# taz.de -- Karikaturen von Irans Staatsoberhaupt: „Charlie Hebdo“ ärgert … | |
> Urinduschen und andere Derbheiten: Auf die jüngsten Karikaturen vom | |
> iranischen Religionsführer Ali Chamenei reagiert Teheran empört. | |
Bild: „Mullahs geht dahin zurück, wo ihr herkommt!“: Ausriss aus Chalire H… | |
PARIS/BERLIN taz | Acht Jahre nach dem Attentat auf die Redaktion von | |
Charlie Hebdo in Paris, bei dem zwei dschihadistische Terroristen zwölf | |
Menschen töteten, hat die französische Satirezeitung am Mittwoch in einer | |
Sondernummer erneut provozierende Karikaturen veröffentlicht. Dieses Mal | |
traf es das religiöse Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei. In | |
Teheran sorgen die Zeichnungen nun für Aufregung. | |
Das iranische Regime ließ als Reaktion eine renommierte französische | |
Forschungseinrichtung, das 1983 gegründete Institut Français de Recherche | |
en Iran (Ifri), im Zentrum der iranischen Hauptstadt schließen und drohte | |
mit weiteren Reaktionen. Außenminister Hossein Amir-Abdollahian bestellte | |
den französischen Botschafter ins Außenministerium ein. | |
[1][Auf Twitter schrieb er], der beleidigende Akt des französischen | |
Magazins werde nicht unbeantwortet bleiben. „Wir werden nicht zulassen, | |
dass die französische Regierung die Grenzen überschreitet, sie hat | |
definitiv den falschen Weg eingeschlagen.“ Dem Außenminister zufolge stand | |
das Magazin bereits auf der Sanktionsliste der Islamischen Republik. | |
Aus Solidarität mit den seit mehr als drei Monaten demonstrierenden Frauen | |
und anderen Regimegegnern im Iran hatte sich Charlie Hebdo etwas Spezielles | |
einfallen lassen: einen internationalen Wettbewerb mit Karikaturen von | |
Ajatollah Ali Chamenei. „Wenn ich mir den anschaue, sage ich mir, der hat | |
einen für Karikaturen guten Kopf“, sagte Redaktionsleiter Riss (Laurent | |
Sourisseau) in französischen Medien. Er fügte ironisch hinzu, der Mullah | |
sei ja „im Unterschied zu Mohammed kein Prophet“. Man dürfe ihn also | |
ungeschoren auf die Schippe nehmen, ohne der Blasphemie beschuldigt zu | |
werden. | |
Vorgabe war es, dass die Zeichnungen lustig, aber auch im Stil von Charlie | |
Hebdo möglichst frech und ungeniert sind. Die Karikaturisten ließen sich | |
nicht lange bitten: In nur zwei Wochen gingen mehr als 300 Zeichnungen ein, | |
von denen am Mittwoch [2][35 publiziert] wurden. Unter den Teilnehmenden | |
befanden sich laut Riss besonders viele in Frankreich oder sonst im Ausland | |
lebende iranische Zeichner und vor allem Zeichnerinnen. | |
## Urindusche für Chamenei | |
Dem unter dem Pseudonym Kianoush seit 2009 in Frankreich tätigen iranischen | |
Karikaturisten gefiel die Idee: „Normalerweise mache ich nie bei | |
Pressewettbewerben mit. Aber in diesem Fall hat es mich persönlich berührt, | |
dass Charlie Hebdo Chamenei angreift, der verantwortlich ist für (die | |
Verfolgungen) im Iran. Die Redaktion hat der Stimme des iranischen Volks | |
Gehör geschenkt.“ Auf dem Titelblatt der Sondernummer ist eine nackte Frau | |
abgebildet. Vor ihren gespreizten Beinen stehen kleine griesgrämige Mullahs | |
an. „Kehrt dorthin zurück, wo ihr herkommt, Mullahs“, lautet der Titel | |
dazu. | |
In vielen Zeichnungen des Wettbewerbs wird ein Zusammenhang zwischen den | |
Forderungen der Frauen im Iran und Chamenei hergestellt: Auf einer | |
Zeichnung wird der oberste Führer von einem spitzen Absatz zerdrückt, auf | |
einer anderen steht er zwischen zwei Frauenbeinen unter einer Urindusche. | |
In mehreren anderen Karikaturen geht es um Anspielungen auf die kürzlichen | |
[3][Exekutionen von iranischen Oppositionellen], die dem Regime und im | |
Speziellen Chamenei angelastet werden. Anfang Dezember waren zwei Personen, | |
die im Zusammenhang mit dem aktuellen Aufstand verurteilt worden waren, | |
gehängt worden. Etliche weitere Todesurteile sind bereits gefallen. | |
In der Islamischen Republik gehört nicht nur Chamenei – Staatsoberhaupt, | |
höchste religiöse Autorität und Revolutionsführer in einer Person –, | |
sondern die gesamte Geistlichkeit zu den Heiligkeiten, über die man sich | |
