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# taz.de -- Debatte nach Unfall in Berlin: Rettung für den Rettungsdienst
> Nach einem Busunfall wird über die desolate Situation von Feuerwehr und
> Co. diskutiert. Ein Bündnis fordert nun deutschlandweite Verbesserungen.
Bild: Personal im Dauereinsatz in Berlin. Die Notfälle kommen dabei oft zu kurz
BERLIN taz Am Wochenende ist in Berlin nach einem Unfall mit einem
Linienbus ein 15-jähriges Mädchen gestorben. Nach neun Minuten war ein
Notarzt vor Ort, ein Rettungswagen traf erst nach 20 Minuten ein, so die
Angabe der Feuerwehr.
Der Grund: Zum Zeitpunkt des Notrufs war zunächst kein einziger
Rettungswagen in Berlin verfügbar. Für das Mädchen kam die Hilfe zu spät,
sie starb noch am Unfallort. Ein zweites Mädchen kam mit schweren
Verletzungen ins Krankenhaus. Die Meldung über den Unfall löste
deutschlandweit Entsetzen und Trauer aus, die Nachricht stand in lokalen
und überregionalen Zeitungen und sorgte für Diskussionen über die
Situation des Rettungsdienstes. Mal wieder, muss man sagen.
Denn so tragisch der Tod des Mädchens vom Wochenende ist, ein Einzelfall
ist er leider nicht. Mindestens in Berlin befindet sich der Rettungsdienst
der Feuerwehr [1][andauernd im Ausnahmezustand]. „Der Handlungsdruck ist
sehr groß. Man braucht nur bei Google [2][‚Rettungsdienst‘] eingeben und
auf News klicken, dann sieht man, dass das System zusammenbricht“, sagt
Frank Flake vom Malteser Hilfsdienst am Montag in Berlin.
Er ist einer der Vertreter*innen des neugegründeten „Bündnis pro
Rettungsdienst“. Das Bündnis, dem unter anderem die Deutsche
Feuerwehr-Gewerkschaft, die Deutsche Gesellschaft für
Rettungswissenschaften und der Fachverband Leitstellen angehören, fordert
grundlegende Veränderungen in der Notfallversorgung in Deutschland.
## Probleme wie im Pflegesektor
Die Äußerungen des Bündnisses zeigen deutlich: Wie in so vielen Bereichen
im Gesundheitswesen krankt es auch beim Rettungsdienst an vielen Stellen.
Personalüberlastung aufgrund von zu langen Schichten, Personalmangel bei
steigender Einsatzzahl und eine unklare rechtliche Situation sind nur
einige Schlagworte. Auch eine bessere Bezahlung für
Rettungssanitäter*innen fordert das Bündnis, um den Beruf wieder
attraktiver zu machen. Es sind ähnliche [3][Probleme wie die im
Pflegesektor.]
Ein tragischer Unfall wie der am Wochenende in Berlin wirft ein Schlaglicht
auf die angespannte Situation von der Notfallversorgung in Deutschland. Die
Vertreter*innen der Rettungskräfte fordern deshalb grundlegend, stärker
mit ihrer Kritik wahrgenommen zu werden.
Sie wollen „mit an den Tisch“, wenn Gesundheitsminister Karl (SPD) über die
[4][„Revolution“ einer Krankenhausreform] spricht. „Wir als Bündnis
fordern, den Rettungsdienst als relevanten Bestandteil des
Gesundheitssystems anzuerkennen, denn er kann deutlich mehr als nur
Beförderung und muss so auch gewürdigt werden“, so Flake in Berlin.
Auch Oliver Hölters von der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen
Kommission der Caritas unterstreicht: „Rettungsdienste retten Leben und
sind kein Taxi.“ Ihre Forderung, die dahinter steht: Der Rettungsdienst
solle als Teil der Gesundheitsversorgung in das Sozialgesetzbuch V
aufgenommen werden, statt als reine Transportleistung gesehen zu werden.
