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# taz.de -- Russischer Abzug aus Cherson: Freudentränen und Freiheitsgefühle
> In Cherson im Süden der Ukraine herrscht eine ausgelassene Stimmung. Die
> Rückeroberung stellt einen Wendepunkt im Krieg dar.
Bild: Erleichterte Gesichter am 12. Novmeber in Cherson
taz | „Wir sind keine Sklaven. Wir sind Ukrainer*innen und wir sind
stolz darauf“, sagt Julia mit Tränen in den Augen zu einem Korrespondenten
des [1][US-Senders CNN] am Samstag. In eine ukrainische Flagge gehüllt,
steht sie auf dem zentralen Platz der Stadt Cherson. Um sie herum haben
sich Hunderte Bewohner*innen versammelt, die vor Freude weinen, Fahnen
schwenken und jubeln.
Am Donnerstag liefen in der Stadt noch russische Besatzer herum, am Freitag
erreichten ukrainische Streitkräfte die Stadt, wo ihnen Menschen mit Blumen
und Umarmungen begegneten. „Auf den Straßen der Stadt herrscht eine
Atmosphäre, als ob die Ukraine zwei Weltmeisterschaften auf einmal gewonnen
hätte, aber eigentlich müsste man diese Zahl mit 10 multiplizieren“,
schreibt ein ukrainischer Arzt aus Cherson auf seiner Facebook-Seite.
Cherson ist die einzige Regionalhauptstadt, die die russische Armee seit
Kriegsbeginn Ende Februar durchgehend besetzen konnte. Jetzt mussten sie
Cherson, sowie Dutzende andere Ortschaften, nach achteinhalb Monaten
[2][wieder verlassen]. Dies ist kein freiwilliger Rückzug oder eine Geste
des guten Willens des Kremls, wie dieser selbst gerne behauptet. Dies ist
der Erfolg des ukrainischen Militärs. Diesem ist es gelungen, die
Lieferketten und Versorgungswege der Russen langsam, aber gezielt zu
zerstören. All dies wäre natürlich nicht ohne westliche Waffenlieferungen
an die Ukraine möglich gewesen.
Diese Aktionen führten zu einer der größten Niederlagen der russischen
Armee – [3][der Flucht aus Cherson] – der Stadt, die Russland noch vor
anderthalb Wochen nach einem Pseudoreferendum zu einem Bestandteil der
Föderation erklärt hatte. Jetzt sehen die Werbetafeln, die die Besatzer
überall in der Stadt aufgehängt haben, mit Aufschriften wie „Cherson ist
eine russische Stadt“ oder „Russland ist für immer hier“, besonders dumm
aus.
Dass die ganze Absurdität der russischen Besatzung auf diese Weise enden
würde, war von Anfang an klar. Hier hatten unbewaffnete Anwohner*innen
Kolonnen mit russischer Militärausrüstung mit ihren Körpern gestoppt, sie
waren aus Protest auf die Straßen gegangen und hatten den Besatzern
zugerufen, sie sollen nach Hause zurückkehren. Und sie haben eine aktive
Partisanenbewegung angeführt.
Ohne Strom, Heizung und Wasserversorgung
Cherson lebt seit zwei Wochen ohne Strom, Heizung und Wasserversorgung. Die
Kommunikation mit der Außenwelt ist abgeschnitten. Als die Russen abzogen,
zerstörten die Besatzer die Infrastruktur – sie sprengten Stromleitungen,
Kommunikationstürme und Brücken, verminten Straßen und Gebäude und
versuchten, den Vormarsch der ukrainischen Truppen zu verlangsamen, um Zeit
für ihren Rückzug zu gewinnen.
Es wird Wochen dauern, um die Kommunikation wiederherzustellen und die
zahlreichen Minen zu räumen. Und noch immer ist die Stadt von
Bombardierungen bedroht. Doch die Befreiung von Cherson stellt einen
wichtigen Wendepunkt im Krieg dar. Als die ersten Fotos und Videos aus den
befreiten Dörfern und Städten am rechten Dnipro-Ufer des Chersongebiets in
den sozialen Netzwerken auftauchten, hielten die Ukrainer*innen in
Erwartung, dass bald wieder die ukrainische Flagge über Cherson wehen
würde, den Atem an.
Aber die ersten, die die Flagge auf dem zentralen Platz hissten, waren die
Anwohner*innen selbst, noch bevor das ukrainische Militär dort
offiziell auftauchte. Erstaunlicherweise haben die Menschen neben der
ukrainischen Flagge die der Europäischen Union angebracht. Beide Fahnen
wurden jetzt an der Stelle gehisst, wo vor Kurzem noch ein Lenindenkmal
gestanden hatte.
Wichtiges Symbol
Die Rückkehr Chersons unter ukrainische Kontrolle ist ein Symbol, das
keinen Zweifel daran lässt, dass die Ukrainer diesen Krieg gewinnen können.
Vielleicht erscheint der Autorin dieser Zeilen zum ersten Mal seit acht
Jahren die Deokkupation ihrer Heimat Krim als reales Szenario, das in
absehbarer Zeit eintreten könnte. Die Ukrainer*innen haben den Willen
zur Freiheit, sie wissen genau, wofür sie kämpfen und wofür sie sterben.
Unabhängig davon, was russische Propagandisten sagen, verdankt sich der
Rückzug der Besatzer aus den Gebieten Kyjiw, Tschernihiw, Sumy, Charkiw und
einem Teil der Region Cherson einer enormen Anstrengung der ukrainischen
Armee.
Auch wenn es derzeit viel Freude und Euphorie über die Befreiung von
Cherson gibt: Jede und jeder in der Ukraine versteht, welcher Preis
dahintersteckt, wie viele Soldaten auf diesem Weg starben und wie viele
Zivilisten getötet wurden. So viel zahlt die Ukraine für ihr Recht zu
existieren. Dieses Recht kann ihr niemand nehmen.
Aus dem Russischen: Barbara Oertel
13 Nov 2022
## LINKS
[1] https://edition.cnn.com/2022/11/12/europe/kherson-city-ukraine-russia-intl/…
[2] /Rueckzug-der-russischen-Armee-aus-Cherson/!5894370
[3] /Abzug-russischer-Truppen/!5894410
## AUTOREN
Anastasia Magasowa
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Russland
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