| # taz.de -- Staatsaufträge nur bei Tarifbindung: Zoff um Regierungspläne | |
| > Nach Plänen der Ampelkoalition sollen Unternehmen ohne Tarifbindung | |
| > künftig bei öffentlichen Aufträgen leer ausgehen. Das finden die | |
| > Arbeitgeber doof. | |
| Bild: Kanzler Scholz, Arbeitgeberpräsident Dulger und DGB-Vorsitzende Fahimi n… | |
| Berlin dpa/taz | In der Debatte über staatliche Vorgaben für die Wirtschaft | |
| hat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger vor Plänen der Bundesregierung für | |
| mehr Tarifbindung gewarnt. „Man kann eine höhere Tarifbindung nicht | |
| erzwingen“, sagte Dulger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. DGB-Chefin | |
| Yasmin Fahimi dagegen hält die Ampelpläne für unzureichend. Angesichts | |
| milliardenschwerer staatlicher Unterstützung wegen hoher Energiepreise | |
| forderte Fahimi: „Keine Staatsknete mehr für Unternehmen, die sich der | |
| Sozialpartnerschaft in Form von Mitbestimmung und Tarifbindung entziehen.“ | |
| Seit Jahren sinkt die Zahl der Arbeitnehmer:innen, die in einem | |
| tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, denn immer mehr Firmen entziehen sich | |
| der Pflicht zu Tariflöhnen, indem sie aus dem Arbeitgeberverband ihrer | |
| Branche aussteigen oder eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung wählen. Die | |
| Beschäftigten dieser Betriebe verdienen oft deutlich weniger als die | |
| Kolleg:innen in Unternehmen mit Tarifbindung und haben schlechtere | |
| Bedingungen, etwa weniger Urlaub oder Weihnachts- und Urlaubsgeld. | |
| Nach den Zahlen des [1][Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung] | |
| sind mittlerweile 74 Prozent der Betriebe in Deutschland weder an einen | |
| Flächen- noch einen Haustarifvertrag gebunden. Bundesweit arbeiten gerade | |
| noch 51 Prozent der Beschäftigten auf einer tarifvertraglichen Grundlage – | |
| in den ostdeutschen Ländern sind es sogar nur 43 Prozent. Vor zwei | |
| Jahrzehnten verfügten demgegenüber noch fast 74 Prozent der Beschäftigten | |
| bundesweit über einen Tarifvertrag. | |
| In ihrem [2][Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP] die Stärkung der | |
| Tarifbindung versprochen. So soll eine Tariftreueregelung auf Bundesebene | |
| eingeführt werden. Wörtlich heißt es in der rot-grün-gelben Vereinbarung: | |
| „Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des | |
| Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der | |
| jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, | |
| unbürokratischen Erklärung beruht.“ | |
| ## Öffentliche Aufträge nur noch bei Einhaltung von Tarifverträgen? | |
| Der Bund soll demnach künftig nur noch Aufträge an Unternehmen vergeben | |
| dürfen, die sich an Tarifverträge halten. Auf der Arbeitgeberseite stößt | |
| das auf keine Begeisterung. Dulger wandte sich denn auch entschieden gegen | |
| eine Verknüpfung von öffentlichen Ausschreibungen und Tarifgeltung. „Davon | |
| halte ich wenig“, sagte der baden-württembergische Unternehmer. | |
| Mit diesen Regeln werde Deutschland nur noch komplizierter und schwieriger. | |
| „Sie werden gerade bei der Ausschreibung der öffentlichen Hand erleben, | |
| dass immer weniger Handwerksbetriebe Lust haben, Angebote zu machen, weil | |
| einfach die Fallstricke zu groß sind“, so Dulger. | |
| Fahimi dagegen sagte der dpa: „Laut einer EU-Richtlinie muss zukünftig | |
| jedes EU-Mitgliedsland eine Tarifbindung von mindestens 80 Prozent | |
| erreichen, andernfalls muss ein nationaler Aktionsplan durch die Regierung | |
| erstellt werden.“ In Deutschland sei das mittlerweile dringend notwendig. | |
| Nach ihrer Überzeugung werde die beabsichtigte verpflichtende Tarifbindung | |
| im Vergaberecht allein nicht reichen. „Auch die Versorgungsaufträge des | |
| Bundes und die Wirtschaftshilfen etwa zur Bremsung der Energiepreise müssen | |
| zwingend daran gebunden sein, dass sich Unternehmen dem Gemeinwohl | |
| verpflichtet fühlen“, forderte Fahimi. | |
