| # taz.de -- Klimaproteste in Lützerath: Forderung nach Aufarbeitung | |
| > Nach der Räumung verschärft sich die Kritik am Einsatz der Polizei. | |
| > Innenminister Herbert Reul (CDU) verspricht schnelle Aufklärung. | |
| Bild: Bilder wie dieses sorgen für Diskussionen: Polizei geht gegen Klimaaktiv… | |
| Bochum/Berlin taz | Klimabewegung und Umweltschutzorganisationen werfen | |
| Nordrhein-Westfalens CDU-Innenminister Herbert Reul vor, Polizeigewalt bei | |
| der [1][Räumung der Siedlung Lützerath] zu rechtfertigen. „Reul wird seiner | |
| Rolle als Scharfmacher gerecht“, sagt Dirk Jansen, in Nordrhein-Westfalen | |
| Geschäftsleiter des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND). | |
| „Friedlicher Widerstand wird kriminalisiert, friedliche | |
| Demonstrant:innen wurden in Lützerath nicht geschützt“, sagt Jansen, | |
| der bereits am Donnerstag selbst von der Polizei eingekesselt wurde und | |
| erleben musste, wie BUND-Mitglieder durch „völlig unverhältnismäßiges | |
| Vorgehen“ von Reuls Beamt:innen verletzt wurden. „Die | |
| Deeskalationsstrategie der Polizei“, bilanziert der Umweltschützer deshalb | |
| in aller Deutlichkeit, „hat nicht funktioniert.“ | |
| ## Ricarda Lang bewertet Polizeiarbeit kritisch | |
| Reul selbst stellt sich seit Samstag dagegen immer wieder schützend vor | |
| seine Polizist:innen. „Hochprofessionell“ hätten die gearbeitet, erklärte | |
| der 70-Jährige nur wenige Stunden nach dem Ende der Räumung schon am | |
| Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will – und legte am Montag in der | |
| Rheinischen Post nach: „Immer“ habe die Polizei „auf Dialog und Vernunft | |
| gesetzt“, glaubt der NRW-Innenminister. Einzelfälle unangemessener | |
| Polizeigewalt würden aber untersucht. | |
| Kritischer bewertete am Montag in Berlin Grünen-Chefin Ricarda Lang die | |
| Arbeit der Polizei. Sie habe am Wochenende viele Telefonate geführt: mit | |
| Polizisten, Aktivistinnen und Abgeordneten, die als sogenannte | |
| Parlamentarische Beobachter vor Ort waren. Ihr Eindruck sei nach den | |
| Gesprächen zwar auch, dass „der Polizeieinsatz an vielen Stellen vor allem | |
| in der letzten Woche bei der Räumung sehr besonnen“ abgelaufen sei. | |
| Gleichzeitig gebe es aber Videos vom Samstag, „die auch mich schockieren“. | |
| Die Frage, welche Verantwortung die Grünen für die Szenen tragen, | |
| beantwortete Lang nicht. Dafür forderte sie, den Polizeieinsatz | |
| „parlamentarisch aufzuarbeiten“. Wo es zu Polizeigewalt gekommen ist, müsse | |
| das Konsequenzen haben. | |
| Die Initiative „Lützerath lebt“ berichtete, bei der Großdemo am Samstag | |
| habe es „zahlreiche Schwerverletzte durch Polizeigewalt“ gegeben. | |
| Mindestens eine Person sei „lebensgefährlich“ verletzt worden. Es habe | |
| „zahlreiche Knochenbrüche“ und „Verletzungen durch Pfefferspray“ gegeb… | |
| Eine Demo-Sanitäterin sagte, in einem Fall hätten Polizist:innen trotz | |
| laufender Behandlung durch die Sanitäter:innen weiter auf die | |
| verletzte Person eingeschlagen. Auch soll es am Samstag zu „zahlreichen | |
| gezielten Schlägen auf den Hals“ von Demonstrant:innen gekommen sein. | |
