# taz.de -- Orthodoxe Ukrainer gespalten: Ein Krieg und zwei Kirchen | |
> Bei Razzien in Klöstern werden Beweismittel gefunden. Diese legen eine | |
> Verbindung der ukrainisch-orthodoxen Kirche zu Russland nahe. | |
Bild: Der Krieg und die Kirchen, hier eine Szene aus der ukrainischen Stadt Swj… | |
LUZK taz | In der Region Wolhynien, in der Westukraine, durchsucht der | |
ukrainische Geheimdienst SBU dieser Tage die Liegenschaften der | |
[1][Ukrainischen-orthodoxen Kirche nach Beweisen für Verbindungen zu | |
Moskau]. Und er wird fündig. Im Dorf Miltsy tauchte in einem Kloster ein | |
Zettel mit einem Gebet für den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche | |
Kirill auf, der die russische Armee in der Ukraine segnet. | |
Im größten Gotteshaus der Ukrainischen-orthodoxen Kirche in Luzk haben die | |
ukrainischen Agenten noch nicht vorbei geschaut. Die Pokrowskaja-Kirche ist | |
immer gut besucht. „In unserem Land gibt es zusätzlich zu dem eigentlichen | |
Krieg einen geistlichen Krieg, der unsere Gesellschaft spaltet. Gewöhnliche | |
Laien in Soutanen nennen sich zwar Diener Christi, aber sie treten | |
gegenüber Gläubigen und Priestern aggressiv auf“, predigt Archimandrit | |
Feofan. | |
Er spielt auf Mitglieder der anderen orthodoxen Kirche im Land an, nämlich | |
die [2][Orthodoxe Kirche der Ukraine], eine autokephale Kirche, die seit | |
2019 offiziell als eigenständig anerkannt ist. Die Ukrainisch-orthodoxe | |
Kirche, zu der sich Archimandrit Feofan bekennt, hieß bis zum 27. Mai 2022 | |
Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats und war bis dahin Teil | |
der Russisch-Orthodoxen Kirche. | |
An diesem Sonntag in der Pokrowskaja-Kirche in Luzk scheitert der erste | |
Versuch, als Journalist mit den Geistlichen ins Gespräch zu kommen. Ohne | |
Aufnahmegerät erklärt sich schließlich ein Pfarrer bereit. | |
## Pfarrer weicht aus | |
Themen wie die Razzien des Geheimdienstes in der Moskau-nahen Kirche und | |
ihr mögliches Verbot sind tabu. „Journalisten und Facebook bringen Unruhe | |
in die Gesellschaft“, sagt er und versucht, das Gespräch in eine andere | |
Richtung zu lenken. „Es gibt auch Soldaten unter unseren Gläubigen. | |
Hunderte von unseren Gemeindemitgliedern aus Wolhynien haben sich für die | |
Ukraine eingesetzt, aber wir werden weiterhin als „Moskaly“(Schimpfwort für | |
Russ*innen in der Ukraine, Anm. d. Red.) und Separatisten bezeichnet.“ So | |
vermeidet der Pfarrer die Frage, warum die Ukrainisch-orthodoxe Kirche noch | |
keinen ihrer Priester offiziell bestraft hat, die als Kollaborateure der | |
russischen Besatzer aufgefallen sind. | |
Nach dem Gottesdienst werden die Menschen gesprächiger. Befragt nach dem | |
Foto eines nackten Priesters mit einem jungen Mann in einer Kirche in der | |
westukrainischen Stadt Tscherniwzi, die der Geheimdienst bei einer anderen | |
Razzia überrascht hatte, sagt eine Frau: „Ich denke, das ist eine | |
Fälschung, ich kann es mir nicht erklären.“ Dann bekreuzigt sie sich. | |
Eine andere Frau sagt dazu: „Diese unverständliche Aggression richtet sich | |
gegen unsere Gemeinde. Ich bin mir sicher, dass all diese Durchsuchungen | |
und Angriffe nicht legal und unchristlich sind.“ | |
Am Abend ist in den ukrainischen sozialen Medien eine Durchsuchung in einem | |
weiteren Kloster in Wolhynien das Topthema. In einem Fernsehbericht schwört | |
ein etwa 55-jähriger Mann, dass er seine Kirche, die ehemalige | |
Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats, niemals verraten werde | |
und nicht verstehe, was die Polizei im Kloster täte. | |
## 100 Gemeinden wechseln | |
Die Frage, wer den Krieg entfesselt habe, kann er nicht beantworten. „Ich | |
bin kein Politiker, sondern ein orthodoxer Christ. Gott herrscht über alle, | |
es ist mir egal, welches Land hier sein wird – die Ukraine oder Russland. | |
Hauptsache, hier herrschen Frieden und Liebe und dass wir keine Feinde | |
sind“, sagt er. | |
Gotteshäuser, in denen Gläubige der Orthodoxen Kirche der Ukraine beten, | |
bezeichnen sich als „erobert“. Denn die Orthodoxe Kirche der Ukraine | |
betrachtet sich als „die einzige kanonische Kirche“ im Lande. Zeitgleich | |
werden Menschen als „Schismatiker“ und „Rebellen“ bezeichnet, wenn sie … | |
der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche | |
wechseln. Aus der Perspektive der [3][„Moskau-nahen“ Kirche] bedeutet der | |
Schritt „nicht einfach in die Kirche zu gehen, sondern dort Politik | |
hineinzutragen.“ | |
Zum ersten Mal hat die Orthodoxe Kirche der Ukraine die größte Anzahl an | |
