Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Elon Musk und Twitter: Der goldene Schlüssel
> Elon Musk ist ein Großgrundbesitzer, der sich zum Bürgermeister gemacht
> hat. Er wird weiterherrschen, wenn jemand anders Twitter-Chef ist.
Bild: Der Marktplatz geht an den Alleinherrscher: Journalist*innen vor dem Twit…
Jetzt bekommt Elon Musk sogar schon Lob von der AfD-Chefin Alice Weidel.
„Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, kann auf Twitter wieder offener für
Freiheit und Selbstbestimmung eingetreten werden“, sagte sie der
Rheinischen Post. Musks Handeln in den letzten Monaten dürfte allen
gefallen, die Demokratie eher so meh finden und Diskriminierung eher so
yeah.
Schon vor Monaten hat Musk gesagt, dass er Twitter gern zu einem digitalen
Dorfplatz machen würde. Er ist ein Großgrundbesitzer, der sich selbst zum
Dorfbürgermeister ernannt hat, und hat die Anerkennung aus der politischen
Rechten wahrlich verdient. Und die Wut der Menschen im virtuellen Dorf. Die
begannen in dieser Woche zu hoffen: [1][Musk wolle als Twitter-Chef
aufhören, erklärte er]. Doch damit wird vermutlich nichts besser. Denn
selbst wenn irgendwann eine andere Person im Rathaus sitzt, sie wird
ausgesucht werden von Musk. Und ihm gehört auch weiterhin der Grund, auf
dem sich das Dorf befindet. Sicherlich, es gibt vorstellbare Szenarien, in
denen die Macht nicht mehr so stark an die Person Musk geknüpft ist. Einen
Stab aus Berater*innen etwa, die ihn pämpern und versuchen, Schaden
einzudämmen. Doch würden sein Ego und sein Streben nach Macht das wirklich
zulassen?
[2][Als Musk im April erklärte, dass er das Dorf gerne kaufen würde],
machte sich Angst unter den Menschen breit. Was würde Musk, dieser
selbsternannte „Free Speech Absolutist“ mit Verbindungen zur politischen
Rechten, anstellen? Die üblichen Unterhaltungen auf dem Dorfplatz, das
teilweise belanglose, teilweise hochpolitische Gerede wurde übetönt vom
Thema Musk. Der stand vor den Toren und zeigte mit seiner diamantbesetzten
Hand auf die Kutsche voller Schätze hinter sich. Er wollte den goldenen
Schlüssel. [3][Ende Oktober bekam er ihn].
Mit dem marschierte Musk direkt ins Rathaus und entließ den alten Stadtrat,
also das Management. Es begannen [4][die Entlassungen] in den anderen
Abteilungen, bei den Entwickler*innen etwa, die sonst die Straßen des
Dorfs gebaut hatten, und bei den Moderator*innen, die als Polizei über den
Platz getingelt waren, um Störenfriede zu entfernen. Musk war
Bürgermeister, Oberpolizist, Richter zugleich. Diese Macht hat sich Musk
bewusst genommen. Sich nun von ihr zu trennen, würde ihn schmerzen.
## Grenzen des Sagbaren verschoben
Die Menschen auf dem Dorfplatz waren und sind deswegen besorgt. Doch
einzelne hasserfüllte Gestalten, früher so gut es ging in die Schatten
gedrängt, jubelten dem neuen Alleinherrscher zu, traten ins Licht. Bereits
in den ersten 12 Stunden nach dem Twitter-Kauf stieg die Zahl, wie oft das
N-Wort genutzt wurde, um fast 500 Prozent an, so die Gruppe Network
Contagion Research Institute. Die Grenzen des Sagbaren waren verschoben,
und die Rechten wollten wissen, wie weit. Eine Katastrophe für alle
marginalisierten Menschen. Zumal sich Musk selbst immer wieder daran
beteiligte, Lügen zu verbreiten. Und er machte Stimmung, erklärte
öffentlich, für wen man sich bei Wahlen in demokratischen Ländern wie den
USA entscheiden sollte, welche Kandidat*innen er unterstützt.
Er unterhält sich mit Verschwörungsideolog*innen und hypet seine
eigenen Unternehmen. Die Autos des Bürgermeisters sind die besten! Seine
Satelliten die wichtigsten bei der ukrainischen Verteidigung gegen den
Angriff. Der Bürgermeister bewirbt sich selbst und seinen bedrohten
Reichtum ebenso wie seine Weltanschauung. Seine Beiträge werden auf Twitter
inzwischen immer prominenter angezeigt. Als kleistere er den Dorfplatz zu
mit Plakaten von seinem eigenen Konterfei. Warum sollte er diese Macht
freiwillig aufgeben? Twitter ist nicht nur sein Spielzeug, das Dorf nicht
nur eine Event-Location. Es ist ein Machtinstrument. Wenn auch ein wenig
rentables.
## Hass kam nicht mit Musk
Denn die Unternehmen, die sonst große Banner und Schilder auf dem Dorfplatz
platziert hatten, die Werbekund*innen, die auf ihre Geschäfte hingewiesen
hatten, [5][zogen sich schnell zurück]. Sie wollten nicht, dass direkt
neben dem Schild ein Nazi steht, der Passant*innen beleidigte. Das war
ein finanzielles Problem für Musk, das er aber nicht mit härterer
Moderation zu lösen versuchte. Stattdessen [6][holte er für kurze Zeit
sogar den Antisemiten Kanye West zurück] ins Dorf. Wieso? Könnte dessen
Präsenz ihm etwa finanziell helfen? Oder liegt es doch eher daran, dass
Musk Hass und Diskriminierung eigentlich ganz okay findet?