| Von Seiten der Polizei hieß es dagegen, man wisse nichts von | |
| lebensgefährlich Verletzten. Der Einsatz eines Rettungswagens sei zehnmal | |
| nötig gewesen. | |
| ## Wurden Unfälle in Kauf genommen? | |
| „Leute, die sich am Samstag der Polizeikette im Vorfeld des Tagebaus | |
| angenähert haben, mussten massive Gewalt erfahren“, sagt auch Christopher | |
| Laumanns von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“. Schlagstöcke und | |
| Pfefferspray seien wahllos eingesetzt worden, „scharfgemachte Hunde ohne | |
| Maulkorb“ hätten schon bereitgestanden. „Extrem überhastet und | |
| hochgefährlich“ sei auch die seit Mittwoch laufende Räumung Lützeraths | |
| selbst durchgeführt worden, sagte Laumanns der taz: Sicherungsseile von | |
| Baumhäusern und Tripods der Besetzer:innen seien durchgeschnitten, | |
| Menschen aus 2,5 Metern Höhe auf den Boden geworfen worden. | |
| Auf einem Video ist außerdem zu sehen, wie Polizeibeamte mit einer | |
| Kettensäge durch das Holz eines Heubodens sägen – obwohl sie wissen, dass | |
| sich darauf noch Aktivist:innen befinden. „Da wurde ganz bewusst Leben | |
| gefährdet“, sagt Laumanns dazu. Das sei offenbar auch Strategie gewesen: | |
| „Polizisten haben gesagt, dass es doch gut sei, wenn die Leute Todesangst | |
| haben“, sagt Laumanns. „Gerade am Mittwoch, am ersten Tag der Räumung | |
| Lützeraths, hat diese Polizeistrategie des Angstmachens, Demoralisierens, | |
| Unfälle-in-Kauf-Nehmens gut funktioniert.“ | |
| Auch Nicola Dichant, Landessprecherin der Grünen Jugend NRW, kritisierte, | |
| Bilder von Polizeieinsätzen, [2][die Aktivist:innen massiv gefährden], | |
| Sanitäter:innen, die von der Polizei aus dem Dorf geschmissen werden, seien | |
| „das Gegenteil von einem deeskalativen Einsatz“. Eine negative Bilanz zog | |
| auch die in der Gewerkschaft Verdi organisierte Deutsche Journalistinnen- | |
| und Journalisten-Union (dju). Wiederholt sei Medienvertreter:innen | |
| der Zugang zu Lützerath von der Polizei verwehrt worden. Außerdem habe es | |
| mindestens fünf körperliche Angriffe auf Journalist:innen durch die | |
| Polizei beziehungsweise durch von RWE beauftragte Security gegeben. | |
| Im Landtag will die SPD dies im Medienausschuss zum Thema machen. Auch der | |
| Innenausschuss wird sich bei seiner Sitzung am Donnerstag mit Lützerath | |
| beschäftigen. Aber auch wenn sich Grünen-Chefin Ricarda Lang am Montag | |
| hinter die Aufarbeitung im Parlament stellte: Scharf kritisiert wird die | |
| Polizei in den Landtagsausschüssen wohl nicht. Die Regierungsfraktionen von | |
| Grünen und SPD dürften sich erfahrungsgemäß zurückhalten – und die | |
| innenpolitische Sprecherin der SPD, Christina Kampmann, sagt wie | |
| Innenminister Reul, „der Polizeieinsatz in Lützerath“ sei „professionell | |
| und deeskalierend verlaufen“. | |
| „Wir haben im Landtag in dieser Frage eben keine wirkliche Opposition“, | |
| sagt Dirk Jansen vom BUND dazu. Einen Rücktritt von Innenminister Reul | |
| fordert in NRW nur die Linkspartei – doch die ist im Landtag nicht | |
| vertreten. | |
| 16 Jan 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
| Andreas Wyputta | |
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