# taz.de -- Bilanzen der Coronapandemie: Endlich Maskenfall | |
> Drei Jahre begleitete uns die Maske: beim Einkaufen, im Nahverkehr, in | |
> der Schule. Nun bleibt sie noch in Krankenhäusern Pflicht. Drei Blicke | |
> zurück. | |
Bild: Nur vermummt in die U-Bahn – das galt bis Donnerstag | |
## „Ende einer Ausbildung“ | |
Mit dem [1][Ende der Coronamaßnahmen] endet auch meine Ausbildung als | |
Pflegekraft. Ich habe vor zwei Wochen hingeschmissen. Ich musste eben | |
abwägen, was mir wichtiger ist: meine psychische Gesundheit oder meine | |
Ausbildung. Der Stress hat mich fertiggemacht. Unter den gegebenen | |
Arbeitsbedingungen in der Pflege ist es nicht möglich, Menschen gut zu | |
pflegen. | |
Vielleicht war der Wendepunkt im Herbst letzten Jahres. Ich war im zweiten | |
Lehrjahr und habe eine Frau mit Lungentumor betreut. Als ich ihr eines | |
Morgens einen Verband angelegt habe, kamen zwei Ärzte rein und haben ihr | |
ziemlich unfreundlich gesagt: Ihr Tumor ist nicht heilbar, sie müssen bald | |
sterben. Danach sind sie wieder raus – und ich war alleine mit ihr. Sie hat | |
stark angefangen zu weinen und hatte total viele Fragen. Die sollte aber | |
nicht ich beantworten müssen, ich bin 19 Jahre alt, verdammt! | |
Das Schlimme war, dass sie auch noch sofort entlassen wurde. Obwohl sie auf | |
Sauerstoff angewiesen war, obwohl bei ihr zu Hause nichts vorbereitet war. | |
Sie als Person war überhaupt nichts wert, sie war einfach nur ein Bett, das | |
neu belegt werden sollte. Ich habe versucht, mich einzusetzen – vergeblich. | |
Lediglich ein Sauerstoffgerät hat sie geliefert bekommen. Ich habe mich | |
tausendmal entschuldigt, doch wofür? Ich bin doch nicht verantwortlich für | |
dieses scheiß Gesundheitssystem. | |
Dabei war ich anfangs total begeistert, in meinem Leben etwas zu machen, | |
dass Menschen aktiv hilft. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Pandemie, als | |
die Pflege so viel beklatscht wurde, habe ich während meines Fachabis ein | |
Jahrespraktikum in einem Krankenhaus gemacht. Das war richtig gut. Ich | |
hatte viel Zeit, um mit den Patient:innen zu reden. Ich bin gerne um 5 | |
Uhr morgens zur Arbeit gefahren. Daraufhin habe ich die Schule abgebrochen | |
und die Ausbildung begonnen. | |
In der Ausbildung war dann alles anders. Das ganze Menschliche war weg. Die | |
Kolleg:innen hatten keine Zeit, mir Dinge zu zeigen. Ich habe | |
hauptsächlich Hilfsarbeiten gemacht, eben Sachen, die sonst hinten | |
weggefallen wären. Ich war damals auf einer Station, wo die Leute, die | |
Covid hatten, wieder aufgepäppelt wurden. Da habe ich gesehen, was Covid | |
mit Menschen machen kann. | |
Der [2][Krankenhausstreik 2021] hat mir noch einmal Kraft gegeben, auch | |
Selbstvertrauen, für mich einzustehen. Im Nachgang ist mir aber klar | |
geworden: Obwohl der Tarifvertrag super ist, konnten wir das System nur | |
minimal ändern. Das war extrem ernüchternd. Ich kann mir nicht vorstellen, | |
mein ganzes Leben unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Würden die sich | |
aber ändern, ich würde sofort wieder anfangen. | |
Valentin Jonas (Name geändert) war Azubi in einem großen Berliner | |
Krankenhaus. Protokoll: Timm Kühn | |
## „Immense Erschöpfung“ | |
Es ist so, dass sich in unterschiedlichen Bereichen bestimmte Problemlagen | |
verschärft haben und die Pandemie auch noch nachwirkt. Aus den Schulen | |
bekomme ich in meiner Beratungsarbeit mit: Gerade die Kinder, die in der | |
Pandemie schwierig zu erreichen waren, für die ist es jetzt auch | |
schwieriger, Rückstände aus den Pandemiejahren aufzuholen. | |
Das sind Kinder, die zu Hause weniger Ressourcen hatten als andere. Sei es, | |
weil die [3][Technik im Homeschooling fehlte]. Sei es, weil die Eltern | |
nicht so unterstützen konnten beim Lernen oder kaum Geld für Nachhilfe | |
hatten. Diese Kinder sind während der Pandemie häufig vom Radar | |
verschwunden. Das schlägt sich jetzt in schlechteren Leistungen nieder. | |
Was ich auch gespiegelt bekomme: eine Erschöpfung, nicht nur bei den | |
Kindern, sondern auch bei den Eltern und Lehrkräften. Sie klagen über | |
Überlastungserscheinungen, sie haben weniger Geduld und haben das Gefühl, | |
dass ihre pädagogische Arbeit leidet. Das ist natürlich auch wieder ein | |
Risikofaktor für Kinder, wenn das Hilfesystem in der Überlastung ist. | |
Es ist aber nicht jede Erschöpfung direkt auf Corona zurückzuführen. Aber | |
was erschöpfend nachwirkt: die Umstellung von Routinen. Das ist eine enorme | |
