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# taz.de -- Tarifauseinandersetzungen 2023: Hohe Erwartungshaltung
> Für knapp 11 Millionen Beschäftigte wird es in diesem Jahr
> Tarifverhandlungen geben. Den Auftakt machen der öffentliche Dienst und
> die Deutsche Post.
Bild: Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat sich viel vorgenommen, hier ein…
Berlin taz | Frank Werneke gibt sich entschlossen. „Ich finde, die
Forderung passt gut in die Landschaft“, sagt der Vorsitzende von Verdi. Am
24. Januar beginnen in Potsdam die Tarifverhandlungen für den öffentlichen
Dienst des Bundes und der Kommunen. Eine Lohnsteigerung um stolze 10,5
Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat will die
Dienstleistungsgewerkschaft dabei für die rund 2,8 Millionen Beschäftigten
erstreiten und notfalls auch erstreiken. Deren Kampfbereitschaft sei hoch,
ist Werneke überzeugt.
Noch ambitionierter geht Verdi in die ebenfalls im Januar startenden
Tarifverhandlungen für die etwa 160.000 Beschäftigten der Deutschen Post.
Nach einer bescheidenen Lohnanhebung um 2 Prozent im vergangenen Jahr
sollen es nun 15 Prozent mehr werden.
Das ist eine Forderung, die noch deutlich über dem Anspruch eines
Inflationsausgleiches liegt, der ansonsten für die Gewerkschaften im
Zentrum der Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr steht. Allerdings ist
die Deutsche Post auch eine klassische Krisengewinnerin, die während der
Coronapandemie massiv ihren Umsatz und ihre Gewinnmargen steigern konnte.
Das sieht in etlichen anderen Branchen anders aus.
Es wird kräftig tarifverhandelt werden in diesem Jahr. Für insgesamt knapp
11 Millionen Beschäftigte laufen die Vergütungstarifverträge aus. Noch im
Frühjahr beginnen auch die Verhandlungen bei der Deutschen Bahn, dem
Kfz-Gewerbe, dem Bewachungsgewerbe, der Papier- und Pappe verarbeitenden
Industrie, der Textil- und der Bekleidungsindustrie.
## Lebenshaltungskosten stark gestiegen
Mitte des Jahres folgen unter anderem das Textilreinigungsgewerbe, die
Kautschukindustrie, der Einzel- sowie der Groß- und Außenhandel. Ab Herbst
steht dann das Gerüstebauerhandwerk und vor allem der öffentliche Dienst
der Länder mit seinen knapp eine Million Beschäftigten auf dem Programm.
Ende des Jahres geht es dann um die Holz- und Kunststoff verarbeitende
Industrie. Hinzu kommen noch etliche kleinere Branchen, in denen ebenfalls
verhandelt werden wird.
Es braucht keine prophetischen Gaben, um vorauszusagen, dass es in vielen
Bereichen schwierige und harte Tarifauseinandersetzungen werden. Angesichts
der stark angestiegenen Lebenshaltungskosten ist die Erwartungshaltung der
Beschäftigten auf wenigstens ausgleichende Lohnabschlüsse hoch.
Gleichzeitig gilt wegen des Ukrainekriegs die wirschaftliche Situation
vieler Unternehmen weiterhin als äußerst unsicher. Das lässt Arbeitskämpfe
nicht selten als Balanceakte erscheinen: das Bestmögliche herauszuholen,
ohne Arbeitsplätze zu gefährden.
## Schlechte Bilanz für Beschäftigte 2022
In welch schwieriger Situation sich die seit längerem schon [1][unter
Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften] befinden, ist mit einen Blick
zurück auf 2022 zu erkennen. Denn das vergangene Jahr war kein gutes für
abhängig Beschäftigte. Gegenüber 2021 stiegen die Tariflöhne in Deutschland
gerademal um durchschnittlich 2,7 Prozent. Was bei einer Steigerung der
Verbraucher:innenpreise um 7,8 Prozent de facto ein Minus im
Portemonnaie bedeutete.
Es sei „zu einem in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einzigartigen
Reallohnverlust“ gekommen, konstatiert Thorsten Schulten, der Leiter des
Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI)
der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Ein Problem war, dass in vielen Branchen aufgrund von längerfristig
wirksamen Verträgen 2022 keine Tarifverhandlungen stattgefunden haben.
Dadurch war es den Gewerkschaften in diesen Bereichen nicht möglich, auf
die gestiegenen Lebenshaltungskosten mit entsprechenden Lohnforderungen zu
reagieren. So gab es für rund 12 Millionen Beschäftigte nur bescheidene
Gehaltssteigerungen von durchschnittlich 2,6 Prozent, die bereits früher
vereinbart worden waren. Hier rächte sich die Zurückhaltung der
Gewerkschaften in der Coronazeit, die bereits 2021 zu einem Reallohnverlust
geführt hatte.
## Mickrige Abschlüsse in der Druckindustrie
Neue Tarifverträge wurden 2022 für etwa 7,4 Millionen Beschäftigte
abgeschlossen. Das auch dabei der durchschnittliche Zuwachs nur bei bei 2,9
Prozent liegt, resultiert zum einen aus sehr mickrigen Abschlüssen
beispielsweise in der Druckindustrie, bei den Tageszeitungen oder im
privaten Bank- sowie dem Versicherungsgewerbe, die auch in diesem Jahr den
dort Beschäftigten einen erheblichen Reallohnverlust bescheren werden. Zum
anderen wirkt sich aus, dass vereinbarte höhere Tarifsteigerungen und
Inflationsausgleichsprämien oft erst in diesem und dem kommenden Jahr
wirksam werden. Das gilt insbesondere für die Chemie- sowie die Elektro-
und Metallindustrie.
Die enorm gestiegene Inflation stelle die Tarifpolitik „vor vollkommen neue
Herausforderungen, auf die sie immer nur mit einer gewissen Zeitverzögerung
reagieren kann“, resümiert Schulten. Nach seiner Ansicht stehen die
Gewerkschaften bei den Tarifrunden in diesem Jahr nun „in erster Linie vor
der Aufgabe, weitere Kaufkraftverluste der Beschäftigten möglichst zu
verhindern“. Leicht wird das nicht.
2 Jan 2023
## LINKS
[1] /Auftakt-des-DGB-Bundeskongress/!5850891
## AUTOREN
Pascal Beucker
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