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# taz.de -- Kirchen in der Ukraine: Der Krieg auf der Kirchenbank
> Immer mehr Gläubige der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchat
> laufen zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche über.
Bild: Blick auf die goldenen Türme einer orthodoxen Kirche in Charkiw
Luzk taz | Erzpriester Wolodimir Litwentschuk ist in Luzk, im Nordwesten
der Ukraine, eine Autorität. Lange Zeit war er Beichtvater der örtlichen
Fußballmannschaft. In einem Wohnviertel ließ er eine Kirche im ukrainischen
Barockstil erbauen. Nach dem Ausbruch des Krieges am 24. Februar begann er
mit Vertretern der Polnisch-Orthodoxen Kirche Hilfslieferungen in den
umkämpften Osten der Ukraine zu organisieren.
Das bringt ihn nun in Schwierigkeiten: „Erzpriester Wolodimir Litwentschuk,
Vorsteher der Kirche der Heiligen Verkündigung, wird wegen Spaltung, einer
groben Verletzung des Eides eines Geistlichen, mit einem Dienstverbot
belegt“, heißt es in einem Auszug aus einem Beschluss der Wolyner Diözese
der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiat, die die meisten
Ukrainer nur Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine nennen. „Es ist ihm
fortan untersagt, die Sakramente für die Taufe, Hochzeit und Beichte zu
erteilen. Sollte er das trotzdem tun, wird dieses Sakrament für ungültig
erklärt. Der Erzpriester hat nicht das Recht, Menschen zu segnen und das
priesterliche Kreuz zu tragen.“
Erzpriester Litwentschuk wird bestraft, weil er mit seinen
Gemeindemitgliedern und seinem Gotteshaus zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche
„übergelaufen“ ist. Die Kirche war 2018 aus dem Zusammenschluss zweier
anderer orthodoxer Kirchen hervorgegangen, Anfang 2019 segnete der
ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel diese Entscheidung
ab und erkannte ihre Unabhängigkeit an.
Der geistliche Seitenwechsel in Luzk ist der erste Fall dieser Art. Die
220.000-Einwohner-Stadt im Westen der Ukraine war lange Zeit eine Hochburg
der Russisch-Orthodoxen Kirche.
## Sollten sie Kerzen für die Gesundheit Kyrills aufstellen?
Doch was war passiert? Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine
begannen die Gemeindemitglieder der Russisch-Orthodoxen Kirche in der
Ukraine ihre Oberhirten zu fragen, wie man denn jetzt für die Gesundheit
des Moskauer Patriarchen Kyrill, eines der engsten Vertrauten Wladimir
Putins, beten solle. Für ebenjenen Mann, der die russische Armee für den
Krieg gegen die Ukraine segnet. Sollten sie Kerzen für die Gesundheit
Kyrills aufstellen, der sagte, dass „Russland niemals jemanden angegriffen
hat“? [1][Und wie solle man mit der Russisch-Orthodoxen Kirche umgehen,
wenn russische Soldaten dutzende Kirchen in der Ukraine zerstören] –
darunter das Swatogorsker Kloster im Donbass, eines der Heiligtümer der
Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine? Zweimal waren Zivilisten, die
dort Zuflucht gesucht hatten, von russischen Flugzeugen bombardiert worden.
Fast scheint es so, als ob die Führung der Russisch-Orthodoxen Kirche ihren
ukrainischen Ableger zwingen möchte, mit ihr zu brechen.
Eine Zeit lang dachte das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche in der
Ukraine, Metropolit Onufriy, darüber nach, eine religiöse Prozession in dem
von russischen Truppen eingekesselten Mariupol anzuführen. Von den
Kirchenmännern wurde die Durchführung einer Hilfsmission in die belagerte
und zerbomte Stadt erwartet – leider vergeblich.
Einige Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine verzichteten
darauf, Patriarch Kyrill in ihre Gebete einzuschließen. Im April forderten
die 20 radikalsten von ihnen, [2][Kyrill vor ein internationales
Kirchentribunal zu stellen.] Es gab auch Forderungen, eine Synode
einzuberufen, um den Weg zur Autokephalie, der kirchenrechtlichen
Unabhängigkeit, einzuschlagen.
## Die Kirche im Orbit der „russischen Welt“
Mit Spannung warteten auch die führenden Geistlichen der
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche auf eine Reaktion von Metropolit Onufriy.
Jedoch beschloss seine Kirche am 12. Mai auf ihrer Synode, die Kirche im
Orbit der „russischen Welt“ zu belassen und auf „bessere Zeiten“ zu war…
Auch die Gläubigen der eigenen Kirchengemeinschaft litten unter dem Krieg,
hieß es dort. Es fiel kein Wort darüber, wer wen überfallen hatte, auch
Präsident Wladimir Putin und Patriarch Kyrill blieben unerwähnt.
Gleichzeitig sprach der Klerus von Aufstachelung zu religiösen Hass in der
Ukraine.
Onufriy empörte sich zudem über einen Gesetzentwurf des ukrainischen
Parlaments, wonach die Aktivitäten der Russisch-Orthodoxen Kirche in der
Ukraine verboten werden sollen.