Da Rettungsdienste Ländersache sind, haben die
Notfallsanitäter*innen in den Bundesländern unterschiedliche
Befugnisse, welche Maßnahmen sie anwenden dürfen. Das „Bündnis Pro
Rettungsdienst“ fordert daher bundesweit einheitliche Kompetenzen für
Notfallsanitäter*innen.
Der Sound von Rettungswagen-Sirenen gehört zum Alltag aller. Eine
Vorstellung davon, unter welchem Druck die Sanitäter*innen arbeiten,
haben aber die wenigsten. Ein sich verstärkendes Problem für
Rettungssanitäter*innen ist, dass immer mehr Menschen die
Notrufnummer 112 auch bei kleineren Verletzungen wählen.
Nicht immer schätzen Laien richtig ein, wie schwerwiegend eine Verletzung
ist und dass es auch die Möglichkeit der Beratung des ärztlichen
Bereitschaftsdienstes gibt, der rund um die Uhr unter 116 117 erreichbar
ist. An dieser Stelle liegt die Verantwortung bei der Politik, dafür zu
sorgen, Menschen darüber zu informieren, wie sie im Notfall handeln müssen
und welche Möglichkeiten es gibt.
## Personal ist frustriert
„Wegen der Quetschwunde am Finger muss eigentlich kein Rettungsdienst
alarmiert werden“, so Flake. Wer dann aber mit dem gesunden Finger auf die
einzelnen Personen zeigt, macht es sich zu einfach. Der Fehler liegt nicht
bei den betroffenen Verletzten. Er begründet sich auch in den großen Lücken
im Gesundheitssystem. Die ambulante Versorgung wird immer schwieriger,
Hausarztpraxen schließen, die Notfallstationen im Krankenhaus laufen über
und schnelle Hilfe bei Fachärzt*innen zu bekommen ist oft genug schier
unmöglich.
Doch was aus den einzelnen Anrufen bei der 112 resultiert, wird zu einem
riesigen Problem für alle: Das Personal ist frustriert und überlastet. Sie
befinden sich im Dauereinsatz – und können den wirklichen Notfällen
trotzdem nicht helfen.
Die ersten Einsätze kämen schon vor dem ersten Kaffee am Morgen rein,
beschreibt Frank Flake. Während ein Patient noch ins Krankenhaus
eingeliefert wird, ist bereits der nächste Anruf in der Notzentrale
eingegangen. „Pausenzeiten werden vielfach nicht eingehalten“, so Flake.
Der systemrelevante Beruf ist physisch wie psychisch ohnehin belastend.
Immer mehr Notfallsanitäter*innen kehren aus diesem Grund dem Beruf
den Rücken. Die Gewerkschaft Verdi fordert deshalb eine Verkürzung der
wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 44 Stunden, statt bisher auch mal über
48 Stunden.
Das mag eine kurzfristige Entlastung für die einzelnen Menschen bedeuten.
Ändert sich jedoch nichts Grundlegendes für Rettungssanitäter*innen, wird
es zu weiteren Engpässen kommen. Denn kürzere Schichten bei
gleichbleibenden oder schwindendem Personal führt zu weiteren Engpässen in
der Versorgung.
Die Problemfelder im Rettungsdienst ähneln denen in der Pflege – mit dem
Unterschied, dass Menschen auf der Straße keine oder verspätet Hilfe
bekommen, statt unterversorgt im Krankenhausbett zu liegen. Nicht nur, aber
auch im Rettungsdienst ist es an der Zeit, dass eine Ausbildungsoffensive
gestartet wird und die Lücken im Gesundheitssystem angegangen werden – und
zwar heute statt morgen.
12 Dec 2022
## LINKS
[1] /Dramatische-Lage-beim-Rettungsdienst/!5865882
[2] /Berliner-Rettungsdienst-in-der-Krise/!5866806
[3] /Streik-des-Klinikpersonals-in-NRW/!5864963
[4] /Plaene-zur-Krankenhausreform/!5896808
## AUTOREN
Linda Gerner
## TAGS
Notbetreuung
Medizin
Personalmangel
Rettungsdienst
Notfallsanitäter
Rettungswagen
Notfallversorgung
Gesundheitspolitik
Wochenkommentar
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Schwerpunkt Rassismus
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