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# taz.de -- Politik gegen Jugendgewalt in Berlin: Viel Wahlkampf, viele Tabus
> Beim Gipfel gegen „Jugendgewalt“ wurden Millionen für mehr Sozialarbeit
> angekündigt. Das ist schön – löst aber nur einen kleinen Teil der
> Probleme.
Bild: Erste Bilanz: Franziska Giffey mit Sozialarbeitern nach dem Gipfel am Mit…
Eines zumindest steht fest: Mehr Geld für Sozialarbeit kann nie schaden.
Und so hat es auf jeden Fall was Gutes, wenn die Regierende Bürgermeisterin
Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch nach ihrem [1][„Jugendgewalt-Gipfel“]
ankündigt, für die schulische und außerschulische Sozialarbeit ein
Maßnahmenpaket in Millionenhöhe zu schnüren.
Damit können die Expert:innen in abgehängten Kiezen sicher was anfangen
– und den Jugendlichen dürfte es auch gefallen, wenn sich die Angebote für
sie verbessern, ein paar Fußballplätze und Jugendzentren mehr gebaut
werden. Aber ob verhindert, dass es auch nächstes Jahre wieder
Silvester-Ausschreitungen gegen Feuerwehrleute und Polizist:innen gibt,
darf bezweifelt werden.
Vor allem deshalb, weil bis heute die meisten Täter der exzessiven
Ausschreitungen gar nicht bekannt sind – und damit die Gründe, die zu den
Taten führten. Das betonte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Mittwoch
noch einmal im parallel zum Gipfel stattfindenden Rechtsausschuss. Bislang
werde in Sachen der „Gewaltexzesse“ in großem Ausmaß gegen unbekannt
ermittelt, so Kreck. Das aber heißt, die Polizei muss überhaupt erstmal
Verdächtige feststellen.
33 Ermittlungsverfahren sind wohl inzwischen an die Staatsanwaltschaft
übergeben worden, es gab aber laut Polizei an Silvester 56 Angriffe auf
Polizisten und 69 auf Feuerwehrleute, sowie insgesamt 281 eingeleitete
Ermittlungsverfahren zu einer ganzen Reihe von Delikten: Verstöße gegen das
Waffengesetz, gefährliche Körperverletzung, gefährlicher Gebrauch von
Böllern und Raketen, Landfriedensbruch, Drogenbesitz und mehr. Zudem wurden
diese Taten nicht nur in Neukölln begangen – wie jedes Jahr sind Menschen
in verschiedenen Bezirken und verschiedener Herkunft zum Jahreswechsel
übergeschnappt. Und dies bekanntermaßen auch nicht nur in Berlin.
Dass sich die öffentliche und politische Empörung trotzdem wieder mal
notorisch auf eine bestimmte Täter-Gruppe fokussierte – jung, männlich,
„Migrationshintergrund“ – wurde in den letzten Tagen wiederholt und
richtigerweise als rassistischer Reflex der üblichen Verdächtigen (Merz,
Söder, Weidel, etc.) eingeordnet. Giffey hat es zwar etwas besser gemacht,
indem sie die Täter allesamt zu „Berliner Kindern“ erklärt und mögliche
Versäumnisse der Politik eingeräumt hat. Doch auch sie schaut allein auf
die Gruppe der benachteiligten Jugendlichen aus bestimmten Quartieren.
Für die kann und sollte man in der Tat eine Menge tun: Wer als
„Schwarzkopf“ in einem ärmlichen Viertel wie der Neuköllner High Deck
Siedlung aufwächst, hat gute Gründe, einen Hass auf Polizei zu schieben und
staatlichen Institutionen grundsätzlich zu misstrauen. Racial Profiling auf
„ihren“ Straßen und Plätzen gehört für junge Männer mit „orientalisc…
Aussehen zum Alltag, ebenso auf Rassismus basierende Abwertung und
Benachteiligung in Schule, Jobcenter, Ausländerbehörde, in Geschäften, bei
der Arbeits-, Wohnungssuche und und und.
Dazu kommen Gewalterfahrungen in der eigenen Familie, überkommene
Männlichkeitsbilder, die auch in der Mehrheitsgesellschaft weiterhin
gepflegt werden. Es gibt also viele Gründe, warum unterprivilegierte
Jugendliche es an „Respekt“ gegenüber Repräsentanten des Staates fehlen
lassen.
## Viel Wahlkampf-Getöse
Dass ein kleiner Teil davon mit den Millionen des Gipfels vielleicht nun
etwas entschiedener angegangen wird, ist schön und gut. Aber abgesehen
davon, dass daran offenkundig viel Wahlkampf-Getöse ist, denn die
Problemlagen in sozialen Brennpunkten sind ja nicht erst seit Neujahr
bekannt: Vieles wurde am Mittwoch im Roten Rathaus offenbar nicht
angesprochen. Was ist denn mit Ausbildlungsplätzen und Jobs, [2][manche
Jugendliche nicht deutscher Herkunft haben ja nicht einmal eine
Arbeitserlaubniss]? Und was tun wir gegen den Rassismus in Polizei und
Gesellschaft?
Ganz zu schweigen davon, dass auf dem Gipfel diese eine Frage offenbar gar
nicht gestellt wurde: Was machen wir eigentlich mit den
wohlstandsverwahrlosten Tim Olivers, Andrés und Claus-Bernhards, die ihre
toxische Männlichkeit nicht in den Griff bekommen?
14 Jan 2023
## LINKS
[1] /Reaktion-auf-Randale-an-Silvester/!5905124
[2] /Debatte-ueber-Jugendgewalt/!5904835
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Wochenkommentar
Franziska Giffey
Silvester
Randale
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Polizei Hamburg
Schwerpunkt Rassismus
Lesestück Recherche und Reportage
Silvesterknallerei
Schwerpunkt Rassismus
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