# taz.de -- Fahrplanwechsel in Brandenburg: Den Speckgürtel weiter schnallen | |
> Seit dem Fahrplanwechsel fährt alle 20 Minuten ein Zug von Frankfurt | |
> (Oder) nach Berlin. Zumindest theoretisch. | |
Bild: Ein Zug wird kommen, bloß nicht alle 20 Minuten: Regionalexpress auf dem… | |
Juhu! Der 11. Dezember, der [1][Tag des Fahrplanwechsels im Bahnverkehr], | |
war ein großer Tag für Ostbrandenburg – das ist diese weite Fläche mit | |
Kiefernwäldern und Anger-Dörfern von hinterm Ostkreuz bis nach Polen. Von | |
dort schreibe ich euch jetzt jeden Monat. Aus dem kleineren Frankfurt an | |
der Oder, an der Grenze zum polnischen Słubice rufe ich euch zu: Lasst uns | |
den Speckgürtel nicht enger, sondern weiter schnallen. | |
Wir sind hier jetzt fast Vorort von Berlin, seit dem Fahrplanwechsel. Zu | |
den Hauptverkehrszeiten sollen alle 20 Minuten Züge bis in die Hauptstadt | |
Berlin fahren statt im bisherigen Halbe-Stunde-Takt. Ost-Frankfurt wird | |
also praktisch das neue Erkner. | |
Zumindest ist das die Theorie. Denn natürlich geht so ein Neuanfang nicht | |
ohne Kinderkrankheiten vonstatten: Züge in Fahrplan-Apps werden nicht | |
angezeigt, dafür gibt es immer noch Ersatzbusse und Verspätungen, die vor | |
allem durch den hohen Krankenstand bei den Eisenbahnunternehmen bedingt | |
sind. Und die Mobilfunklöcher unterwegs konnte auch das Bahnunternehmen | |
Odeg nicht stopfen, das jetzt den RE1 zwischen Frankfurt und Brandenburg an | |
der Havel bedient. Immerhin, im Laufe des Januars, hieß es nach einem | |
Krisentreffen Ende vergangener Woche, soll der anivisierte 20-Minuten-Takt | |
nach Berlin dann auch tatsächlich umgesetzt werden. | |
Wir − es ist übrigens ein diffuses Wir, so divers wie euer Ihr dort in der | |
Großstadt − halten uns trotzdem lieber an die direkte Nachbarschaft. Man | |
ist skeptisch hier gegenüber Fremdem. Die tägliche Grenzüberschreitung | |
klappt dafür schon gut. Die Europa-Öffnung gen Osten in den letzten 30 | |
Jahren hat viel bewirkt. Hunderte Familien, Tausende Menschen nutzen jeden | |
Tag die Stadt-, Eisenbahn- und Autobahnbrücke. Von der Wohnung zur Schule, | |
nach der Arbeit zum Einkaufen. | |
Die Doppelstadt bewirbt sich gerade um [2][das bundesdeutsche | |
Zukunftszentrum]: Die Stadt Frankfurt will es direkt an der Grenzbrücke | |
errichten und mehr Wissenschaft, Kultur und Begegnung zu den Themen | |
deutsche Einheit und europäische Transformation anlocken. Słubice ist | |
dafür. | |
## Die Brücken bleiben abstrakt | |
Der Kampagnenslogan „Stadt der Brückenbauer*innen“ hat zwar schon | |
Versöhnungsakteure zum Lachen gebracht, weil zuletzt zwei Brücken | |
abgerissen wurden – immerhin: Eine wird saniert. Im abstrakten Sinne stimme | |
das Motto aber, sagte mir jüngst Krzysztof Wojciechowski, der das Collegium | |
Polonicum als gemeinsame Institution der Unis Frankfurt und Poznań | |
aufgebaut hat: In unserer Doppelstadt herrsche europäisches Flair, das aber | |
meist die Besucher vor uns Einwohnern selbst erkennen. | |
Auch europaweite Polarisierungstendenzen sind allgegenwärtig: Zwei Regionen | |
grenzen hier aneinander, die jeweils als abgehängt und regierungskritisch | |
gelten. In Lubuskie fühlt man sich von Warschau vernachlässigt, viele sind | |
hier gegen die rechte PiS-Partei. In Ostbrandenburg feiert hingegen die | |
rechtspopulistische AfD Erfolge. Jüngst schlug mir ein Ur-Słubicer die | |
Rückeingemeindung seiner Stadt und umliegender Dörfer zur Stadt Frankfurt | |
vor, bis 1945 war es ja eine Stadt gewesen: „Wir sind uns doch so ähnlich“, | |
meinte er, sogar in der Skepsis gegenüber „denen da oben“. | |
Die Idee eines eigenen Grenzraums klang kurzzeitig ernsthafter an: auf | |
Demos im Frühjahr 2020 beiderseits der Oder mit der Forderung nach | |
Ausnahmeregelungen, damit Grenzschließungen wie durch die Pandemie bedingte | |
nie wieder Tausenden Grenzpendelnden die Existenzen zerstören können. Keine | |
„Eingemeindung“ natürlich, die würde historische Traumata anheizen | |
(Stichwort: Reparationen!). Aber die Erkenntnis ist die: Diese Region | |
funktioniert nur zusammen. | |
Frankfurter*innen filmten für Socialmedia den letzten RE1 der Deutschen | |
Bahn und den ersten Odeg-Zug. Jeder schnelle Berlin-Besuch zeigt uns | |
derweil: Die Metropole kommt auch ohne uns klar. Die Grenzregion aber | |
braucht uns Menschen hier, sonst braucht’s auch keine Zukunftszentren. | |
Kurz: Wir wollen gar nicht Vorstadt sein, lächeln wir trotzig. | |
27 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Peggy Lohse | |
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