# taz.de -- Reform des Vergaberechts: Staat will Marktmacht nutzen | |
> Einkäufe der öffentlichen Hand sollen künftig ökologische und soziale | |
> Kriterien beachten. Dazu erarbeitet das Bundeswirtschaftsministerium eine | |
> Reform. | |
Bild: Geht's auch nachhaltiger? Neubau des Schulgebäudes an der Allee der Kosm… | |
Berlin taz | Es klingt wie eine bürokratische Nebensächlichkeit, aber es | |
ist ein enormer Hebel für mehr Klimafreundlichkeit und gegen Dumpinglöhne: | |
Die Bundesregierung stellt die Weichen für eine neue, nachhaltige | |
Einkaufspolitik der öffentlichen Hand. Das von Robert Habeck (Grüne) | |
geführte Bundeswirtschaftsministerium startet an diesem Donnerstag das | |
formelle Konsultationsverfahren für die Reform des Vergaberechts. Das | |
erfuhr die taz aus Regierungskreisen. Bis zum 14. Februar haben | |
Unternehmen, Organisationen, Verbände und interessierte Bürger:innen | |
die Möglichkeit, ihre Ideen, Erfahrungen und Erwartungen in den Prozess | |
einzubringen. | |
Das Vergaberecht regelt das Erteilen von Aufträgen, die der Bund, die | |
Länder und die Kommunen an private Unternehmen vergeben – vom Gebäudeneubau | |
über die Herstellung der Polizeiuniform bis zum Kauf des Kaffees für die | |
Rathauskantine. Dabei geht es nach Angaben des | |
Bundeswirtschaftsministeriums jährlich um einen dreistelligen | |
Milliardenbetrag. Durch seine Marktmacht hat der Staat die Möglichkeit, | |
gewünschte politische Entwicklungen rasch voranzubringen, etwa | |
klimafreundliche Produkte zu pushen oder das nachhaltige Bauen. | |
Bislang machen die Entscheider:innen auf Bundes-, Landes- oder | |
kommunaler Ebene davon aber wenig Gebrauch. Oft ist allein der Preis | |
ausschlaggebend für die Auftragsvergabe – auch wenn das auf Kosten der | |
angemessenen Bezahlung der Arbeitnehmer:innen oder des Klimaschutzes | |
geht. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen, das | |
zu ändern. „Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und | |
Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die | |
Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von | |
Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den | |
Mittelstand zu erhöhen“, heißt es dort. | |
Konkret geplant sind laut Regierungskreisen unter anderem die Einführung | |
von Mindestquoten für klimafreundliche Produkte beim öffentlichen Einkauf | |
sowie der Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten. | |
In dem jetzt begonnenen Konsultationsprozess können Interessierte 21 Fragen | |
beantworten, zum Beispiel welche Maßnahmen aus ihrer Sicht am besten zu | |
einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung beitragen. Das können | |
praktische Anleitungen, Begründungspflichten, Selbstverpflichtungen, Quoten | |
oder Mindestanforderungen sein. Gleichzeitig will die Bundesregierung die | |
öffentliche Beschaffung vereinfachen und beschleunigen. Auch dazu fragt sie | |
Vorschläge ab. | |
## Es geht auch um faire Arbeitsbedingungen | |
Die Reform ist kompliziert. Denn es werden neben dem Gesetz gegen | |
Wettbewerbsbeschränkungen, das die Vergabe von öffentlichen Aufträgen | |
regelt, etliche Verordnungen berührt. Die verschiedenen Aspekte sollen in | |
einem Gesetz mit dem Arbeitstitel „Vergabetransformationspaket 2023“ | |
gebündelt werden. Im Laufe des kommenden Jahres soll ein Referentenentwurf | |
für die Reform vorgelegt werden. Ziel sei es, die Änderungen im Jahr 2023 | |
im Kabinett zu beschließen, bevor sie Anfang 2024 in den Bundestag und dann | |
in den Bundesrat geleitet werden, hieß es. Die neuen Vorgaben sollen nicht | |
nur für den Bund, sondern auch für Länder und Kommunen gelten. Mancherorts, | |
etwa in Berlin, spielen nachhaltige Kriterien bei der Auftragsvergabe schon | |
heute eine Rolle. | |
So abwegig es angesichts der vielen Milliarden an Steuergeldern klingt, die | |
der Staat für seine Besorgungen ausgibt: Bislang gab es kaum belastbare | |
Zahlen dazu. Der ersten, [1][im Oktober 2022 veröffentlichten | |
Vergabestatistik] für das 1. Halbjahr 2021 zufolge wurden in diesem | |
Zeitraum 86.978 öffentliche Aufträge mit einem Auftragsvolumen von 52,8 | |
Miliarden Euro vergeben. Mit einem Anteil von fast 52 Prozent haben die | |
Kommunen mit Abstand die meisten Aufträge erteilt. Beim Bund waren es 9.881 | |
Vergaben mit einem Volumen von 9,9 Milliarden Euro. Allerdings sind die | |
Daten mit Vorsicht zu betrachten. | |
Denn die Erhebung erfolgt erst seit Kurzem, nur etwas mehr als die Hälfte | |
der erfassten Beschaffungsstellen haben Informationen gemeldet. Die meisten | |
Aufträge vergibt der Staat für Bauarbeiten, gefolgt von Dienstleistungen | |
von Architektur-, Konstruktions- und Ingenieurbüros und Prüfstellen, | |
Straßenbau- sowie Elektroinstallationsarbeiten. Nachhaltigkeit ist bislang | |
kein vorrangiger Faktor. „Nachhaltigkeitskriterien wurden in 10.825 | |
öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen berücksichtigt. Dies entspricht | |
12,4 Prozent der für das 1. Halbjahr 2021 gemeldeten Fälle“, heißt es in | |
der Vergabestatistik. | |
Seit Langem schon mahnen zahlreiche Organisationen, Verbände und | |
Gewerkschaften, die öffentliche Beschaffung neu auszurichten. Dabei geht es | |
nicht nur um ökologische Aspekte, sondern auch und gerade im faire | |
Arbeitsbedingungen. Beispiel Tarifbindung: Seit Jahren sinkt die Zahl der | |
Arbeitnehmer:innen, die in einem tarifgebundenen Unternehmen arbeiten, denn | |
immer mehr Firmen entziehen sich der Pflicht zu Tariflöhnen, indem sie aus | |
dem Arbeitgeberverband ihrer Branche aussteigen oder eine Mitgliedschaft | |
ohne Tarifbindung wählen. Die Beschäftigten dieser Betriebe verdienen oft | |
deutlich weniger als die Kolleg:innen in Unternehmen mit Tarifbindung | |
und haben schlechtere Bedingungen, etwa weniger Urlaub oder Weihnachts- und | |
Urlaubsgeld. In den neuen Bundesländern ist die Zahl der tarifgebundenen | |
Unternehmen besonders niedrig, was ein Grund für das Lohngefälle zwischen | |
Ost- und Westdeutschland ist. | |
Die Vergabe öffentlicher Aufträge soll künftig auch daran gebunden werden, | |
dass sich der Auftragnehmer an einen repräsentativen Tarifvertrag der | |
jeweiligen Branche hält. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat | |
bereits im Dezember ein Konsultationsverfahren dazu durchgeführt. Auch | |
diese Ergebnisse sollen in das Gesetz einfließen. | |
28 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/bmwk-vergabestati… | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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