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# taz.de -- Nahrungsmittelkrise in Tunesien: Hilfe aus dem Bürgerkriegsland
> Libyen versorgt das einstige Vorzeigeland Tunesien mit Lebensmitteln.
> Präsident Saied sorgt sich derweil vor allem um Wahlergebnisse.
Bild: Leere Regale im Supermarkt werden für die tunesische Regierung zunehmend…
Tunis taz | Die lange Schlange von Lastwagen, die sich vor dem
tunesisch-libyschen Grenzübergang Ras Jadir in der letzten Woche staute,
sorgte bei den auf ihre Abfertigung wartenden Autofahrern zunächst für
wenig Aufsehen. Normalerweise liefern die schweren Lastwagen tunesische
Lebensmittel in das seit 11 Jahren [1][unter einem Bürgerkrieg und
politischem Chaos leidende Libyen]. Doch am letzten Dienstag war es
umgekehrt: Die libysche Einheitsregierung unter Abdulhamid Dabaiba schickte
mit Mehl, Milch, Zucker, Reis und Speiseöl beladene Lastwägen nach
Tunesien. Denn diese und weitere Grundnahrungsmittel sind seit Monaten in
den Regalen tunesischer Supermärkte Mangelware.
Die Empörung über die Unfähigkeit der Behörden, die Regale wieder zu
füllen, ist im ehemaligen Vorzeigeland des Arabischen Frühlings groß. Denn
seit Beginn des [2][russischen Angriffs auf die Ukraine] steigen die Preise
für Lebensmittel unaufhörlich. Die Inflation ist so hoch wie zuletzt vor 30
Jahren.
Zwar erhalten die mehr als 3 Millionen unter der offiziellen Armutsgrenze
lebenden Tunesier meist Hilfen von ihren Familien, doch auch gut
verdienende tunesische Mittelstandsfamilien müssen mittlerweile ab
Monatsmitte auf ihre gesparten Geldreserven zurückgreifen.
Der soziale Frieden in Tunesien ist in Gefahr, glaubt Sohail Khmira, ein
Journalist aus dem südtunesischen Tataouine, aus dem im letzten Jahr über
9.000 junge Menschen [3][über den Balkan] nach Frankreich ausgewandert
sind. Lokale Aktivisten gehen davon aus, dass diese von der Lokalverwaltung
herausgegebenen Zahlen noch untertrieben sind.
## Schon letzten Herbst half Libyen mit Benzinlieferungen aus
„Wir wollen mit der Lieferung unsere Solidarität mit unserem Nachbarland
zeigen, das in schweren Zeiten vielen Libyern Schutz geboten hat“,
begründet Naim al-Ashaibi, Sprecher der libyschen Botschaft in Tunis, die
ungewöhnliche Hilfsaktion. Insgesamt sollen rund 170 Lastwagenladungen nach
Tunesien geschickt werden. Schon als dort im letzten Herbst die Schlangen
vor den Tankstellen wegen ausbleibender Benzinlieferungen immer länger
wurden, sprang Dabaiba mit der Lieferung von 30.000 Tonnen Treibstoff ein.
Mit der Aktion rettet Dabaiba den [4][tunesischen Präsidenten Kais Saied]
wohl vor einer Welle von sozialen Protesten. In den Städten Sousse und
Kasserine hatten sich Jugendliche Mitte Januar bereits heftige
Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. „Die Frustration in den
Armenvierteln im Süden und Südwesten steigt stetig“, warnt der politische
Analyst Mohamed Dia. „Denn Saied hat seit seinem Putsch im Sommer 2021
keine der angekündigten Wirtschaftsreformen durchgeführt.“
Der 64-jährige Juraprofessor Saied gibt in seinen seltenen Auftritten
Spekulanten und ominösen Staatsfeinden die Schuld an dem Mangel von
staatlich subventionierten Waren. Stattdessen konzentriert er sich auf die
für den 29. Januar [5][geplanten Stichwahl des neuen Parlaments]. Seit
seiner Absetzung der Abgeordneten steht das Parlamentsgebäude leer.
Nur wenige wollen die von Kais Saied [6][propagierte Basisdemokratie]. Nur
individuelle Kandidaten, aber keine politischen Parteien sind zur Wahl
zugelassen. Die Wahlbeteiligung lag in der ersten Runde der Parlamentswahl
bei nur knapp über 11 Prozent.
„Viele Tunesier wenden sich von der Politik ab“, sagt Khmira. „Sie
bevorzugen zwar ein demokratisches System, aber mit leeren Mägen können sie
nicht dafür kämpfen.“
23 Jan 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Libyenkrieg/!t5050759
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[3] /Endstation-Ankunftszentrum/!5908460
[4] /Parlamentswahl-in-Tunesien/!5900640
[5] /Wahl-in-Tunesien/!5900470
[6] /Verfassungsreferendum-in-Tunesien/!5867394
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Tunesien
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Kais Saied
Libyen
Inflation
Libyen
Verschwörung
Ägypten
Zehn Jahre Arabischer Frühling
Wahlen in Tunesien
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