| # taz.de -- Verbandschef über Lehren aus Abkommen: „Keine Amazon-Halle auf d… | |
| > Nach der Artenschutzkonferenz: Die Zeit zum Umsteuern zu mehr | |
| > Umweltschutz in Deutschland „war noch nie so günstig wie jetzt“, sagt Kai | |
| > Niebert. | |
| Bild: Der gefährdete Schneeleopard kennt keine Grenzen | |
| taz: Herr Niebert, die Welt hat [1][ein neues Naturschutzabkommen], das im | |
| kanadischen Montreal verabschiedet wurde – was ändert sich jetzt in | |
| Deutschland? | |
| Kai Niebert: Deutschland muss aus Rhetorik Politik machen, die Natur | |
| wirklich wichtig nehmen. Das heißt: keine Amazon-Lagerhallen auf die grüne | |
| Wiese setzen und Schluss damit, Naturzerstörung zu subventionieren. | |
| Warum sollte das plötzlich klappen, das sind doch alte Forderungen? | |
| Da die Weltgemeinschaft beim Ozonloch schon einmal gezeigt hat, dass sie | |
| sich globalen Herausforderungen stellen kann. Mit dem Wiener Übereinkommen | |
| beschloss sie 1985 erst grundsätzlich zu reagieren, und dann einigte sie | |
| sich zwei Jahre später im Montrealer Protokoll auf konkrete und wirksame | |
| Schritte. So muss das nun auch laufen. | |
| Da ging es aber nur um einen Stoff, der verboten wurde: FCKW. | |
| Bei der biologischen Vielfalt geht es um die Wirtschaftsweise in Gänze – | |
| ja. Tiere und Pflanzen brauchen ein gesundes Netzwerk – und wir Menschen | |
| unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Jetzt sollen 30 Prozent der Landes- | |
| und 30 Prozent der Meeresflächen bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt | |
| werden. | |
| Das Umweltministerium sieht das Ziel schon erreicht. | |
| Nur weil wir auf dem Papier bereits 30 Prozent der Fläche in Deutschland | |
| irgendwie schützen, heißt das nicht, dass es wirkt. Arten sterben trotzdem | |
| aus. Es geht nicht darum, die Menschen außen vor zu lassen, aber es muss | |
| auf insgesamt 30 Prozent der Flächen naturfreundlicher gewirtschaftet | |
| werden. Dazu brauchen wir mehr ökologische Landwirtschaft und vielfältigere | |
| Äcker. Südafrika will jetzt etwa groß ins Gasgeschäft einsteigen, um | |
| energieintensive Düngemittelprodukte hochzuziehen. Wir müssen auch | |
| international zeigen, dass es anders geht. | |
| Das steckt aber nicht in dem Abkommen. Das Ziel 25 Prozent | |
| Ökolandwirtschaft bis 2030 ist sogar rausgeflogen. Sie unterschätzen Ihre | |
| Gegenspieler? | |
| Die ökologischen Schäden, die auch durch die Landwirtschaft verursacht | |
| werden, wie etwa Treibhausgasemissionen, Belastungen von Artenvielfalt, | |
| Wasser und Boden, belaufen sich auf 90 Milliarden Euro pro Jahr allein in | |
| Deutschland. Gleichzeitig sterben die landwirtschaftlichen Betriebe. Das | |
| ist ökologisch, ökonomisch und sozial nicht zukunftsfähig. | |
| In Brandenburg ist erst vor wenigen Tagen ein Vorzeigeprojekt, der | |
| Insektendialog, gescheitert, in dem Naturschutzverbände, Bauern und Politik | |
| einen Gesetzentwurf für mehr Artenschutz erarbeiten sollten, weil SPD, CDU | |
| und Landesbauernverband offenbar ein Verbot von Pestiziden in | |
| Naturschutzgebieten abgelehnt hatten. | |
| Aber es gibt andere Beispiele aus Niedersachsen und Bayern, wo Landwirte | |
| mit Naturschützern vorangehen. Außerdem ist auch in der | |
| Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission festgelegt, dass der | |
| Pestizideinsatz bis 2030 halbiert werden muss. Mit einem System von | |
| handelbaren Pestizid-Zertifikaten beispielsweise hätte ein Landwirt, der | |
| weniger Chemie verwendet, weniger Kosten als der chemielastigere Nachbar. | |
| Und einen gesünderen Acker. | |
| Aber verbindlich ist das alles noch nicht. Und nun gibt es den Ukrainekrieg | |
| … | |
| … und Kritiker der Strategie nutzen die Debatte über die | |
| Ernährungssicherheit, um alles zu verzögern – wie zum Beispiel die FDP. | |
| Wenn sie weiter blockiert, wird sie eine starke Mitschuld am Artensterben | |
| haben. Dabei war die Zeit zum Umsteuern noch nie so günstig. | |
| Wie bitte? | |
| Alle Lebensmittel sind wegen der Inflation teurer geworden. Da können Sie | |
| ein biodiversitätsfreundliches Entlastungspaket über die Mehrwertsteuer | |
| schnüren. Sie setzen die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse, Getreide auf | |
| null, im Gegenzug die Mehrwertsteuer für Fleisch von 7 Prozent auf 19 hoch. | |
| Das wäre ein guter Anfang, umweltschädliche Subventionen abzubauen und die | |
| Menschen bei gesunder Ernährung zu entlasten. | |
| Bis 2030 sollen nun alle naturzerstörerischen Subventionen, die weltweit | |
| auf 500 Milliarden jährlich geschätzt werden, so umverteilt werden, dass | |
| sie der Biodiversität nützen. Ist das realistisch? | |
| Ökonomisch wäre das sinnvoll. Tiere und Pflanzen sind die Grundlage von | |
| allem. Die Bestäubungsleistung von Insekten machen im Jahr 65 Milliarden | |
| Euro alleine in Europa aus. Gerade erst haben Wissenschaftler*innen | |
| gezeigt, dass Regenwürmer in Großbritannien in den vergangenen 25 Jahren | |
| womöglich um ein Drittel zurückgegangen sind. Sie sind entscheidend für | |
| fruchtbare Böden. Wir müssen das Artensterben nicht nur stoppen, wir | |
| brauchen eine Renaturierung. | |
| Aber Deutschland will Windräder bauen und Radwege asphaltieren. | |
| Bisher wird Infrastruktur gebaut und dann irgendwo ein Ausgleich | |
| geschaffen. Dahinter steckt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Drei | |
| Bäume abgeholzt, woanders drei Bäume angepflanzt. Weniger schlecht reicht | |
| aber nicht mehr. Wir brauchen jetzt ein Verbesserungsgebot. Wir müssen in | |
| Ökosystemen denken und der Natur in der Fläche helfen. | |
| 21 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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