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# taz.de -- Ermordete Zivilisten in der Ukraine: Die Wucht leerer Gräber in Is…
> Vor einem halben Jahr wurden in einem Wald in der Ostukraine die Morde an
> Einwohner*innen aufgedeckt. Der Schock über die Grausamkeiten hält
> an.
Bild: Ein Blick auf nicht identifizierte Gräber von Zivilisten und ukrainische…
Ich stehe vor einem lackierten Holzsarg, der aus dem Boden gegraben wurde.
Der Deckel ist leicht zurückgeschoben. Das Innere ist leer. Der Schnee hat
das Loch im Sand etwas verdeckt, aber das macht den Anblick nicht weniger
erschreckend. Es gibt hier noch mindestens vierhundert weitere ausgegrabene
Gräber wie dieses.
Ich bin Journalistin und habe in diesem Krieg viel gesehen – Eltern, die
vor Hilflosigkeit über den Leichen ihrer ermordeten Kinder weinen,
Verwundete und Sterbende, Hingerichtete und Verbrannte. Aber jetzt, im
Wald, zwischen den Hunderten von ausgegrabenen Gräbern, wollte ich auf die
Knie fallen, den Kopf in den Himmel recken und schreien. Ich wollte, dass
sich mein Schrei weit über die Kronen dieser Kiefern erhebt. Es war, als ob
ich jemandem zurufen wollte, der dem Ganzen endlich ein Ende setzen könnte.
Ob ich das wirklich mit meinen eigenen Augen sehe?
Vor drei Monaten wurden 451 Leichen aus diesen Gruben exhumiert. Siebzehn
von ihnen gehörten dem ukrainischen Militär an und wurden von den
russischen Besatzern in der gleichen Grube verscharrt. Die anderen jedoch,
[1][die in diesem Wald von Isjum in der Region Charkiw im Nordosten der
Ukraine begraben wurden, waren Zivilist*innen] – Bewohner*innen von
Isjum, die in den ersten Monaten der russischen Großinvasion in der Ukraine
getötet worden waren.
Ende September, als die Stadt geräumt wurde und dieses Massengrab im Wald
gefunden wurde, [2][schockierten die Bilder von diesem Ort die Welt].
Obwohl jetzt keine Leichen mehr zu sehen sind, ist der Ort nicht weniger
erschreckend: Die Gruben, die leeren Särge, die Holzkreuze, auf denen
Nummern statt Namen stehen – so etwas könnte sich nicht einmal der
Regisseur eines Horrorfilms ausdenken.
Einige wenige Bestatter, die in Isjum geblieben sind, haben hier Menschen
zwischen den Bombardierungen begraben. Oft wussten sie nicht, wen sie
beerdigten, also schrieben sie Nummern auf die Kreuze. So wurden in einem
der Gräber vier Generationen derselben Familie – eine Urgroßmutter, eine
Großmutter, ihre Tochter und deren Ehemann sowie deren Kind – auf einmal
begraben. Sie sind alle am selben Tag gestorben, am 9. März 2022. Eine
russische Bombe fiel auf ihr mehrstöckiges Wohnhaus. Etwa 45 weitere
Menschen starben mit ihnen.
Die meisten der so eilig in diesem Wald Begrabenen wurden bereits
identifiziert. Aber es gibt immer noch etwa ein Dutzend Leichen, deren
Überreste so verstümmelt sind, dass die Fachleute noch rätseln.
Niemand kann vorhersagen, wann dieser Prozess abgeschlossen sein wird.
Schließlich werden jede Woche neue Leichen von Menschen, [3][die während
der russischen Besatzung ermordet wurden, im befreiten Teil der Region
Charkiw gefunden]. Und das Gefühl dieser Unendlichkeit lässt einen sich
machtlos fühlen.
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung].
Ein Sammelband mit Texten dieser Kolumne „Krieg und Frieden“ ist im Verlag
[5][edition.fotoTAPETA erschienen].
9 Mar 2023
## LINKS
[1] /Mutmassliche-Kriegsverbrechen/!5882057
[2] /Massengraeber-in-Isjum/!5879394
[3] /Grenzstadt-Wowtschansk/!5912467
[4] /Osteuropa-Projekte/!vn5913530
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Isjum
Kriegsverbrechen
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