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# taz.de -- Gebühr für Ingewahrsamnahme: Protest muss man bezahlen können
> Wer von der Hamburger Polizei in Gewahrsam genommen wird, muss dafür
> jetzt Gebühren entrichten. Die Linksfraktion hält das für höchst
> problematisch.
Bild: Daraus kann ein teurer Spaß werden: Festnahme
Hamburg taz | Wer sich auf Demonstrationen zu sehr exponiert, geht in
Hamburg seit Kurzem auch ein finanzielles Risiko ein. Seit dem 20. Dezember
darf die [1][Polizei in der Hansestadt Gebühren erheben, wenn sie jemanden
in Gewahrsam nimmt]. Nach der entsprechenden Verordnung des rot-grünen
Senats können sich die Kosten dabei schnell auf die eines kleinen
Hotelaufenthalts summieren.
In Gewahrsam genommen werden können Leute [2][auf Basis des Hamburger
Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG)] zu ihrem
eigenen Schutz oder dem anderer. Letzteres gilt, wenn die Polizei zu der
Einschätzung kommt, dass eine Ingewahrsamnahme „unerlässlich ist“, um eine
unmittelbar bevorstehende „Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung
oder eine Straftat zu verhindern“. Auch um ein Betretungsverbot, ein
Aufenthaltsverbot, ein Kontakt- oder Näherungsverbot durchzusetzen, kommt
eine Ingewahrsamnahme infrage.
Der Gebührenkatalog der Polizei liest sich wie eine Handwerkerrechnung: Ein
Kilometer im Peterwagen kostet einen Euro, in einem anderen Fahrzeug bis zu
zehn Euro. Der Einsatz eines Bediensteten wird mit 33,20 Euro pro
angefangene halbe Stunde berechnet, sechs Stunden im Verwahrraum mit 40
Euro, jede weitere Stunde mit 6,20 Euro.
Auch bisher schon seien Leute im Sinne des Schadensersatzes zur Kasse
gebeten worden, wenn sie Arrestzellen verunreinigt, Peterwagen beschädigt
oder Polizisten verletzt hätten, teilt die Polizei mit. Aus den neuen
Gebühren erwartet sie Einnahmen von einer Million Euro. „Der Personenkreis
‚ohne festen Wohnsitz‘ wird von der Inanspruchnahme der neuen Gebühren
ausgenommen“, versichert die Polizei.
Deniz Celik von der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft findet
es „völlig unangemessen“, dass die Polizei überhaupt Gebühren erhebt: �…
sind hoheitliche Maßnahmen, die müssen mit Steuern finanziert werden“,
findet er.
Ähnlich sieht das die Anwältin Waltraud Braker. Dass sie Kosten verursache,
gelte für jede Art von polizeilicher Aktion – bei deren Verursachern dann
auch Gebühren erhoben werden müssten. Das zu tun hat für Braker ein
„Geschmäckle“. Es erinnere sie an die Nazizeit, in der die Opfer
polizeilicher Maßnahmen für deren Kosten aufkommen mussten. Braker
vermutet, dass die Gebühren vor allem der Abschreckung dienten.
## Strafe vor der Strafe
So wie sie sieht das auch der Linken-Abgeordnete Celik. „Man hat Angst,
seine Grundrechte wahrzunehmen“, sagt er. Das gelte gerade für Menschen mit
geringem Einkommen und sei umso schlimmer, je länger Menschen präventiv
eingesperrt würden.
Problematisch sei auch, dass Menschen in Gewahrsam genommen werden dürften,
ohne dass irgendein Gericht irgendeine Schuld festgestellt hat – eine Art
Strafe vor der Strafe. Auch könne es geschehen, dass Menschen mit dem
Argument der Gefahrenabwehr schlicht als Teil einer Gruppe in Gewahrsam
genommen würden.
Auch die Grünen in der Bürgerschaft fordern: „Die Ausübung von Grundrechten
darf nicht beeinträchtigt werden.“ Die privat zu tragenden Gebühren für
einen Polizeigewahrsam dürften einzelne Menschen nicht davon abhalten, ihr
Grundrecht wahrzunehmen und an legitimen Protestaktionen und
Demonstrationen teilzunehmen. „Wir werden die Einführung der Gebühren vor
diesem Hintergrund kritisch begleiten“, versprechen die Grünen.
Die Hamburger Polizei weist darauf hin, dass acht weitere Bundesländer –
darunter ist auch Niedersachsen – sowie [3][seit 2019 die Bundespolizei
solche Gebühren erheben]. Im Falle der Bundespolizei hat eine
parlamentarische Anfrage der Linken im Bundestag ergeben, dass die Gebühren
die damit verbundenen Verwaltungskosten nicht eingespielt haben.
Eine halbe Million Euro an Gebühren wurde festgesetzt, während das
Bundesinnenministerium mit laufenden Verwaltungskosten von mehr als 800.000
Euro rechnete. [4][Der niedersächsische Linken-Bundestagsabgeordnete Victor
Perli bezeichnete die Gebührenverordnung gegenüber der taz als Flop und
„bürokratischen Wahnsinn“]. Sie bringe viel zusätzlichen Aufwand für
Bescheide und Widersprüche, keinen Nutzen und eine hohe Ausfallquote. Im
übrigen sei es „Sache der Justiz, über Strafen zu entscheiden“ und „nic…
die Aufgabe der Polizei, die Kassen des Innenministeriums zu füllen“.
Die Hamburger Grünen betonen, es sei wichtig, „sicherzustellen, dass die
Höhe der nun eingeführten Gebühren angemessen ist, und die Effektivität der
Gebühren zu überprüfen“. Auch die Polizei versicherte, sie überprüfe
regelmäßig, „ob der Aufwand der Erhebung in einem günstigen Verhältnis zu
den zu erwartenden Erlösen steht“.
9 Jan 2023
## LINKS
[1] /G20-vor-Gericht/!5511644
[2] https://gesetze.io/gesetze/hh/sog
[3] /Gebuehren-fuer-Massnahmen-der-Polizei/!5658040
[4] /Einsaetze-der-Bundespolizei/!5753216
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Polizei Hamburg
Polizei
Gebühren
Protest
Katharina Schulze
Garzweiler II
Fußball
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