# taz.de -- Migranten in Tunesien: Präsident spricht von Verschwörung | |
> Erst nahm sich Tunesiens Staatschef Kais Saied Oppositionelle vor, dann | |
> die Migranten im Land. Nun hat er mit einer konfusen Rede nachgelegt. | |
Bild: Migrantischer Protest in Tunis, hier im vergangenen April | |
TUNIS taz | In einer Rede vor Tunesiens Nationalem Sicherheitsrat hat | |
Präsident Kais Saied die im Land lebenden Migranten am Dienstag als Teil | |
einer internationalen Verschwörung gegen Tunesien bezeichnet. Ziel sei es, | |
die arabische Kultur Nordafrikas und den Islam durch einen | |
Bevölkerungsaustausch zu schwächen. Die in den Präsidentenpalast geladenen | |
Generäle sowie Vertreter des Innenministeriums und der Nationalgarde wies | |
Saied an, gegen illegal im Land lebende Migranten vorzugehen. Der Rede | |
vorausgegangen war in den vergangenen Tagen ein rigoroses Vorgehen | |
tunesischer Sicherheitskräfte gegen Migranten, die oftmals aus Westafrika | |
stammen. | |
Seit einer 2015 eingeführten Visafreiheit für mehrere westafrikanische | |
Länder ist Tunesien ein beliebtes Ziel von Studenten aus der | |
Elfenbeinküste, Guinea, Mali oder Senegal. Doch täglich überqueren auch | |
Flüchtlinge und Migranten die Grenze nach Tunesien, um sich vor Entführung | |
und Folter in Libyen in Sicherheit zu bringen. Zwar erhalten nur wenige | |
Afrikaner in Tunesien einen Aufenthaltsstatus, aber fast alle finden Arbeit | |
und eine Wohnung. | |
Viele Hotels, Restaurants und Betriebe hätten die Wirtschaftskrise der | |
letzten Jahre ohne die meist unter Mindestlohn bezahlten Migranten nicht | |
überstanden, sagt Abir Cherif, die in ihrer Boutique in Tunis zwei Frauen | |
aus der Elfenbeinküste angestellt hat. Doch seitdem die Polizei seit Ende | |
letzter Woche Menschen mit dunkler Hautfarbe festnimmt, verlassen beide das | |
Haus nicht mehr. „Ich hatte gehofft, dass die Verhaftungswelle nach ein | |
paar Tagen wieder endet, denn sie schadet dem Land wirtschaftlich“, sagt | |
Cherif, „aber mit der Rede des Präsidenten wird nun sogar eine neue Welle | |
des Rassismus durchs Land gehen.“ | |
## Verhaftungswelle gegen Oppositionelle | |
In Tunis werden in diesen Tagen Fahrgäste mit dunkler Hautfarbe aus den | |
Straßenbahnen und Bussen geholt und in Sammeltransporten der Polizei in | |
Abschiebehaft gebracht. François Ehouman, ein gewählter Repräsentant von | |
Migranten aus der Elfenbeinküste, berichtet von brutaler Behandlung der | |
Festgenommenen auf Polizeiwachen sowie von Panik unter seinen Landsleuten. | |
„Viele trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Wir wissen nicht, ob wir in | |
Tunesien weiter leben können.“ | |
Der 45-jährige Familienvater hatte seinen Plan, nach Europa zu gehen, | |
eigentlich aufgegeben. Als Spielervermittler hat er in den letzten zwei | |
Jahren ein Dutzend westafrikanische Fußballtalente bei tunesischen | |
Fußballvereinen unterbringen können; auch als Spezialist für die Wartung | |
von Klimaanlagen verdient er gut. „Doch ohne Rechtssicherheit habe ich hier | |
keine Zukunft. Die Kampagne der Regierung unterscheidet nicht zwischen | |
Straftätern und der großen Mehrheit der Migranten, die mit harter Arbeit | |
ein normales Leben in Tunesien bestreiten.“ | |
Um der Inhaftierung zu entgehen, schlagen sich viele Westafrikaner in die | |
Hafenstadt Sfax durch. Auf Videos, die im Internet kursieren, erzählen sie | |
von ihrer Angst, auf offener Straße verhaftet zu werden und ihr verdientes | |
Geld abgeben zu müssen. Ein von der taz am Stadtrand von Tunis interviewter | |
25-Jähriger aus Guinea berichtet, wie Nachbarn zusammen mit Polizisten in | |
seine Mietwohnung eindrangen und ihm alle Wertsachen abnahmen. „Ich könne | |
mir aussuchen, in Abschiebehaft zu gehen oder das Land per Boot zu | |
verlassen“, erzählt er. Er und viele seiner Bekannten suchen nun in Sfax | |
nach einem Platz auf einem Boot nach Italien. | |
Auch [1][Tunesiens Zivilgesellschaft] ist empört über die populistischen | |
Bemerkungen des Präsidenten. Denn nicht nur Migranten hat Saied in seiner | |
Rede ins Visier genommen, sondern auch Aktivisten und Oppositionelle, die | |
seinen autokratischen Kurs kritisieren. Menschenrechtsaktivisten würden die | |
Migrationswellen steuern, behauptete Saied. | |
Am Wochenende hatte die Gewerkschaft UGTT in acht Städten mehrere Tausend | |
Menschen auf die Straße gebracht. In der Vorwoche waren mehrere | |
oppositionelle Politiker sowie Noureddine Boutarder, Direktor eines | |
beliebten privaten Radiosenders, festgenommen worden. Am Mittwoch folgte | |
ein Haftbefehl gegen Boutarder. Mitten in dieser Krise begannen | |
regierungsnahe Medien, über die vermeintliche Gefahr der Migranten im Land | |
zu berichten, deren Anzahl auf rund eine Million geschätzt wird. | |
22 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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