# taz.de -- Nachruf auf Pelé: Der Wunschkönig | |
> Pelé war ein Alleskönner. Ein Ausnahmefußballer, dessen Größe auch seine | |
> Bewunderer größer werden ließ und dem man deshalb manches nachsah. | |
Bild: Freudenexplosion: Pelé jubelt nach dem Sieg im WM-Finale 1970 gegen Ital… | |
Vor wenigen Wochen erst wurde Pelés letzter WM-Auftritt gefeiert. Das | |
brasilianische Spiel hatte gegen Südkorea zu seiner atemberaubenden | |
Schönheit aus ganz alten Tagen zurückgefunden, der Einzug ins Viertelfinale | |
stand fest, und Neymar und seine Teamkollegen trugen nach Schlusspfiff ein | |
Banner mit einem Foto von Brasiliens größtem Fußballer aufs Spielfeld. | |
Neben dem Bild stand einfach: Pelé! Zu der Zeit rang die 82-jährige Legende | |
im Albert-Einstein-Krankenhaus von São Paulo schon mit ihrem Leben. Und | |
nicht wenige dürfte in diesem Moment der romantische Gedanke ergriffen | |
haben, dass die Seleção den WM-Pokal mit und für Pelé gewinnen wird. | |
Letztlich [1][reckte der Argentinier Lionel Messi], ein anderer | |
Fußballheiliger, die Trophäe in den Himmel und viele auf der Welt | |
betrachteten das wohlwollend als das logische Ende seines Lebenswerkes. Wie | |
Diego Maradona und Pelé stand ihm das einfach zu. Im Schatten der Großen | |
dieses Sports verschwinden Teams und ganze Länder. Und mit der Größe der | |
Bewunderten werden die Bewunderer auch immer ein Stück größer. | |
Der Wunsch, Pelé oder andere zum größten Fußballer aller Zeiten zu | |
erklären, hat immer etwas damit zu tun, das eigene Leben ein wenig | |
aufzuwerten. Gegenwartszeuge von etwas ganz Besonderem gewesen zu sein. Ihn | |
vielleicht mit eigenen Augen gesehen zu haben. Insofern haben viele Pelé, | |
der andächtig oft auch „O Rei“ (der König) genannt wurde, viel zu | |
verdanken. Und seine Persönlichkeit ist angesichts so großer Projektionen, | |
denen er ausgesetzt war, kaum zu fassen. | |
Der Druck, der auf ihm lastete, als in Brasilien eine Militärdiktatur | |
herrschte und [2][bei seiner letzten WM 1970 alle von ihm und dem Team den | |
Titel erwarteten], war immens. „In diesem Moment wollte ich nicht Pelé | |
sein“, sagte er im Rückblick. Das große Geschenk des Sieges, sein insgesamt | |
dritter WM-Titel, sei nicht die Trophäe, sondern die Erleichterung gewesen. | |
Vor Pelé machten sich selbst die wichtigsten Staatenlenker klein. In den | |
USA stellte sich einer ihm so vor: „Mein Name ist Ronald Reagan, ich bin | |
der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie hingegen müssen sich | |
nicht vorstellen, denn Pelé kennt wirklich jeder.“ | |
## Schon minderjährig Weltstar | |
Den Spitznamen Pelé hatte dem mit bürgerlichen Namen heißenden Edson | |
Arantes do Nascimento ein Mitschüler verpasst, um ihn zu hänseln. Weil | |
dieser sich darüber so aufregte und kleingemacht fühlte, klebte der Name | |
auf immer an ihm und wurde zum Inbegriff von Größe. Pelé kam aus ärmlichen | |
Verhältnissen. Sein Vater war ein mäßig begabter Fußballer, seine Mutter | |
Wäscherin und der kleine Pelé musste als Schuhputzer ein wenig Geld | |
hinzuverdienen. Erzogen wurde er streng katholisch. Fluchen war verboten | |
und über Sex wurde nicht gesprochen. Das erzählte er in seiner | |
Autobiografie „Mein Leben“. | |
Mit noch nicht einmal 16 Jahren debütierte er in der brasilianischen Liga, | |
ein paar Monate später schon in der Nationalmannschaft. Zum Weltstar wurde | |
er noch minderjährig, als jüngster Spieler bei der WM 1958 in Schweden. Die | |
ersten beiden Spiele ließ ihn Trainer Vicente Feola noch draußen, dann | |
wurde Pelé zur Entdeckung des Turniers und erzielte sechs Tore. Schon | |
damals wurde der 17-Jährige als Alleskönner bewundert. | |
Ein begnadeter Techniker mit Übersicht, mit 11 Sekunden auf 100 Meter | |
unglaublich schnell, beidfüßig, kopfball- und abschlussstark. Einer mit | |
Sinn für Strategie und Intuition. Berühmt sein Tor gegen Schweden zum 3:1, | |
als er den Ball mit der Brust annahm, ihn kunstvoll über den Verteidiger | |
hob und volley vollendete. Fußball ist aber nicht nur Fußball. Mit dem | |
