| # taz.de -- Russischer Abzug aus Cherson: Suche nach nächster Niederlage | |
| > Nach Cherson will die Ukraine weitere Gebiete befreien. In westlichen | |
| > Kreisen werden Ideen für Russlands Kapitulation durchgespielt. | |
| Bild: Ultranationalisten vs. Angehörige von Kriegsopfern: Putin sitzt innenpol… | |
| taz | Russland konnte zu Beginn des Kriegs Cherson kampflos besetzen, weil | |
| lokale Behörden die Stadt freiwillig übergaben. Damals nutzte es | |
| Zerrissenheiten innerhalb der Ukraine aus. Jetzt hat die Ukraine Cherson | |
| kampflos befreit – und diesmal ist es ein Anzeichen für Spaltungen auf der | |
| russischen Seite, die zum [1][Ende des Kriegs] führen könnten. | |
| Der rechtsextreme russische Nationalist Alexander Dugin warf Putin am | |
| Samstag vor, die „russische Welt“ zu verraten, indem er „russische Städt… | |
| wie Cherson nicht verteidige. Militärblogger im Umfeld der privaten | |
| Söldnerorganisation Wagner, deren Kämpfer an der Front um Donezk | |
| verlustreiche Großoffensiven führen, nannten den [2][Rückzug aus Cherson] | |
| einen „Ausverkauf“. Dugin sah sich am Sonntag zu einem Dementi genötigt: | |
| Dass er Putins Rücktritt fordere, sei eine „Falschmeldung“. | |
| Doch das US-amerikanische Institute for the Study of War, das solche | |
| Äußerungen aus russischen sozialen Medien am Sonntag verbreitete, | |
| analysiert: „Putin hat es schwerer, Teile seiner hochideologisierten | |
| kriegsbefürwortenden Anhängerschaft zufriedenzustellen, wegen der | |
| Unfähigkeit seines Militärs, seine Maximalziele des Sturzes der | |
| ukrainischen Regierung und der Eroberung der gesamten Ukraine zu | |
| erreichen.“ Einerseits zweifelten Russlands Nationalisten an Putins | |
| Entschlossenheit, andererseits wachse in der russischen Gesellschaft Ärger | |
| über die hohen Opferzahlen an der Front. | |
| Die Analyse, dass Russlands Präsident in der Klemme zwischen | |
| Ultranationalisten und Angehörigen von Kriegsopfern sitzt, war schon vor | |
| der Befreiung Chersons der Hintergrund für Überlegungen im Westen, wonach | |
| jetzt die Zeit für eine Verhandlungslösung reif sei. Jake Sullivan, | |
| nationaler Sicherheitsberater der US-Regierung, besuchte am 5. November | |
| Kiew und sprach mit der Regierung von Präsident Wolodimir Selenski über ein | |
| Verhandlungsangebot an Russland. Dies müsse die Ukraine unterbreiten, um | |
| ihre Glaubwürdigkeit zu erhalten, zitierte der US-Fernsehsender NBC | |
| ungenannte Gesprächspartner Sullivans. | |
| „Möglichkeiten für eine diplomatische Lösung“ | |
| Selenski nannte schließlich am 7. November öffentlich seine Voraussetzungen | |
| für Gespräche mit Russland: „Wiederherstellung der territorialen | |
| Integrität; Einhaltung der UN-Statuten; Entschädigung für alle | |
| Kriegsschäden; Bestrafung aller Kriegsverbrecher; Garantien, dass dies nie | |
| wieder passiert.“ Am 9. November sagte US-Generalstabschef Mark Milley in | |
| Washington, der Krieg sei zum „Stillstand“ gekommen, und jetzt gebe es | |
| „Möglichkeiten für eine diplomatische Lösung“. | |
| Der Stillstand war ein Irrtum. Am gleichen Tag verkündete Russlands | |
| Verteidigungsminister Sergei Schoigu den kompletten Rückzug aus Cherson. | |
| Einen Tag später gab es ein neues Militärhilfspaket aus den USA für die | |
| Ukraine. Und am Samstag stellte Sicherheitsberater Sullivan klar: „Solange | |
| Russland bei der Haltung bleibt, dass es einfach so viel Territorium wie | |
| möglich gewaltsam besetzt, ist es schwer, es als vertrauenswürdigen | |
| Verhandlungspartner anzusehen.“ | |
| Das heißt aber auch: Bei einer Veränderung der russischen Haltung kann sich | |
| das ändern. Ein Kapitulationsangebot des Westens an Russland, über das am | |
| Wochenende britische Boulevardmedien berichteten, sieht angeblich | |
| Machterhalt und Straflosigkeit für Putin vor, wenn Russland seine Truppen | |
| vollständig hinter die international [3][anerkannten Grenzen zur Ukraine | |
| zurückzieht], also auch den Donbass und die Krim aufgibt. | |
| Die Ukraine würde im Gegenzug die Krim nicht militärisch besetzen. Diese | |
| würde ein entmilitarisiertes Gebiet bleiben, über deren Status ab 2029 | |
| verhandelt wird. Außerdem würde die Ukraine bis dahin keinen Nato-Beitritt | |
| beantragen. Das Angebot sei in Putins Umfeld positiv aufgenommen worden, | |
| heißt es in den Berichten, deren Streuung in eher unseriösen Medien einer | |
| bewährten diplomatischen Methode entspricht, bizarre Ideen öffentlich zu | |
| testen, um sie notfalls gleich wieder vergessen zu können. | |
| Militärische Gunst der Stunde | |
| In der Ukraine geht die Stimmung in eine andere Richtung: Man will die | |
| Gunst der Stunde militärisch nutzen. An der nordöstlichen Front um Swatowe | |
| fügen ukrainische Truppen russischen Verbänden gigantische Verluste zu. Im | |
| Süden bildet der Dnipro nun eine klare Frontlinie zwischen ukrainisch und | |
| russisch kontrolliertem Gebiet, und ukrainische Truppen werden aus dem | |
| Gebiet Cherson an die andere südukrainische Front im Gebiet Saporischschja | |
| verlegt. In dieser Region wird die nächste ukrainische Großoffensive | |
| erwartet, um bis zum Asowschen Meer vorzustoßen und den russisch besetzten | |
| Korridor zwischen dem Donbass und der Krim zu brechen. | |
| In Mariupol zieht Russland angeblich Verteidigungseinheiten zusammen. In | |
| Melitopol, weiter westlich entlang der Küste, wurde am Sonntag bereits die | |
| russische Flagge vom Verwaltungsgebäude eingeholt. Als das in Cherson | |
| geschah, war die russische Besatzung dort nach einer Woche vorbei. | |
| 13 Nov 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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