# taz.de -- Forderungen einer Schülerin für 2023: Was alles besser werden muss | |
> Eine Schülerin schreibt uns, was sie sich dieses Jahr von Politik und | |
> Gesellschaft wünscht. Und was ihre Wünsche so dringend macht. | |
Bild: „Mein Interesse an Veränderung ist existenziell“ | |
Ein Jahr ist nur ein Jahr von vielen. Aber in einem Jahr gibt es 365 Tage, | |
an denen wir Veränderung von der Politik einfordern können, um die Zukunft | |
jener zu retten, die im Moment keine haben. Also auch meine. | |
Ich bin Jahrgang 2008 und werde vermutlich noch mindestens 50 Jahre leben. | |
Mein Interesse an Veränderung ist demnach existenziell und ich möchte | |
deshalb einige Dinge, die sich in meinen Augen ändern müssen, und ihre | |
Auswirkungen skizzieren. | |
Mein erster Punkt wären die Mietpreise. Ich lebe bei meinen Eltern in | |
Berlin und in der Schule reden wir fast öfter über die [1][Mietpreise], die | |
unsere Eltern zahlen müssen, als über unsere Eltern. Meine Freundinnen und | |
ich wissen genau, wie viel unser Zuhause pro Quadratmeter kostet. Ich finde | |
es traurig, dass man bei Jugendlichen merkt, wie wichtig das Thema | |
Mietpreise in unserer Gesellschaft ist und trotzdem kaum etwas daran | |
geändert wird. | |
Hauptsächlich in Städten, aber auch auf dem Land wird es immer schwerer, | |
eine bezahlbare Wohnung zu finden. Meist ist dies ein langwieriger Prozess, | |
der aus Bewerbungen, Absagen, neuen Bewerbungen und so weiter besteht. | |
Würde man die Mietpreise für alle senken, hätten einige nicht mehr das | |
Problem, dass sie zwischen Miete und Essen entscheiden müssen. Manche | |
Menschen könnten sich vielleicht erstmals eine richtige Wohnung leisten und | |
die Wohnungssuche würde enorm erleichtert. Familien könnten in Wohnungen | |
ziehen, die genügend Platz für alle Familienmitglieder bieten. Spezifische | |
Kulturen und Gemeinden in Städten könnten erhalten werden, wenn Menschen | |
nicht mehr aus ihrem Zuhause vertrieben würden, weil sie keine Wohnung mehr | |
finden. | |
## Ohne Erneuerbare keine Chance auf Frieden | |
Mein zweiter Punkt ist der Atomausstieg. Die letzten drei Atomkraftwerke | |
sollen noch mindestens bis zum 15. April weiterlaufen. Wenn man sich an | |
dieses Datum halten würde, hieße das, dass die Atomkraftwerke im April vom | |
Netz gehen und damit Deutschland endlich aus der Atomenergie aussteigt. | |
Proteste gegen Atomkraft gibt es mittlerweile seit fast 50 Jahren. Ich bin | |
mit den gelben Stickern aufgewachsen, die mir, seit ich denken kann, immer | |
wieder auf Ampeln, in der Schultoilette oder auf Fahrrädern begegnen. Man | |
nimmt sie schon kaum noch als ein Zeichen des Protestes war, weil sie schon | |
so lange existieren und der Protest gegen Atomkraft fast ein Teil des | |
Alltags geworden ist. | |
Der Atomausstieg ist ein seit Langem geforderter Meilenstein in Sachen | |
Energiewende. Würde man ihn endlich umsetzen, wäre die Angst vor | |
Atomkatastrophen aufgrund von deutschen Atomkraftwerken kein Teil mehr des | |
Alltags. Man könnte sich endlich intensiv um eine Lösung für die Lagerung | |
des Atommülls kümmern, anstatt dies zu ignorieren und den Berg von Atommüll | |
weiter anschwellen zu lassen. | |
Der Atomausstieg ist auch ein wichtiger Schritt für die deutsche | |
Energiewende. Der Energiebedarf muss aus anderen Quellen als der | |
Atomenergie gedeckt werden. In die Erneuerbaren zu investieren, ist eine | |
Investition in die Zukunft, ohne die meine Generation kaum Chancen auf eine | |
friedliche Entwicklung hat. 2023 könnte rückblickend das Jahr sein, in dem | |
die Energiewende in Fahrt kam. Angestoßen vom Atomausstieg. | |
## Platz für Grünfläche und Kinderwägen | |
Mein nächster Punkt wäre das viel diskutierte Auto. Autos dominieren | |
unseren Alltag. Eine Stadt ohne das monotone Rauschen der Fahrzeuge kann | |
man sich kaum mehr vorstellen. Überall stehen geparkte Autos am Rand der | |
Straße oder auf riesigen, hässlichen Parkplätzen. Von unserem Balkon in | |
Berlin aus haben wir eine einzigartige Aussicht auf einen grauen | |
Lidl-Parkplatz. Von den meisten anderen Zimmern aus schauen wir auf eine | |
viel befahrene, zweispurige Straße. | |
Meine Eltern fahren einen VW Polo, den sie seit etwa sieben Jahren | |
eigentlich abschaffen wollen. Wir sprechen immer wieder darüber und waren | |
auch schon ein paar Mal kurz davor, es zu tun. Aber dann hingen wir | |
irgendwie doch an dem Auto, das ich Teddi getauft hatte, als ich noch sehr | |
viel kleiner war. | |
Autofreie Innenstädte wären auch insofern eine Erleichterung, weil ein Auto | |
dann gar keinen Sinn mehr machen würde. Die meisten Argumente für ein Auto | |