WM-Titel in Schweden legte eine ganze Nation mit sehr mäßiger | |
Wirtschaftskraft ihre Komplexe ab und erlangte Weltbedeutung. Und damit eng | |
verwoben war der Name Pelé. | |
Globale Zuneigung schlug auch seinem Verein, dem FC Santos, entgegen, | |
Weltpokalsieger von 1962 und 1963, den er trotz lukrativer Angebote aus | |
Europa erst am Ende seiner Karriere verließ. Der Klub verdiente damals auf | |
Weltreisen dank Pelé gutes Geld und konnte sich vor Engagements kaum | |
retten. Bis zu hundert Partien bestritt der Weltstar in einer Saison | |
aufgrund der vielen Tourneen. Die kapitalistische Verwertungslogik hielt | |
Einzug in das beliebte Spiel und Pelé wurde Paradebeispiel für | |
schwindelerregenden sozialen Aufstieg, den der Fußball möglich machen | |
konnte. | |
## In anderen Sphären | |
Er erhielt etliche gut dotierte Werbeverträge und zu seiner aktiven Zeit | |
eine kleine TV-Rolle in einer Telenovela. | |
In seiner Autobiografie beschrieb er, wie er als 26-Jähriger sein Geld und | |
seine Geschäfte abseits des Fußballs einem Freund anvertraute. „Ihm zur | |
Seite standen neun weitere Angestellte, fünf Rechtsanwälte, zwei | |
Volkswirte, jemand für die Pressearbeit und eine Sekretärin.“ Das waren | |
damals Sphären, die wohl ähnlich weit entfernt von der Lebenswelt der Fans | |
waren, wie das heute bei der Honorierung von Ausnahmefußballern der Fall | |
ist. Weil Pelé häufig den falschen Freunden vertraute, kam er aber immer | |
wieder in Geldnot. Ein Grund auch, weshalb er am Karriereende das | |
attraktive Angebot von [3][Cosmos New York] nicht ausschlagen konnte, das | |
ihm 6 Millionen Dollar einbrachte und später dann die Bekanntschaft mit dem | |
Teamkollegen Franz Beckenbauer. | |
Ähnlich wie bei Beckenbauer wurde Pelé von seinen Landsleuten vieles | |
nachgesehen – zumindest nach einer gewissen Verjährungsfrist. Viele | |
bedauerten es sehr, dass er sich nach dem WM-Titel 1970 vom Diktator Medici | |
zu sehr vereinnahmen ließ, der lieber mit schönem Fußball statt mit Folter | |
in Verbindung gebracht werden wollte. Schon damals nutzten die Politiker | |
die Macht der Bilder und Medici umarmte bei der Siegesfeier vor den Kameras | |
Pelé. | |
Distanzierende Worte von Pelé hätten damals gewiss eine große Macht gehabt. | |
In seinen Erinnerungen schrieb er: „Natürlich war das auch in politischer | |
Hinsicht eine gute Werbung für unser Land. Doch es war offensichtlich, dass | |
sich der Präsident auch einfach als Fußballfan und Patriot über unseren | |
Sieg freute.“ Pelé nahm das Privileg der Naivität für sich in Anspruch. | |
Einmal sagte er, man dürfe sich in der Bewertung der Militärdiktatur, wer | |
auf welcher Seite stand, nicht in den kleinen Dingen verlieren. „Ich bin | |
Brasilianer, ich will das Beste für mein Volk.“ | |
Pelé wollte aber nicht nur als Fußballer Anerkennung. Während seiner | |
Karriere büffelte er für Uni-Zulassungsprüfungen und absolvierte ein | |
dreijähriges Sportstudium. Als erster Schwarzer wurde er von 1995 bis 1998 | |
[4][unter der Regierung des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso | |
Sportminister]. | |
Sein Leben lang war und blieb er aber Anwalt des schönen Spiels. O Jogo | |
Bonito, wie es die Brasilianer nennen. Als bei der WM 1966 die Gegner durch | |
überhartes Spiel Pelé erfolgreich aus dem Spiel nahmen, zerbrach für diesen | |
eine Welt. Er wollte danach seine Nationalmannschaftskarriere an den Nagel | |
hängen. Die Einführung der Gelben und Roten Karte bei der WM 1970 feierte | |
Pelé als eine der großen neuen Errungenschaften des Spiels. Am Ende seiner | |
Laufbahn hatte er 1.282 Treffer erzielt, welche die Gegner bei allem | |
Bemühen nicht verhindern konnten. Eine unglaubliche Zahl, hinter der sich | |
noch unglaublichere Schönheit verbirgt. | |
Andy Warhol sagte einmal: „Pelé war einer der wenigen, die meiner Theorie | |
widersprechen: Anstelle von 15 Minuten wird er 15 Jahrhunderte Ruhm haben.“ | |
30 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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