# taz.de -- Erinnerung an Zwangsarbeit: Gedenken an der Partymeile | |
> Das Berliner RAW-Gelände ist bekannt für Partys und Konzerte. Jetzt | |
> erinnert man daran, dass hier einst Zwangsarbeiter geschunden wurden. | |
Bild: Das RAW-Gelände ist ein zentraler Ort Berliner Clubkultur – und beinah… | |
BERLIN taz | Ein paar Skater mit auf den Rücken geschnallten Boards | |
latschen in die Skatehalle auf dem RAW-Gelände im Berliner Stadtteil | |
Friedrichshain. Sie müssen vorbei an einem Schaukasten, der hier seit Mitte | |
Dezember steht und ziemlich unscheinbar wirkt, obwohl er über wahre | |
Monstrositäten informiert. Hier, inmitten [1][Berlins bekannter Ausgeh- und | |
Partymeile] mit all ihren Clubs und Kneipen, ging es einst gar nicht so | |
spaßig zu wie heute. | |
In den teils unter Denkmalschutz stehenden Gebäuden, in denen man heute die | |
Nächte durchfeiert, mussten während der Nazizeit Zwangsarbeiter schuften. | |
Sie wurden gehalten wie Sklaven, erniedrigt, geschlagen und, wenn ihren | |
Aufpassern danach war, einfach getötet. Zum Essen gab es dünne Suppe und | |
Brot mit Sägespänen. | |
## Nur ein Anfang | |
Darüber informiert dieser Schaukasten: dass es hier vor ungefähr 80 Jahren | |
unfassbare Gräuel gab, was eigentlich niemanden überraschen muss angesichts | |
der Geschichte des Geländes. Und was dennoch bislang wenig erforscht, | |
geschweige denn publik gemacht wurde, bis sich nun Dominik Aurbach der | |
Sache angenommen hat. | |
Der arbeitet [2][bei Drop In], einem gemeinnützigen Verein, der sich in der | |
Bildungsarbeit für Jugendliche engagiert und auch Programme in der | |
Skatehalle organisiert. Über ein Jahr lang hat er sich mit dem Thema | |
NS-Zwangsarbeit auf dem RAW-Gelände beschäftigt, wobei er finanziell vom | |
Fonds Soziokultur unterstützt wurde. Seine Erkenntnisse lassen sich nun in | |
dem Schaukasten nachlesen und in einer Broschüre, die seit Kurzem in den | |
Ausgehläden auf dem Areal ausliegt. | |
„Reichsbahnausbesserungswerk“, so hieß der Betrieb einst, dessen Abkürzung | |
RAW bis heute verwendet wird. „Reichsbahnausbesserungswerk“, wer dieses | |
Wort einfach mal ausspricht, kann ja eigentlich gar nicht anders, als an | |
Stechschritt und äußerst unangenehmen Kasernenhofton zu denken. Ab 1919 | |
wurde der Ort so genannt, davor hieß die 1867 gegründete Einrichtung, in | |
der die Deutsche Reichsbahn ihre Loks instand hielt, „Königlich-Preußische | |
Eisenbahnwerkstatt Berlin II“. Was sich auch nicht viel besser anhört. | |
## Bahn im Krieg | |
Die Deutsche Reichsbahn war in der Nazizeit elementarer Bestandteil von | |
Adolf Hitlers Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie. Sie transportierte | |
Soldaten und Nachschub an die Front und Gefangene in die Vernichtungslager. | |
Natürlich hatte sie auch keine Skrupel, selbst Zwangsarbeiter einzusetzen. | |
Im Laufe des Zweiten Weltkrieges gab es immer mehr zu tun in solch einem | |
Werk, das Eisenbahnwaggons instand halten soll. Und Zwangsarbeiter waren | |
dafür bestimmt, bis zum Umfallen schuften zu müssen. | |
Deren Schicksal „fand jahrzehntelang keine Beachtung“ schreibt Aurbach in | |
seiner Broschüre. Im persönlichen Gespräch direkt vor dem Schaukasten sagt | |
er: „Es ist der großen Öffentlichkeit nicht bewusst, dass hier Zwangsarbeit | |
stattfand.“ In der DDR wurde das Ausbesserungswerk weiterbetrieben und 1967 | |
nach dem von den Nazis ermordeten [3][bayrischen Kommunisten Franz Stenzer] | |
benannt. So sah die Aufarbeitung der Nazizeit in der DDR ja meistens aus: | |
Neuer Name über den alten und damit wäre die Sache auch schon erledigt. Die | |
Akten landeten dann nach der Wiedervereinigung im Archiv des Deutschen | |
Technikmuseums in Berlin und da lagen sie dann erst einmal weitgehend | |
unbeachtet. | |
Der Friedrichshainer SPD-Politiker Sven Heinemann habe dann vor vier Jahren | |
in einem Buch das Thema Zwangsarbeit im ehemaligen Ausbesserungswerk | |
angeschnitten, so Aurbach. Seine eigene Beschäftigung bezeichnet er nun als | |
„erste wirklich umfangreiche Auseinandersetzung“ mit diesem – will sie | |
gleichzeitig aber lediglich als einen „Aufschlag“ betrachtet wissen, auf | |
den hoffentlich mehr folgen werde. Das Thema sei gesetzt, nun möge die | |
Zivilgesellschaft einen passenden weiteren Umgang damit finden. | |
## Zukunft ungewiss | |
Ob aus dem Schaukasten, der irgendwo im Eck neben einer Skatehalle keinen | |
wirklich prominenten Platz gefunden hat, in naher Zukunft gar ein Denkmal | |
werden soll, das mögen nun andere entscheiden. Eine Initiative | |
beispielsweise, die diese Frage diskutiert, halte er für eine gute Idee. | |
Mit dem Eigentümer des Geländes gebe es außerdem Gespräche, den | |
Erinnerungsschaukasten eventuell an exponierterer Stelle auf dem Areal | |
aufzustellen. | |
Nach aktuellen Plänen soll der schon ziemlich bald damit beginnen dürfen, | |
dieses sowieso gehörig umzugestalten. Viele der bereits baufälligen | |
Gebäude, in denen derzeit Clubs untergebracht sind, würden dann abgerissen | |
und durch schicke Bürokomplexe ersetzt werden. In diesem zukünftigen | |
Ambiente soll das Erinnern an NS-Zwangsarbeiter bestimmt weniger schmucklos | |
aussehen als derzeit. | |
15 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Berlins-Spielplatz-der-Subkultur/!5870041 | |
[2] https://www.dropin-ev.de | |
[3] https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanke… | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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