| # taz.de -- Arbeitskampf im öffentlichen Dienst: Die Wahl bestreiken | |
| > Tausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wollen noch vor den | |
| > Wahlen streiken. Im Wahlkampf sagt die Politik Unterstützung zu. | |
| Bild: Demonstration von Beschäftigten der Krankenhäuser Charite und Vivantes … | |
| Berlin taz | Auf dem Redaktionsgebäude des Neuen Deutschlands ist ein Zitat | |
| von Karl Marx zu lesen: „Die soziale Revolution kann ihre Poesie nicht aus | |
| der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft“. Nun, um die | |
| soziale Revolution ging es nicht, als sich am Freitag etwa 300 | |
| Arbeiter:innen verschiedener öffentlicher Betriebe dort versammelten. | |
| Und doch spricht einiges dafür, dass Berlin – und bundesweit – ein | |
| kämpferisch geführter Arbeitskampf bevorsteht. | |
| Der Raum war vollgepackt mit Beschäftigten, zum Teil in gelben | |
| Verdi-Westen, teils in den Kutten der Berliner Stadtreinigung. „Wir sind | |
| streikbereit!“, verkündeten Banner an den Wänden. Viel wurde gejohlt und | |
| gepfiffen, als Kolleg:innen die Spitzenpolitiker:innen der großen | |
| demokratischen Parteien Berlins mit Fragen löcherten. Mit Klaus Lederer | |
| (Linke), Raed Saleh (SPD), Silke Gebel (Grüne), Sebastian Czaja (FDP) und | |
| Kai Wegner (CDU) war das Podium hochkarätig besetzt. | |
| [1][Bundesweit wird derzeit der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes | |
| (TVöD) neu ausgehandelt]. Nachdem eine erste Verhandlungsrunde am 24. | |
| Januar ergebnislos verlaufen war, hatte Verdi die Team- und | |
| Streikdelegierten der Betriebe zu einem ersten Warnstreik aufgerufen, um | |
| über den kommenden Arbeitskampf zu beraten. Das Ergebnis: Noch vor der Wahl | |
| am 12. Februar wird in Berlin groß gestreikt. [2][Am 9. Februar] werden | |
| Tausende Arbeiter:innen der öffentlichen Betriebe ihre Arbeit | |
| niederlegen – in einer Demo wollen sie vom Abgeordnetenhaus nach Kreuzberg | |
| ziehen. | |
| Bundesweit betrifft die Tarifrunde etwa 2,5 Millionen Beschäftigte; über | |
| 340.000 haben sich bisher in einer Forderungspetition zum Streik bereit | |
| erklärt. Allein in Berlin haben bisher 13.000 Arbeiter:innen | |
| unterschrieben – davon über 5.500 bei den kommunalen Kliniken Charité und | |
| Vivantes, fast 3.500 bei der BSR und über 1.600 bei den Wasserbetrieben. | |
| Auch am Arbeitskampf beteiligt sind etwa die Beschäftigten des | |
| Studierendenwerks und des Jüdischen Krankenhauses im Wedding. | |
| ## Gurken werden teurer, die Arbeitskraft auch | |
| Lehrer:innen, Erzieher:innen und die Kommunalverwaltungen sind in | |
| Berlin dagegen – anders als etwa in Brandenburg –, nicht beteiligt. Ihre | |
| Gehälter sind im Berliner Landestarifvertrag geregelt, der aktuell nicht | |
| neu verhandelt wird. Auch Verbeamtete, Richter:innen und Soldat:innen | |
| dürfen in vielen Fällen nicht streiken – auf ihre Gehälter soll das | |
| Tarifergebnis aber übertragen werden. | |
| Verdi fordert 10,5 Prozent mehr Lohn, aber mindestens 500 Euro mehr | |
| Monatsgehalt für alle. Azubis sollen mindestens 200 Euro mehr erhalten. | |
| Außerdem soll die Tariflaufzeit nur ein Jahr betragen, um schon bald auf | |
| die womöglich weiter grassierende Inflation reagieren zu können. Die | |
| nämlich macht den Beschäftigten zu schaffen. „Wir fordern überhaupt nicht | |
| viel“, sagt ein Arbeiter der BSR, der sich als Carlos vorstellt. „Eine | |
| Gurke kostet im Supermarkt 15 bis 20 Prozent mehr, da ist doch klar, dass | |