Mitgliedern in der Region Wolhynien, wo es mehr als 1.000 orthodoxe | |
Gemeinden gibt. Seit dem 24. Februar 2022 verließen in der Region 50 | |
Pfarreien die Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats, die seit | |
dem 27. Mai offiziell in Ukrainisch-orthodoxe Kirche umbenannt wurde. | |
Seit 2019 haben insgesamt 100 Gemeinden vom „Moskauer“ zum „Kyjiwer | |
Patriarchat“ gewechselt. Der Wechsel von Priestern, Gläubigen und Kirchen | |
ist einfach. Dafür muss man eine Versammlung mit einer Mehrheit der | |
Gläubigen einberufen und die entsprechenden Unterlagen an den Bischof | |
schicken. Ab diesem Zeitpunkt darf die Gemeinde Gottesdienste als Teil der | |
anderen orthodoxen Kirche abhalten und sich als solche registrieren lassen. | |
## Hin und her | |
In der Region Wolhynien gab es mehrere Skandale, als Moskau-nahe Priester | |
den Forderungen der Gemeinde nicht zustimmten. Ein Priester ließ zum | |
Beispiel Gemeindemitglieder, die sich für einen Wechsel entschieden hatten, | |
nicht mehr in die Kirche hinein. In einer anderen Stadt errichteten | |
Anhänger des Moskauer Patriarchats ein Zelt, um dort zu beten und die | |
Anhänger der anderen Kirche zu verfluchen. Diese hatten die ukrainische | |
Flagge am Eingang des Gotteshauses aufgestellt. | |
In der Stadt Luzk ist auch eine Kirche zurückgerudert. Im Mai hatte sich | |
der Prior einer Kirche, Wladimir Litwentschuk, mit seiner Gemeinde der | |
Orthodoxen Kirche der Ukraine angeschlossen. Einen Monat später überlegte | |
er es sich anders und kehrte zum Moskauer Patriarchat zurück. Er | |
rechtfertigte sich: Die Synode habe im Juni die Beziehungen zu Moskau | |
angeblich endgültig abgebrochen. | |
Litwentschuk bereute dann seine Entscheidung und kehrte erneut zurück zur | |
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Litwentschuk hatte bereits im Mai seine | |
Kirche für die stillschweigende Akzeptanz des russischen Krieges | |
kritisiert. Mittlerweile hat er sich aus den sozialen Medien zurück | |
gezogen. | |
## „Auf keinen Fall zu etwas zwingen“ | |
Im Dorf Zaborol, das ebenfalls im Westen des Landes liegt, äußert sich der | |
Militärseelsorger und Vorsteher der Pfarrei, Witali Antonjuk, zu den | |
mutmaßlichen Beweggründen für den Wechsel. „Viele Menschen sind noch einem | |
kommunistischen und sowjetischen Denken verhaftet und sie leben mit | |
geschlossenen Augen. Viele, die in der Moskauer Kirche getauft wurden, | |
wollen auch dort begraben werden“, sagt er. | |
„Wenn wir mit solchen Überzeugungen weiter gelebt hätten, dann gäbe es die | |
Ukraine überhaupt nicht. Wenn Menschen die Kirche nicht wechseln möchten, | |
bedeutet das, dass sie ihre Vision nicht ändern wollen, dass es für sie | |
bequem ist“, sagt Vater Witali. „Aber sie dürfen auf keinen Fall zu | |
irgendetwas gezwungen werden, denn die Kirche ist kein Ort dafür. Es muss | |
den Willen der Menschen dazu geben.“ | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
22 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Russlandnaehe-bei-ukrainischer-Kirche/!5897777 | |
[2] /Kirchen-in-der-Ukraine/!5856256 | |
[3] /Die-Kirche-in-Russland-und-der-Ukraine/!5838634 | |
## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Russisch-Orthodoxe Kirche | |
Religion | |
GNS | |
Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Osteuropa – ein Gedankenaustausch | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Melnyk fordert „Panzerallianz“ | |
Deutschland solle die Führung übernehmen und schwere Waffen liefern, | |
fordert Ex-Botschafter Melnyk. US-Senat für neue Milliardenhilfen an die | |
Ukraine. | |
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: EU lädt Selenski ein | |
Nach Selenskis Besuch in den USA hat die EU den ukrainischen Präsidenten | |
nach Brüssel eingeladen. Anlass könnte der EU-Ukraine-Gipfel am 3. Februar | |
sein. | |
Russlandnähe bei ukrainischer Kirche: Putins letzte Höhlung | |
Russlands Einfluss auf die ukrainischen Gläubigen ist immer noch stark. Das | |
zeigt sich einmal mehr nach den Razzien im wichtigen Höhlenkloster. | |
Russische Staatspropaganda: Putins schöne weite Welt | |
Das Konzept der „Russischen Welt“ ist nicht klar definiert. Jetzt kämpft | |
Russland unter diesem Banner in der Ukraine auch gegen Satanismus. | |
Differenzen mit Patriarch Kyrill I.: Orthodoxe unter sich | |
Ein neues lettisches Gesetz veranlasst die Loslösung der | |
lettisch-orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat. Dort ist man stramm | |
auf Kremlkurs. |