| # taz.de -- Südukraine unter Beschuss: Cherson, leidgeprüft und stolz | |
| > Zweieinhalb Monate nach der Befreiung Chersons haben die | |
| > Ukrainer:innen endlich ihre Angst verloren. Doch der russische | |
| > Beschuss geht weiter. | |
| Bild: Marktverkäuferin wartet auf Kundschaft, Cherson nach der Befreiung im No… | |
| Schon in den ersten Minuten nach der Bekanntgabe, dass Cherson von der | |
| russischen Besatzung [1][befreit worden war], wollte ich hierherkommen. Wie | |
| alle Ukrainer*innen habe ich mit angehaltenem Atem beobachtet, wie die | |
| mutigen Einwohner*innen von Cherson drei Monate lang friedlich gegen | |
| die Besatzer protestierten. Ukrainische Fahnen gegen russische Panzer. Es | |
| war unmöglich, ohne Tränen, Angst und Bewunderung zuzusehen. | |
| Achteinhalb Monate später gelang es der ukrainischen Armee, [2][Cherson zu | |
| befreien]. Drei Tage lang feierten die Menschen. Heute ist die Euphorie der | |
| Unruhe gewichen. Jeden Tag werden in Cherson und im befreiten Teil der | |
| Region Einheimische getötet oder verletzt. Die russischen Einheiten | |
| beschießen die Städte und Dörfer nun vom linken Ufer des Flusses Dnipro, | |
| der die Region in zwei Hälften teilt, mit Mörsern, Kanonen und | |
| Raketenartillerie. | |
| Ständig kommt es zu Artilleriegefechten zwischen Besatzern und ukrainischer | |
| Armee. „Das sind unsere. Sie antworten. Haben Sie keine Angst!“– sagen | |
| beruhigend und mit ein wenig Stolz die Einheimischen, die gelernt haben, | |
| die Geräusche von Explosionen zu unterscheiden. | |
| Die Russen werden hier nur „Orks“ genannt. Generell kann man in Cherson | |
| kaum noch etwas Gutes über Putin, Russland und die Russen selbst hören. Mit | |
| der Besetzung der Stadt hängten die Okkupanten Plakate mit den Slogans | |
| „Russland ist für immer hier“, „Cherson ist eine russische Stadt“ und | |
| „Cherson gehört für immer zu Russland“ an die Straßen. | |
| ## Die „ewige russische Stadt“ | |
| Diese Slogans sind inzwischen zu lokalen Witzen und Memes geworden. Oft | |
| hört man von Einheimischen über einen erneuten Beschuss mit der ironischen | |
| Bemerkung: „Oh, die beschießen schon wieder ihre ewige russische Stadt!“ | |
| Obwohl die Strom- und Wasserversorgung in fast allen Teilen Chersons | |
| wiederhergestellt wurde, hat es das Leben hier nicht eilig zurückzukehren. | |
| Die Stadt ist menschenleer, denn es ist nicht abzusehen, wo die Granaten | |
| nach einem weiteren chaotischen Beschuss einschlagen werden. | |
| Einige Teile der Stadt, die näher am Flussufer liegen, sind wie | |
| ausgestorben: Die Geschäfte sind geschlossen, die Fenster mit Schildern | |
| vernagelt und es sind keine Menschen auf den Straßen. Die öffentlichen | |
| Verkehrsmittel fahren ab 15 Uhr nicht mehr, selbst relativ belebte Straßen | |
| werden bei Einbruch der Dunkelheit menschenleer und ab 19 Uhr gilt eine | |
| Ausgangssperre. | |
| Obwohl die Kämpfe nach der Befreiung der Stadt wieder aufgenommen wurden, | |
| sind Moral und Optimismus der Chersoner:innen weiterhin hoch. Die | |
| Menschen geben zu, dass sie nach achteinhalb Monaten unter der Besatzung | |
| erst jetzt anfangen, mit erhobenem Kopf durch die Straßen zu gehen und dass | |
| das Lächeln in ihre Gesichter zurückkehrt. Sie haben keine Angst mehr. Das | |
| Wichtigste ist, dass sie wieder zu Hause sind. Und sie sind bereit, jedes | |
| Leid zu ertragen, nur um die Rückkehr der Besatzer zu verhindern. | |
| Finanziert wird das Projekt von der [3][taz Panter Stiftung]. | |
| Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [4][edition.fotoTAPETA] | |
| im September herausgebracht. | |
| 23 Jan 2023 | |
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| [4] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
| ## AUTOREN | |
| Anastasia Magasowa | |
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