Belastung für unser kognitives System, man nennt das in der Psychologie | |
„mental load“: wie viel Rechenleistung muss das Gehirn zur Verfügung | |
stellen, um den Alltag zu bewältigen? Rituale reduzieren den „mental load“ | |
– weil wir über gewisse Dinge einfach nicht nachdenken müssen. | |
Während Corona mussten sehr viele Dinge neu gelernt werden, vom Masketragen | |
über das nicht mehr erlaubte Händeschütteln bis zum Homeschooling-Alltag. | |
Das zieht Energie aus dem System. Wenn einem gefühlt alles über den Kopf | |
wächst, kann man versuchen, Routinen wiederaufzubauen. | |
Ich erlebe nun ein breites Spektrum an Reaktionen: Angst vor dem Ende der | |
Maßnahmen und das genaue Gegenteil. Das sorgt im Arbeitsalltag für | |
Spannungen. | |
Im Rückblick auf die Pandemie den Zeigefinger rauszuholen, ist der falsche | |
Ansatz. Am Anfang konnte man viele Dinge einfach nicht absehen. Was man für | |
die Zukunft besser machen muss: den Blick mehr auf diejenigen richten, die | |
sich selbst wenig Gehör verschaffen können. Kinder brauchen soziale | |
Kontakte und ganz besonders Kinder, die ohnehin schon benachteiligt sind. | |
Wir sehen jetzt einfach viele Kollateralschäden in der Jugendhilfe – etwa | |
Kinder mit Migrationshintergrund, bei denen der deutsche Spracherwerb | |
gelitten hat. Und da ist zum Beispiel zeitweise ein Gespür verlorengegangen | |
dafür, wie wichtig bestimmte Zeiträume für Jugendliche sind – ins Ausland | |
fahren nach dem Abitur, Partys feiern als junger Mensch, das kann man nicht | |
aufschieben. Bestimmte Lebensphasen sind unwiederbringbar. | |
Thilo Hartmann ist Psychologe und arbeitet unter anderem mit Familien zu | |
Stressbewältigung und Gesundheitsprävention. Protokoll: Anna Klöpper | |
## „Musik verschwindet“ | |
Ich habe die soziale Abschottung während der Pandemie nicht als so schlimm | |
empfunden wie andere in meinem Freundeskreis. Denn eigentlich bin ich gern | |
zu Hause, bastel vor mich hin und mache Musik, und ich habe jeden Tag viel | |
telefoniert. Auch, dass keine Konzerte mehr stattfinden konnten, war okay | |
für mich. Wenn ich ganz ehrlich bin, stand die Entscheidung schon vor | |
Corona im Raum. Es ist mir einfach ein bisschen zu anstrengend geworden. | |
Allerdings war die Erkenntnis, dass man als Musiker*in meines | |
Bekanntheitsgrads ohne Konzerte überhaupt nichts mehr verdient, schon ein | |
bisschen bitter. Aber irgendwann ist man halt raus aus dem Alter, dauernd | |
auf Tour gehen zu wollen. Ein Kollege von mir, Torsun von Egotronic, singt | |
in einem Song: „Ich wurde nicht reich und bin jetzt wieder arm.“ So ist das | |
bei sehr vielen Musiker*innen. | |
Trotzdem habe ich kein Selbstmitleid. Denn ich bin ja immer gut | |
durchgekommen, weil ich noch Klavierunterricht gegeben habe. Außerdem bin | |
ich sehr gern Klavierlehrerin. Noch dazu haben die Coronahilfen wirklich | |
sehr geholfen. Und als vor einem halben Jahr das Konto auf einmal immer | |
leerer wurde, habe ich zum Glück einen neuen Job gefunden, den ich einen | |
Tag die Woche machen kann. Ich spiele in der Psychiatrie Klavier mit | |
Kindern und Jugendlichen, die nicht unbedingt mal Mozart spielen wollen, | |
sondern einfach für den Moment beschäftigt sein wollen. Das ist wirklich | |
eine sehr schöne Arbeit. | |
Ich bin also ganz zufrieden. Und ich bin auch froh, so wie früher Musik | |
machen zu können, ohne dass jemand etwas von mir erwartet. Das macht mich | |
auf eine gewisse Art auch freier. Ich mache und veröffentliche wieder viel | |
mehr Musik. Mitte Februar erscheint meine neue Single „Lampenfieber“. | |
Schade finde ich nur, dass sich die Berliner Musikszene so sehr gewandelt | |
hat. Die meisten sind vom Regen in die Traufe gekommen, und jetzt haben sie | |
keinen Schirm mehr. Alle, die wieder spielen wollen, haben echt | |
Schwierigkeiten. Die Vorverkäufe laufen überhaupt nicht mehr gut. Konzerte | |
und ganze Touren werden einfach so abgesagt, von kleineren, aber auch von | |
mittelgroßen Acts. Da ändert sich leider nachhaltig etwas. An Konzerten | |
kann man eben eher sparen als am Wocheneinkauf. | |
Ira Göbel, 46, ist freie Musikerin und Klavierlehrerin, ihre neue Musik | |
veröffentlicht sie bei Audiolith Records. Protokoll: Susanne Messmer | |
2 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ende-der-Maskenpflicht-im-OePNV/!5909430 | |
[2] /Berliner-Krankenhausbewegung/!5807315 | |
[3] /Homeschooling/!t5678901 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
Timm Kühn | |
Susanne Messmer | |
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