in Berlin wären dadurch entkräftet und wir würden endlich unseren alten | |
Polo loswerden. [2][Städte würden wieder grüner werden, denn ohne Autos | |
hätte man viel mehr Platz], den man in einer Großstadt, in der jeder | |
Quadratmeter zählt, für neue Grünanlagen oder breitere Gehwege nutzen | |
könnte, auf denen endlich auch zwei Kinderwagen aneinander vorbei passen | |
würden. | |
Das Problem mit den schlechten beziehungsweise nicht vorhandenen | |
Fahrradwegen hätte sich dann von selbst gelöst, denn Fahrräder könnten | |
einfach auf den geteerten Straßen fahren. Städte könnten generell wieder | |
ruhiger, grüner und lebhafter werden. | |
## Freiheit für Oma, nicht für Raser | |
Durch den Ausbau des ÖPNV- aber auch des Deutsche-Bahn-Netzes könnte man | |
das Auto als Fortbewegungsmittel mit schnelleren, sicheren und bequemeren | |
Mitteln ersetzen. Der Erfolg des 9-Euro-Tickets hat gezeigt, dass viele | |
bereit dazu sind, auf Bahn und Co. umzusteigen, wenn sie es sich leisten | |
können beziehungsweise wenn es günstiger ist, als mit dem Auto zu fahren. | |
Zu Zeiten des 9-Euro-Tickets hieß das erst mal Chaos. Die Züge waren nicht | |
vorbereitet auf so eine hohe Auslastung und es kam zu vielen Verspätungen | |
und unangenehm vollen Wagen. Das müsste man ändern. Abgelegene Orte müssten | |
an das Bahnnetz angeschlossen werden und man bräuchte grundsätzlich mehr | |
Züge so wie schnellere Strecken. Das führt natürlich erst mal zu noch mehr | |
Baustellen und Verspätungen und all das funktioniert nicht von heute auf | |
morgen. Aber es wäre doch auch schade, wenn man sich nicht mehr über die | |
Deutsche Bahn aufregen könnte, ist es doch das beliebteste Thema, wenn man | |
sich mal wieder empören will. | |
Ein weiterer seriöser Grund für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs | |
ist, dass dadurch eine neue Bewegungsfreiheit erreicht wird, und zwar für | |
alle, die nicht Auto fahren können oder wollen. Zum Beispiel meine Oma. Sie | |
ist über 80, wohnt in einem kleinen Dorf und darf nicht mehr Auto fahren. | |
Dadurch ist sie nicht mehr selbstständig, denn sie kann nicht mehr alleine | |
einkaufen oder zum Arzt. Ich fände es so schön, wenn sie einfach in einen | |
Bus steigen, am nächsten Supermarkt aussteigen und sich eine Packung Müsli | |
kaufen könnte, statt zwei Wochen warten zu müssen, bis jemand von uns Zeit | |
hat, um das für sie zu erledigen. | |
Wir könnten 2023 das Verkehrssystem ändern oder zumindest damit anfangen, | |
mit dem Ziel, unsere Straßen sicherer und die Menschen unabhängiger vom | |
Auto zu machen. Dazu gehört auch das Tempolimit auf Autobahnen von 100 | |
km/h. Dadurch ließen sich nicht nur jährlich bis zu 4 Millionen Tonnen der | |
CO2-Äquivalente einsparen, sondern es ließe sich auch die | |
Verkehrssicherheit auf Autobahnen stark verbessern. Zudem würde man meist | |
sogar schneller ans Ziel kommen, da das gemäßigte Tempo zu weniger Unfällen | |
und damit auch zu weniger Staus führt. | |
## Twitter abschalten – gut für die Psyche | |
Meine Familie und ich fahren regelmäßig zu meinen Großeltern in den Süden. | |
Das sind von Berlin knapp 500 Kilometer und wir brauchen meistens etwa 5,5 | |
Stunden. Zurzeit fahren wir durchschnittlich ungefähr 150 km/h auf der | |
Autobahn und kommen wegen der vielen Staus trotzdem nicht nach vier Stunden | |
an. Würden alle auf Autobahnen nur 100 km/h fahren und dadurch weniger | |
Unfälle passieren, könnten wir eine halbe Stunde schneller bei meiner Oma | |
sein. Um das zu erreichen, braucht es aber uns alle. Es muss gesetzlich | |
geregelt werden, dass man nur 100 km/h auf Autobahnen fahren darf, um auch | |
die Vorteile des Tempolimits wirklich abschöpfen zu können. | |
Und dann wäre da noch Twitter. Das soziale Medium führt zu Hetze und Hass | |
im Netz, ist jedoch eine Aufgabe der Gesellschaft, die nur auf | |
individueller Ebene lösbar scheint. In einer ihrer Podcast-Folgen | |
diskutieren Rezo und Julien Bam über ihre Kanäle bei Twitter. Julien Bam | |
versucht Rezo davon zu überzeugen, Twitter zu deinstallieren, woraufhin | |
Rezo in weiteren Folgen berichtet, wie gut es ihm gehe, nachdem er dies | |
tatsächlich getan hat. | |
Twitter sollte man nicht nur aus politischen Gründen anzweifeln, sondern | |
auch aus psychischen. Es kann eine Entlastung sein, nicht mehr ständig mit | |
ermüdenden Debatten und negativen Tweets konfrontiert zu werden. Also, | |
kommt alle gut ins neue Jahr und schaltet mal ab. | |
2 Jan 2023 | |
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Janne Köder | |
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