# taz.de -- Abkommen zum Schutz der Artenvielfalt: Argumente für Moor und Wolf | |
> Der Vertrag von Montreal löst nicht das Problem des Artensterbens. Aber | |
> er bildet einen wertvollen Leitfaden, um Biodiversität besser zu | |
> schützen. | |
Bild: In jeder Hinsicht ein guter Anblick: Eine Erdkröte im Eppendorfer Moor | |
Hat wirklich irgendwer geglaubt, die Weltgemeinschaft – und auf der | |
Konferenz der Mitgliedsstaaten der [1][Biodiversitätskonvention in | |
Montreal] war ja wirklich die ganze Welt, auch die USA, obwohl sie nicht | |
Mitglied sind, und der Vatikan ist egal – würde so eine Art | |
Umweltgesetzbuch verabschieden? Die Länder würden an einem Dezembertag des | |
Jahres 2022 verkünden, sie würden künftig ihre Chemieindustrie | |
gesundschrumpfen, Ackergifte verbieten, Düngemittel reduzieren, die | |
Plastikproduktion einschränken; sie würden die Landrechte neu ordnen, den | |
Straßenbau einstellen, den Papierverbrauch rationieren? Sie würden ihre | |
Banken und Investmentsfonds an die Kette legen und ihnen Investitionen | |
verbieten, die Böden versiegeln, die Klimakrise anheizen und Meere | |
verdrecken? Und so weiter? | |
Das alles wäre nötig, um wirksam weltweit den Verlust der Biodiversität zu | |
stoppen. Es wäre nötig, um Tieren und Pflanzen Lebensräume zu bieten und | |
[2][Ökosysteme zu erhalten]. | |
Von denjenigen, die sich schon länger mit dem Schutz der Artenvielfalt | |
befassen, hat das wohl niemand ernsthaft geglaubt. Obwohl jetzt einige so | |
klingen: Der Vertrag sei nicht konkret genug. Er wiederhole die Fehler der | |
Aichi-Ziele, die der Vertrag von Montreal ersetzen wird: Hehre Ansprüche, | |
nix dahinter, keine Sanktionen für Frevler, keine Berichtspflichten für | |
Staaten oder Unternehmen, keine Verbote. Das ist alles richtig, wenn man an | |
den Vertrag von Montreal den Maßstab einer Richtlinie oder eines Gesetzes | |
anlegt. Mit solch einem Maßstab aber lässt sich das „Rahmenabkommen“ der | |
CBD, der Konvention über Biologische Vielfalt, nicht fassen. Das Abkommen | |
mit seinen „Goals“, also langfristigen, und „Targets“, also kurzfristig… | |
konkreten Zielen, ist eine Diskurshilfe. Nicht mehr. Aber das ist nicht | |
wenig. | |
Gewiss: Es ist weniger als das Klimaabkommen von Paris. Dieses hat zwar | |
bislang nicht dazu geführt, dass die Treibhausgasemissionen – neben der | |
Landwirtschaft übrigens der zweite große Treiber der Biodiversitätsverluste | |
– sinken. Aber „Paris“ ist rechtlich verbindlich und ermöglicht somit | |
Klagen – etwa vor dem Bundesverfassungsgericht. Seine Kraft entfaltet der | |
Vertrag aber vor allem mit seinem „1,5-Grad-Ziel“. Das halten die meisten | |
Wissenschaftler zwar für nicht mehr erreichbar, doch im politischen Diskurs | |
ist es unschätzbar. Das Ziel wird inzwischen auch von jenen als Argument | |
akzeptiert, die den Klimawandel vor 10 Jahren noch für so drängend hielten | |
wie die Reform der Buchpreisbindung. | |
Inzwischen ist das Ziel aller ernstzunehmenden Politikangebote in | |
Deutschland die Klimaneutralität innerhalb der nächsten 30 Jahre, auch wenn | |
sich über die jeweiligen Lösungsvorschläge natürlich trefflich streiten | |
lässt. In den meisten Demokratien ist es ähnlich, in Diktaturen, die auf | |
Stabilität bedacht sind – wie China – ebenso. Seine Wucht hat der | |