| ## Streitpunkt „modulare Tarifanwendung“ | |
| Dulger mahnte hingegen, Tarifbindung sei Sache der Tarifpartner, der Staat | |
| dürfe lediglich unterstützend eingreifen. „Aber mit Zwängen und mit | |
| Verboten kommt man nicht weit“, sagte der Arbeitgeberpräsident. „Bei den | |
| Betrieben ist die Tarifbindung tatsächlich zurückgegangen“, räumte Dulger | |
| ein. Um gleich hinzuzufügen: „Der [3][Rückgang bei den Mitgliedern in den | |
| Gewerkschaften] wird in der Diskussion immer vergessen.“ | |
| Seines Erachtens müsse zwischen tariflich Beschäftigten und tarifgebundenen | |
| Betrieben unterschieden werden. Schließlich könnten auch Arbeitgeber, die | |
| nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind, oder Arbeitnehmer:innen, die | |
| nicht in der Gewerkschaft seien, Tarifverträge für ihre Arbeitsbedingungen | |
| nutzen. Außerdem gebe es gute Arbeit auch ohne Tarifverträge. „Oftmals auch | |
| dadurch, dass man die zentralen, aber nicht alle Regeln daraus auswählt“, | |
| sagte Dulger. | |
| Diese modulare Tarifanwendung sei ein Beitrag für mehr Tarifbindung und das | |
| Gegenteil von Tarifzwang. „Und wenn wir zu Recht alle Beschäftigten | |
| hinzuzählen, die eine solche Geltung von Tarifverträgen vereinbaren, aber | |
| nicht tarifgebunden sind, weil sie es nicht sein wollen, dann ist die | |
| Bindung viel höher“, betonte Dulger. | |
| Fahimi wandte sich strikt gegen modulare Tarifverträge. „Tarifverhandlungen | |
| sind kein Bonbonladen, in dem man sich das Reizvollste aussucht“, stellte | |
| die DGB-Chefin fest. Tarifverträge seien das Ergebnis von | |
| Verteilungskämpfen. „Und Tarifverträge sind Gesamtpakete, in denen es auch | |
| um Arbeitszeit, Urlaubsansprüche, Pflege, Gesundheitsvorsorge, | |
| Altersvorsorge und Weiterbildungsansprüche gehen kann.“ | |
| Nur Teile dieser Gesamtverabredung einzuhalten wäre so, „als zögen sie den | |
| Beschäftigten hintenrum das Geld wieder aus der Tasche“. Fahimi forderte, | |
| dass die Arbeitgeber die Möglichkeit beenden, dass Unternehmen ohne | |
| Beteiligung an Tarifverträgen im Arbeitgeberverband Mitglied sind. | |
| 30 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://iab.de/ | |
| [2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/gesetzesvorhaben/koalitionsv… | |
| [3] /Neue-DGB-Vorsitzende-Fahimi/!5850673 | |
| ## TAGS | |
| Tarifvertrag | |
| Yasmin Fahimi | |
| Gewerkschaft | |
| DGB | |
| Arbeitgeber | |
| Ampel-Koalition | |
| Unternehmen | |
| Streik | |
| Frank Werneke | |
| Yasmin Fahimi | |
| Tariflöhne | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Reform des Vergaberechts: Mehr öko, weniger Ausschreibung | |
| Das Wirtschaftsministerium will die Untergrenze für Ausschreibungen anheben | |
| und neue Kriterien einführen. Doch die FDP meldet Bedenken an. | |
| Arbeitskampf in Brief- und Paketzentren: Verdi kündigt Post-Streik an | |
| Die Tarifverhandlung mit der Post sind gescheitert. Verdi ruft die | |
| Beschäftigten in den Verteilerzentren bundesweit zum Arbeitskampf auf. | |
| Gestreikt werden soll ab sofort. | |
| Tarifauseinandersetzungen 2023: Hohe Erwartungshaltung | |
| Für knapp 11 Millionen Beschäftigte wird es in diesem Jahr | |
| Tarifverhandlungen geben. Den Auftakt machen der öffentliche Dienst und die | |
| Deutsche Post. | |
| DGB kritisiert Boni-Verbot: Kotau vor den Konzernen | |
| Die DGB-Chefin kritisiert das staatliche Boni-Verbot für subventionierte | |
| Unternehmen – ein verblüffendes Rollenverständnis einer | |
| Gewerkschaftschefin. | |
| Reform des Vergaberechts: Staat will Marktmacht nutzen | |
| Einkäufe der öffentlichen Hand sollen künftig ökologische und soziale | |
| Kriterien beachten. Dazu erarbeitet das Bundeswirtschaftsministerium eine | |
| Reform. | |
| „Konzertierte Aktion“ der Regierung: Viele warme Worte, nichts Neues | |
| Das zweite Treffen der Konzertierten Aktion bringt keine greifbaren | |
| Ergebnisse. Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern mehr. |