nicht lustig machen darf. Chamenei selbst ist quasi unantastbar. Sein Name | |
muss in der Presse immer mit einem Präfix wie „der heilige Führer der | |
Revolution“ oder „der Oberste Führer des Landes“ begleitet werden. | |
Chameneis gläubige Anhänger verstehen ihn als Gottes Vertreter auf Erden | |
und Anführer aller Muslime weltweit. | |
Dass die Karikaturen auf Empörung stoßen, ist also keine Überraschung. An | |
die Mauern der französischen Botschaft in Teheran schrieben Anhänger des | |
Regimes in der Nacht auf Donnerstag Sprüche wie „Macron: Tier“ oder – in | |
Anspielung auf Frankreichs Kolonialvergangenheit – „Genozid in Algerien“. | |
Indes ging dem Herausgeber der staatlichen Tageszeitung, [4][Abdollah | |
Ganji], der Protest der iranischen Regierung nicht weit genug: „Den | |
französischen Botschafter auszuweisen“, schrieb er auf Twitter, „ist das | |
Mindeste, was man vom Außenministerium erwartet.“ | |
Die entrüsteten Reaktion aus Teheran vorwegnehmend, hatte Charlie Hebdo als | |
Titel über die Karikaturen höhnisch geschrieben: „Alle Teilnehmenden (des | |
Wettbewerbs) haben ihren Platz in der Hölle verdient!“ | |
## Kritik aus der iranischen Opposition | |
Anders als das Regime heißt die iranische Opposition im In- und Ausland die | |
Aktion von Charlie Hebdo in weiten Teilen willkommen. In sozialen Medien | |
werden viele der Karikaturen seit ihrer Veröffentlichung verbreitet. Viele | |
Benutzer bedankten sich bei der Redaktion des Satiremagazins. | |
Während es für bekannte Oppositionelle innerhalb Irans zu gefährlich ist, | |
die Zeichnungen zu feiern oder gar zu teilen, sind viele Oppositionelle im | |
Exil überzeugt, dass solche Kunstwerke dabei helfen, die vermeintliche | |
Unantastbarkeit von Chamenei und anderen Geistlichen im Iran zu zerstören. | |
Nikahang Kowsar, ein iranischer Karikaturist im kanadischen Exil, der 2001 | |
wegen einer Satire über einen Ajatollah inhaftiert worden war und später | |
ins Exil floh, sieht in den Karikaturen von Charlie Hebdo Unterstützung für | |
die iranische Bevölkerung. Er forderte die europäischen Staaten auf, sich | |
gegen die Drohungen seitens der Islamischen Republik zur Wehr zu setzen. | |
Allerdings gibt es auch in den Reihen der iranischen Opposition kritische | |
Stimmen. Besonders feministische Aktivisten und Aktivistinnen empfinden die | |
Karikaturen zum Teil als sexistisch und frauenfeindlich. [5][Dass Frauen | |
als Ursache des Bösen dargestellt würden], stehe nicht im Einklang mit den | |
Werten, die in der Protestbewegung vertreten werden, meinen einige | |
Aktivistinnen, die in den letzten Monaten selbst auf der Straße | |
protestierten. | |
Der Tag der Publikation der Sondernummer fällt fast exakt auf den achten | |
Jahrestag der Ermordung mehrerer Redaktionsmitglieder von Charlie Hebdo am | |
7. Januar 2015 in Paris. Riss möchte sie damit würdigen: „Diese Karikaturen | |
(von Chamenei) sind in gewissem Sinn eine Fortsetzung der acht getöteten | |
Zeichner von Charlie mit ihrer Art, den religiösen Obskurantismus zu | |
karikieren.“ | |
Zuletzt hatte sich der Ton zwischen Teheran und den Regierungen | |
europäischer Länder verschärft. Grund dafür ist anhaltende Kritik am | |
gewaltsamen Vorgehen iranischer Sicherheitskräfte bei den Protesten im | |
Iran, bei denen mehrere Hundert Menschen getötet und Tausende festgenommen | |
wurden. Neben den früheren Erzfeinden USA und Israel wurde von der Führung | |
in Teheran jüngst auch Frankreich genannt. Viele iranische | |
Sicherheitsbeamte und Politiker wurden seit Ausbruch der Proteste zudem mit | |
EU-Sanktionen belegt. | |
5 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/Amirabdolahian/status/1610573332008558593 | |
[2] https://charliehebdo.fr/2023/01/international/concours-mullahsgetout-tous-l… | |
[3] /Hannah-Kaviani-ueber-den-Aufstand-in-Iran/!5898727 | |
[4] https://twitter.com/ab_ganji/status/1610925013502251008?s=20&t=Z5dC0ex9… | |
[5] https://twitter.com/ElleLeblanc5/status/1610396845133512707 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
Omid Rezaee | |
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