| auch unsere Arbeit mehr kosten muss!“, ruft er unter tosendem Applaus der | |
| Menge. | |
| Auszubildende von Charité und Vivantes beschwerten sich, ihnen würde jeder | |
| Streiktag als Fehltag gezählt – gibt es davon aber zu viele, stehe die | |
| Prüfungszulassung auf dem Spiel. Dann müsse ein Härtefallantrag gestellt | |
| werden, der stolze 60 Euro koste. „Aber keine Sorge: Wir streiken für euch | |
| mit, wenn ihr nicht könnt!“, versicherte Halis, Azubi der Wasserbetriebe, | |
| ebenfalls unter großem Applaus. | |
| Mit einem Verhandlungsergebnis ist wohl frühstens Ende März zu rechnen. | |
| Schon jetzt ist der Arbeitskampf aber Wahlkampfthema – schließlich ist der | |
| öffentliche Dienst ein nicht zu vernachlässigender Wahlfaktor. Entsprechend | |
| zeigten sich am Freitag alle Politiker:innen bemüht, möglichst | |
| unterstützend zu wirken. Selbst Sebastian Czaja (FDP) und Kai Wegner (CDU), | |
| sonst eher keine Freunde der Arbeiter:innenbewegung, sprachen sich für | |
| höhere Gehälter aus. | |
| ## „Zu kämpfen steht euch zu!“ | |
| Ob die aber 10,5 Prozent betragen sollten, ließen beide offen. Der | |
| Linken-Spitzenkandidat Lederer schleuderte ihnen entgegen: „Es ist ja schön | |
| und gut, wie hier die marktliberalen Parteien Unterstützung zusagen, aber | |
| sobald es um Gelder geht, treten sie auf die Bremse!“ Die Forderungen der | |
| Gewerkschaft seien „absolut angemessen“, fehlende Gelder müssten etwa durch | |
| Steuern auf Übergewinn, Vermögen und Erbschaften beschafft werden. Auch | |
| SPD-Fraktionschef Saleh traf den richtigen Ton. „Für 10,5 Prozent zu | |
| kämpfen steht euch zu“, rief er aus. Da ballte ein Mann neben dem Reporter | |
| die Faust und murmelte „Jawohl!“ | |
| Alle Politiker:innen sagten zu, sich für einen Inflationsausgleich für | |
| die Beschäftigten der Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes | |
| einsetzen zu wollen. Einen solchen fordert Verdi mit der separat zum | |
| Arbeitskampf laufenden „Aktion Lohnrettung“. Zwar sind auch in den | |
| Töchterfirmen – einst mit dem Zweck der Tarifflucht gegründet – die Löhne | |
| inzwischen an den TVöD gekoppelt, erhöhen sich aber aufgrund einer | |
| besonderen Vertragsklausel erst mit einem Jahr Verzögerung. | |
| Verdi fordert von der Landespolitik deshalb einen sofortigen | |
| Inflationsausgleich – und: dass der Landesmindestlohn von 13 Euro in den | |
| Töchtern eingehalten wird. Bisher würden in den Töchtern häufig aber die | |
| Zuschläge in das Gehalt mitgerechnet. Saleh ging auch dieses Thema mit | |
| deutlichen Worten an. „Der Mindestlohn bedeutet Mindestlohn plus Zulagen, | |
| er ist das Gehalt für eine Stunde Arbeit“, stellte er klar. CDU und FDP | |
| warf er vor, sich im Parlament wiederholt gegen die Erhöhungen der | |
| Mindestlöhne gestemmt zu haben. | |
| Zudem will die Gewerkschaft, dass die Tochterunternehmen in die | |
| Mutterkonzerne zurückgeführt werden – und auch hierfür sagten alle Parteien | |
| Unterstützung zu. Saleh bezeichnete die Ausgliederung als „verdammt großen | |
| Fehler“, Lederer brauchte eine Gesellschafterweisung ins Spiel, um gegen | |
| die mangelnde Umsetzung des neuen Tarifvertrags vorzugehen. Als die | |
| Politiker:innen auf einem Schild aufschreiben sollten, bis wann die | |
| Tochterunternehmen zurückgeholt worden sind, gaben die Vertreter:innen | |
| der Regierungsfraktionen geschlossen die Antwort „2026“. Das darf als | |
| Wahlversprechen gelten. | |
| 29 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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