[7][Der Hass kam natürlich nicht erst mit Musk]. Donald Trump etwa war von
Twitter verbannt, [8][bis Musk abstimmen ließ]. So funktionieren diese
pseudodemokratischen Abstimmungen: Die Umfrage ist nicht für alle sofort
sichtbar, denn dafür müsste man das ganze Dorf im Blick behalten. Die
Fanboys aber sehen die Umfrage ziemlich sicher. Sie stimmen ab, und
vielleicht bringen sie sogar Bots an die digitale Urne. Trump durfte also
zurück. Seine Lügen sind auch jetzt noch online. Der Warnhinweis unter
ihnen ist ein Witz.
## Gehen oder bleiben?
Eine der wichtigsten Diskussion wurde: Gehen oder bleiben? Es gibt auch
andere Social-Media-Dörfer. Doch wer hat die Möglichkeit zu bleiben, ohne
seelischen Schaden zu nehmen, wenn so viele Hasserfüllte angreifen? Wenn es
keine Moderator*innen gibt, die man rufen kann? Selbst
Politiker*innen dachten über einen Umzug nach. Anke Domscheit-Berg
etwa, die sich auch – [9][so sagte sie in einem Interview] – Sorgen mache
um Communitys, die „diese Vernetzungsmöglichkeit“ brauchten. Die hatten
sich in dem Dorf kleine Klubs gebaut, miteinander gesprochen, sich
ausgetauscht und unterstützt. Sie hatten den anderen
Dorfbesucher*innen gezeigt, wie ihre Leben aussehen, die etwa geprägt
waren von Rassismuserfahrungen, Armut, sexualisierte Gewalt. Nun wurden
diese Menschen von Hatern bespuckt.
[10][Viele Nutzer*innen wanderten ab zu anderen Dörfern]. Doch die
meisten blieben, denn sie hatten sich etwas aufgebaut:
Interessensgemeinschaften, Unterhaltungen, Freund*innenschaften,
Informationsquellen. Wer umzieht in die Fremde, der*die muss sich erst
beschwerlich ein neues soziales Umfeld aufbauen.
## Demokratiefeindlicher Eingriff
Auf Twitter herrscht Musk weiter mit Willkür. Mitte November durften
Journalist*innen ihn nicht mehr kritisieren. [11][Er ließ einige von
ihnen ergreifen und zeitweise vor die Stadtmauer setzen]. Es war ein
demokratiefeindlicher Eingriff in die Freiheit der Presse. Die Proteste der
User*innen gegen diese Willkürherrschaft interessieren den Bürgermeister
nicht groß. Weiter schreit Musk die Meinung führender Konservativer und
Rechter laut vom Balkon. Er kann es sich erlauben, denn er hat alle Macht
über die Technik, wenn auch nicht über den Diskurs.
Das Geheimnis von Musk in seinen anderen Dörfern war die Hoffnung, die er
verkauft: die Reise ins All, wenn die Erde unbewohnbar wird, ein Auto, dass
das Klima retten soll. Doch Twitter hatte kein Problem, das Musk lösen
konnte. Und es war nie die Lösung für irgendein Problem. Es war einfach da
– für Unterhaltungen, Diskussionen, Streit und Lachen. Dann hat sich Elon
Musk das Dorf gekauft. Er wird es nicht wieder hergeben. Selbst wenn jemand
anderes Bürgermeister*in wird: Er*sie untersteht sicherlich dem
Besitzer.
24 Dec 2022
## LINKS
[1] /Twitter-Musk-Macht/!5904162
[2] /Tesla-Chef-moechte-Twitter-uebernehmen/!5848862
[3] /Elon-Musk-hat-Twitter-gekauft/!5891261
[4] /Entlassungen-bei-Twitter/!5892880
[5] /Folgen-von-Twitter-Kauf/!5888738
[6] /Antisemitische-Aeusserungen/!5899869
[7] /Hass-im-Netz/!5870039
[8] /Donald-Trump-auf-Twitter/!5896229
[9] /Anke-Domscheit-Berg-ueber-Digitalpolitik/!5896680
[10] /Twitter-Alternative-Mastodon/!5893407
[11] /Twitter-sperrt-Journalistinnen/!5903025
## AUTOREN
Johannes Drosdowski
## TAGS
Elon Musk
Twitter / X
Meinungsfreiheit
Macht
GNS
Kolumne Fernsicht
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
Claudia Roth
Twitter / X
Twitter / X
## ARTIKEL ZUM THEMA
Elon Musk und die Twitter Files: Zensur ist nicht links
Die Angriffe einer selbsternannten Linken auf Elon Musk kann unsere Autorin
nicht nachvollziehen. Sie hofft auf die Rettung der Meinungsfreiheit.
Trumps Steuererklärungen veröffentlicht: Präsident der Millionenverluste
Lange hatte sich Trump gewehrt, nun hat der US-Kongress seine
Steuerunterlagen veröffentlicht. Sie zeigen, wie es finanziell beim
Präsidenten aussah.
Kritik in der Medienwelt: Weihnachten bei Gutverdieners
Zur Festzeit drehen alle steil. Die Grüne Claudia Roth kritisiert nochmal
schnell ARD und ZDF. Und Elon Musk will Twitter auf den Mond schießen.
Twitter, Musk, Macht: Tritt Musk nun zurück?
Musk fragte die Twitter-Community, ob er als Chef zurücktreten soll. Dabei
weiß er um die Probleme dieses pseudodemokratischen Werkzeugs.
Elon Musk und Twitter: Regeln werden ihn nicht stoppen
Elon Musk behandelt Twitter genauso wie die ganze Welt: als Spielzeug. Was
das für den Kurzmitteilungsdienst bedeutet? Eher nichts Gutes.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.