# taz.de -- Migrationsreform der EU: Soli-Pool statt Verteilmechanismus | |
> Die geplante EU-Migrationsreform nimmt Gestalt an. Kritiker*innen | |
> warnen vor einer Einschränkung des Asylrechts und mangelhaftem | |
> Datenschutz. | |
Bild: Ein Geflüchteter macht das Siegeszeichen bei der Ankunft am Hafen von Ca… | |
Berlin taz | Bei den Verhandlungen über [1][den 2020 präsentierten | |
EU-Migrationspakt] ist ein Ende in Sicht. Eine Vertreterin der | |
EU-Kommission sagte am Donnerstag in Berlin, sie rechne damit, dass der aus | |
zehn Gesetzesvorlagen bestehende Pakt im Februar 2024 beschlossen werde. | |
Die sogenannte Trilog-Abstimmung zwischen Rat, Parlament und Kommission sei | |
seit Kurzem im Gang. Mit dem Pakt sollen weite Teile des EU-Asylsystems | |
reformiert und auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt werden. | |
Auf dem Tisch liegt auch ein Vorschlag der Kommission für eine Reform der | |
Dublin-Verordnung. Die Länder der ersten Einreise Schutzsuchender – also | |
meist jene an der Außengrenze – sollen demnach auch weiter für | |
Asylverfahren, Aufnahme und Versorgung zuständig bleiben. Genau das lehnen | |
Außengrenzen-Staaten wie Italien und Griechenland allerdings weiter ab. | |
Lediglich für Ausnahmefälle, etwa bei familiärem Bezug oder | |
Voraufenthalten, hat die Kommission die Möglichkeit einer Weiterreise für | |
ein Asylverfahren in ein anderes EU-Land vorgeschlagen. Das wiederum ist | |
dem Vernehmen nach anderen Staaten in Zentraleuropa nicht recht. | |
Auch einen festen Verteilmechanismus innerhalb der EU soll es künftig nicht | |
geben. Entlastung für die Außengrenzen-Staaten soll nach dem Willen der | |
Kommission stattdessen ein „Solidaritätspool“ bringen, über den andere | |
EU-Mitglieder entweder freiwillig Aufnahmeplätze oder ersatzweise Geld- | |
oder Sachleistungen bereitstellen können. | |
## Kritik von Migrationsforscher | |
Für den bereits seit Juni 2022 geltenden freiwilligen Verteilmechanismus | |
hätten sich bereits 13 EU-Staaten gemeldet, sagte die | |
Kommissionsvertreterin. Über diesen sollen zunächst bis Mitte diesen Jahres | |
12.000 Menschen aus Italien und Zypern umverteilt werden. Die schleppende | |
Umsetzung – Deutschland etwa hat bisher nur rund 20 Prozent der zugesagten | |
Zahl an Menschen aufgenommen – sei unter anderem auf die unterbesetzte | |
Verwaltung in Zypern zurück zu führen, sagte die Kommissionsvertreterin. | |
Hinzu komme, dass die Aufnahmestaaten – vor allem Deutschland und | |
Frankreich – Bedingungen stellten, wer kommen dürfe und vor allem solche | |
Schutzsuchende mit einer hohen Bleibe- und Integrationsperspektive | |
einreisen lassen wollen. | |
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte der taz am, dass Deutschland | |
bis Mitte April im Rahmen des freiwilligen europäischen | |
Solidaritätsmechanismus insgesamt 744 Personen übernommen habe, davon 525 | |
aus Italien und 219 aus Zypern. Weitere Übernahmen seien geplant, das | |
zugesagte deutsche Kontingent umfasse bis zu 3.500 Plätze. Ein Jahr nach | |
seinem Inkrafttreten – also im Sommer – solle Bilanz gezogen und über eine | |
mögliche Verlängerung entschieden werden. Über Einzelheiten des Mechanismus | |
hätten die beteiligten EU-Staaten „im Interesse der vertraulichen | |
Zusammenarbeit“ Verschwiegenheit vereinbart. | |
Bei einer Veranstaltung des Mediendienst Integration kritisierte der Jurist | |
und Migrationsforscher Constantin Hruschka die Reformpläne der Kommission. | |
Mit den geplanten Änderungen drohen juristische Probleme, etwa weil der | |
Zugang zum Asylverfahren womöglich unzulässig eingeschränkt werde. „Auch | |
die Rechte der Flüchtlinge, sich gegen negative Asylentscheidungen zu | |
wehren, sind bedroht.“ Das betreffe insbesondere die geplanten so genannten | |
beschleunigten Grenzverfahren. | |
Außerdem könnte die Gefahr steigen, dass Staaten auf Pushbacks setzen, um | |
Flüchtlinge fernzuhalten, so Hruschka. „Uneindeutigkeiten bei den geplanten | |
Regelungen könnten dazu ermuntern, zu solchen illegalen Maßnahmen zu | |
greifen.“ Hruschka fürchtet zudem Datenschutzprobleme. Die EU Plane, mehr | |
Daten über Schutzsuchende zu sammeln, diese länger zu speichern und anderen | |
Daten zu kombinieren. Gleichzeitig sollen dann auch deutlich mehr Stellen | |
Zugriff auf diese sensiblen Daten bekommen, etwa die deutschen | |
Ausländerbehörden. | |
20 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] /EU-legt-Migrationspakt-vor/!5711722 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
Frederik Eikmanns | |
## TAGS | |
Europäische Union | |
Europäische Kommission | |
Migration | |
Mittelmeer | |
Moria | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flucht über das Mittelmeer: Unterlassene Hilfeleistung | |
Seit Beginn des Jahres sind 600 Menschen bei dem Versuch gestorben, das | |
Mittelmeer zu überqueren. Die UN-Hilfsorganisation ruft zu Solidarität auf. | |
Vor dem EU-Sondergipfel Migration: Mehr Grenzschutz und Abschiebungen | |
Rechter Akzent durch EU-Ratspräsidentschaft: EU-Länder, Libyen und Tunesien | |
arbeiten enger zusammen, um Fluchtmöglichkeiten zu reduzieren. | |
Migrations- und Asylpolitik der EU: Freiheitsentzug als Programm | |
2020 brannte das griechische Flüchtlingslager Moria ab. Die EU versprach | |
einen Neustart und ließ neue Camps bauen. Wie leben die Ankommenden dort? |