2][von
einer Minderheitsregierung geführt, die von den rechtsextremen
Schwedendemokraten unterstützt wird]. Es verwundert nicht, was Schweden
sich für seine sechsmonatige Präsidentschaft vorgenommen hat: „Es besteht
die dringende Notwendigkeit, die Außengrenzen zu stärken, die Rückführung
zu erhöhen und irreguläre Migration zu verhindern“, heißt es in einer
Erklärung der Ratspräsidentschaft nach dem Treffen der EU-Innenminister in
Stockholm Ende Januar.
Genau wie alle Vorgänger-Präsidentschaften will also auch Schweden die
Abschottung vorantreiben. Mehr Grenzschutz und mehr Abschiebungen,
Kooperation mit Transitstaaten und Herkunftsländern. Diese Rezepte verfolgt
die EU seit 2016, ohne dass die Ankunfts- oder Abschiebezahlen
zurückgegangen wären. Deshalb will Schweden nun die bisherigen Hemmungen
bei der Kooperation mit Libyen fallen lassen. „Statt den Kampf gegen
Asylsuchende auf immer unmenschlichere Ebenen zu heben, müssen die
EU-Staaten endlich Verantwortung übernehmen – bei der Verteilung von
Schutzsuchenden in Europa und bei der Seenotrettung im Mittelmeerraum“,
sagte der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt.
## Vierpunkteplan gegen irreguläre Migration
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2020 einen
Reformvorschlag für das EU-Asylsystem gemacht, das unter anderem auf
Schnellverfahren in neuen Lagern an den Außengrenzen setzt. Doch ihr
„Migrationspakt“ wurde nie angenommen: [3][einer Reihe osteuropäischer
Staaten war er nicht rigoros genug]. Weil sie mit dem Migrationspakt nicht
weiterkommt, hatte von der Leyen in der vergangenen Woche dem EU-Parlament
einen abgespeckten Vierpunkteplan gegen irreguläre Migration vorgelegt.
Diesem Plan werden die Regierungschefs am Donnerstag wohl weitgehend
folgen. Das sieht jedenfalls die schon vorab weitgehend ausgehandelte
Abschlusserklärung des Gipfels vor.
2022 hat die libysche Küstenwache nach UN-Angaben über 24.000 Menschen auf
dem Meer abgefangen. Gleichzeitig kamen 105.000 Menschen aus Libyen und
Tunesien über den Seeweg in Italien an. Das soll künftig schwieriger
werden. Dabei sind Abschiebungen nach Libyen wegen der katastrophalen
Menschenrechtslage für die EU-Staaten selber verboten.
## Serbien, der Problemfall in Europa
Noch im Herbst hatten die EU-Innenminister Serbien als einen der größten
Problemfälle ausgemacht. 146.000 irreguläre Einreisen entfielen 2022 auf
die Westbalkanroute, weit mehr als das Doppelte des Vorjahres. Serbien
spielte dabei eine wichtige Rolle, weil das Land relativ großzügig Menschen
aus Staaten einreisen ließ, die beim Kosovo die Linie der Regierung in
Belgrad teilen. Die Zahl der irregulären Ankünfte über Serbien in der EU
hatte sich deshalb bei einigen Herkunftsländern, etwa Bangladesch, stark
erhöht. Das Land müsse [4][„jetzt die Visapraxis ändern“, sagte im Oktob…
Innenministerin Nancy Faeser]. Sollte Serbien sich nicht kooperativ zeigen,
könne dem Land die seit 2009 geltende Visafreiheit für den Schengenraum
entzogen werden, so Brüssel.
Belgrad gab offenbar nach: „Die enge Zusammenarbeit hat zu positiven
Ergebnissen“ beim Migrationsmanagement und bei irregulären Einreisen über
Serbien in die EU geführt, sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson
Ende Januar. Das soll der EU-Gipfel formell feststellen und weitere
Schritte auffordern.
## Mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex intensiver arbeiten
Von der Leyen will, dass die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei mit
Drohnen und mehr Frontex-Beamten abgedichtet wird. Länder, aus denen
derzeit viele Menschen in die EU kommen – namentlich Ägypten, Tunesien,
Marokko Nigeria, Bangladesch und Pakistan – sollen mit einer diplomatischen
Offensive zur Kooperation bewegt werden. Um die Zusammenarbeit mit diesen
und anderen Staaten bei der Migrationskontrolle zu verstärken, sollen
Instrumente wie der [5][NDICI] „bestmöglich genutzt werden“. Beim NDICI
handelt es sich um einen bis 2027 laufenden, fast 80 Milliarden Euro
schweren EU-Haushaltstitel, auch als „außenpolitisches Instrument“ bekannt.
Der war von von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker ersonnen worden,
um EU-Finanzhilfen für Drittstaaten leichter an Bedingungen zu knüpfen –
zum Beispiel in der Migrationspolitik. Genau das will von der Leyen jetzt
angehen. Sie verwies darauf, dass jedes Jahr in der EU rund 300.000
Rückführungen beschlossen, aber nur 70.000 Menschen tatsächlich in ihre
Herkunftsländer zurückgebracht würden. Die EU lastet dies vor allem den
Herkunftsländern an, weil diese zu unwillig Pässe ausstellen. Tatsächlich
ist in sehr vielen Fällen eine Abschiebung aus anderen Gründen nicht
möglich.
## Der Asylverfahren nach Afrika auslagern
Die Bundesregierung will nach Angaben des Sonderbevollmächtigten für
Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), die Verlegung von Asylverfahren
nach Afrika prüfen. „Dann würden auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für
ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden“, [6][sagte der Politiker
der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung]. „Das erfordert aber sehr viel
Diplomatie und einen langen Vorlauf.“ Diese Idee ist etwa 20 Jahre alt,
aber nicht totzukriegen, auch wenn sich die Staaten Nordafrikas bislang
dagegen sperren.
In diese Richtung denkt auch die schwedische Ratspräsidentschaft. Noch vor
Ende der Amtszeit, im Sommer 2023, will Stockholm „Möglichkeiten zur
Verbesserung der Ausschiffung von Migranten in Libyen“ sondieren, und zwar
an Orten, an denen die Menschen „von den libyschen Behörden unter voller
Wahrung ihrer Menschenrechte behandelt werden und der Hohe
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Internationale
Organisation für Migration (IOM) uneingeschränkten Zugang haben“, so das
schwedische Papier vom 11. Januar. Der Hintergedanke liegt auf der Hand:
die Auslagerung der Asylverfahren nach Afrika.
8 Feb 2023
## LINKS
[1] https://www.amnesty.org/en/location/middle-east-and-north-africa/libya/
[2] /Rechtsruck-in-Schweden/!5881825
[3] /Reaktionen-auf-Asylpakt-der-EU/!5716521
[4] /Innenministerin-zu-Migration-in-die-EU/!5889758
[5] https://www.bmz.de/de/service/lexikon/instrument-fuer-heranfuehrungshilfe-i…
[6] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/migrationsbeauftragter-joachim-s…
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
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