„Paris-Moment“ nicht durch den Wortlaut der Verträge entfaltet, sondern | |
durch das Bekenntnis, Klimaschutz jetzt ernst zu nehmen. | |
Solch ein Bekenntnis hat beim Verlust der biologischen Vielfalt bislang | |
gefehlt. Nun ist es da. Wucht und Durchsetzungskraft wird das Abkommen von | |
Montreal künftig nicht dadurch entfalten, dass das interessierte Publikum | |
es zerredet und sich in Textexegese verzettelt. Sondern dadurch, dass | |
Umweltverbände, Bürgerinitativen und Parteien das Bekenntnis nutzen, um | |
lokale, politische Entscheidungen zugunsten der Biodiversität | |
durchzusetzen. | |
Wenn der Deutsche Bauernverband künftig gegen die Wiedervernässung von | |
Moorgebieten wettert, stellt er sich offen gegen einen Vertrag der Länder | |
der Welt. Denn auch Deutschland muss wertvolle, zerstörte Naturflächen | |
renaturieren, und [3][Moore] fallen Natur- und Klimaschützern da als erstes | |
ein. Wenn das EU-Parlament beschließt, den Abschuss von Wölfen in Europa zu | |
erleichtern, handelt es gegen den Geist von Montreal. Denn der sieht vor, | |
dass die Populationen von Wildtierarten groß genug sein müssen, um die | |
genetische Vielfalt innerhalb der Arten und somit ihre Widerstandskraft | |
gegen Umweltveränderungen zu erhalten. Und der Verband der Ölsaaten | |
verarbeitenden Industrie muss bessere Antworten als bisher finden, wenn er | |
gefragt wird, von welchen brasilianischen Äckern die Soja-Importe seiner | |
Mitgliedsunternehmen stammen, und ob dort die Rechte der lokalen | |
Bevölkerung geachtet wurden oder nicht. | |
Obwohl Berichtspflichten sinnvoll wären, fragen kann man auch ohne sie. Man | |
braucht nur zu wissen, dass der Soja-Anbau den Regenwald zerstört und dass | |
dies die Biodiversität gefährdet. Und dass die Menschheit diese tödliche | |
Kette abreißen möchte. Denn jede banale, noch so kleine Entscheidung ist | |
eingebettet in eine große Erzählung. Soll die Stadt Brandenburg an der | |
Havel ein neues Gewerbegebiet auf die grüne Wiese setzen, um ihrer | |
wachsenden Bevölkerung Beschäftigung und Wohlstand auch in Zukunft zu | |
sichern? Nein, soll sie nicht. Soll Rheinland-Pfalz seine Bundesstraße 10 | |
vierspurig ausbauen? Nein, auch nicht. Für beide Projekte gibt es gute | |
Gründe und Argumente. Aber sie versiegeln Böden, zerreißen intakte | |
Naturräume, führen zu Treibhausgasemissionen und stellen damit genau den | |
Kampf gegen die Natur dar, den die Staatengemeinschaft in Montreal für | |
beendet erklärt hat. | |
Insofern hat die gute alte Forderung vom „global denken, lokal handeln“ in | |
dem Abkommen einen Leitfaden bekommen. Es ist darin aufgelistet, was es zu | |
bedenken gilt, es sind Problemfelder beschrieben, die zu lösen sind. Das | |
wird auch künftig nicht einfach. Der Schutz der Biodiversität ist, noch | |
mehr als der Klimaschutz, immer Teil eines harten Machtkampfes. Es geht | |
darum, wie ein Stück Land bearbeitet wird. Wer darauf bauen darf. Wo | |
Bodenschätze gehoben werden dürfen. Und wer an all dem verdient. Es geht | |
aber auch um Ideale, um die Liebe und die Nähe zur Natur. Dass sie nicht | |
leichter wiegen müssen, das steht jetzt in dem Vertrag von Montreal. Wir | |
sollten ihn hoch halten. | |
22 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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