Die These der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine, dass „die falsche
Religionspolitik des früheren Präsidenten Petro Poroschenko und die
zerstörerische Ideologie der Orthodoxen Kirche der Ukraine einer der Gründe
für die militärische Invasion der Ukraine gewesen seien“, löste einen Sturm
der Entrüstung in den sozialen Medien aus. Die Bezeichnung der Führung als
„Pharisäer“ gehörte dabei noch zu den harmloseren Varianten.
Der Vorsitzende des Akademisches Rates der Universität in Ostrog, Petr
Krajuk, kommentierte den Vorfall wie folgt:.„Dem Klerus und den Gläubigen
wird klar zu verstehen gegeben: Vor einem Austritt aus der
Russisch-Orthodoxen Kirche kann keine Rede sein, weil dies unkanonisch ist
und einem Schisma gleichkäme. Das bedeutet, dass wir weiter dem Beispiel
der „russischen Welt“ folgen müssen“.
## Für Vater Litwentschuk schlug die Stunde der Wahrheit
Es überrascht nicht, dass nach der Erklärung der Synode auch für Vater
Litwentschuk die Stunde der Wahrheit schlug. Auf Facebook machte er seiner
Enttäuschung über Metropolit Onufriy und dessen Gefolge Luft. „Wir alle
haben Änderungen bei Handlungen und Einstellungen gegenüber den Invasoren
unseres Landes und denen, die sie gesegnet haben, erwartet. Doch nichts
dergleichen. Unsere Metropoliten haben eine Gelegenheit verpasst, religiöse
Auseinandersetzungen im Land zu verhindern“, schrieb er.
Einige Tage später erklärten die Gläubigen der Gemeinde Litwentschuks
schriftlich den Austritt aus der Russisch-Orthodoxen Kirche und den
Beitritt zur Orthodoxen Kirche der Ukraine. Deren Patriarch Epiphanius gab
diesem Antrag sofort statt.
Seit ihrer Unabhängigkeit 2019 sind über 100 Gemeinden zur
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche übergetreten. Allein in den vergangenen drei
Monaten gab es in der Region Wolhynien 19 solcher Erklärungen.
In lokalen Medien und in den sozialen Netzwerken finden sich täglich
Berichte über Versammlungen von Gläubigen und Austritte aus der
Kirchengerichtsbarkeit der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine.
## Ein Priester auf dem Kartoffelfeld
Insgesamt sind in Wolhynien etwa 560 Kirchengemeinden der
Russisch-Orthodoxen Kirche sowie die gleiche Anzahl offiziell registrierter
Gemeinden der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche tätig.
Auch Letztere kam nicht umhin, sich zu den Massenübertritten zu verhalten.
Die Reaktion fiel zurückhaltend aus – wohl auch um keine weiteren Konflikte
und Zwietracht in dem vom Krieg zerrissenen Land zu provozieren und den
Prozess nicht noch zu beschleunigen.
So durften zum Beispiel Gemeinden nach dem Übertritt zur
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche ihre Traditionen beibehalten und die Sprache
für den Gottesdienst wählen. Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche
blieben auf ihren Posten – jedoch unter der Bedingung, dass sie die
Entscheidung ihrer Gläubigen, das Gotteshaus zu wechseln, unterstützen.
Insgesamt haben in der Ukraine bis Ende April mehr als 100 Diözesen der
Russisch-Orthodoxen Kirche den Wunsch geäußert, zur Orthodoxen Kirche der
Ukraine überzutreten.
Dennoch: Die Politik und der Krieg könnten der russischen Kirche in der
Ukraine helfen, ihren Status quo aufrechtzuerhalten. So sagte
Parlamentssprecher Ruslan Stefanchuk Anfang Mai, dass die Abgeordneten noch
keinen Gesetzentwurf zum Verbot der Aktivitäten der Russisch-Orthodoxen
Kirche in der Ukraine in Erwägung zögen. Das könne zu einer noch tieferen
Spaltung der Gesellschaft führen. Während Politiker noch grübeln, was sie
mit einer religiösen Organisation tun sollen, die von einem Aggressor
kontrolliert wird, nimmt der Konflikt zwischen den Kirchen immer bizarrere
Formen an. Es gibt Geistliche, die dem Moskauer Patriarchat treu geblieben
sind und übergelaufenen Gemeindemitgliedern den Zutritt zu den Kirchen
verweigern.
Im Dorf Witschini in der Region Wolhynien gingen Mitglieder der Gemeinde
zum Priester, weil sie für den Übertritt zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche
unterschreiben wollten. Doch sie trafen ihn nicht an – weder in der Kirche
noch zu Hause. Noch während sie 137 Unterschriften sammelten, versuchten
sie immer wieder den Gottesmann anzurufen. Als sie ihn endlich gefunden
hatten, sagte er, er habe die Telefonate nicht annehmen können, weil er
Kartoffeln gesetzt habe. Nach der Wiedereröffnung des Gotteshauses fand
sich schließlich die ganze Gemeinde zum ersten Gottesdienst ein – in der
Ukrainisch-Orthodoxen Kirche.
Übersetzung aus dem Russischen: Barbara Oertel
25 May 2022
## LINKS
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[2] /Orthodoxe-Kirche-in-der-Ukraine/!5854559
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats
Gläubiger
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Indigene Kultur
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Lesestück Recherche und Reportage
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