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# taz.de -- Weihnachten und Pop-Musik: Carey ist der Weihnachtsmann
> Mariah Carey ist nicht mehr nur eine Begleiterscheinung von Weihnachten.
> Sie ist die popkulturelle Personifizierung des Feiertags.
Bild: Ohne sie hätte es Rihanna, Beyoncé oder Ariana Grande vielleicht nie ge…
Pop im 21. Jahrhundert bringt nichts Neues mehr hervor. Alle flüchten sich
in Retrosounds und machen Platten, die genauso gut in den letzten fünf
Dekaden erschienen sein könnten. So in etwa lautete die These des 2017
verstorbenen Kulturkritikers Mark Fisher, der befand, dass zeitgenössische
Pop-Platten so anachronistisch klingen, dass sie bei Zeitreisenden aus den
80er-Jahren keinerlei Zukunftsschock auslösen würden. Sie würden eher
erstaunt feststellen: „Pop klingt immer noch so?“ Fisher hatte dabei vor
allem Mainstream-Phänomene der Nullerjahre im Blick: [1][Amy Winehouse],
[2][Arctic Monkeys]. Heute könnte man die Liste nostalgisch orientierter
Popstars weiterführen: [3][Dua Lipa], [4][Adele], oder als radikalste
Variante: [5][Mariah Carey].
Was Mariah Carey nämlich macht, ist nicht einfach Sounds aus der
Vergangenheit zu beschwören beim Produzieren ihrer neuen Platten. Nein,
Carey produziert kaum mehr neue Musik, stattdessen greift sie direkt in die
eigene Mottenkiste und covert sich im Grunde Jahr für Jahr selbst. Es ist
immer derselbe Song, der immer um diese Jahreszeit mindestens in die Charts
einsteigt, und seit vier Jahren tatsächlich auch die Nummer 1 in den USA
erreicht: „All I Want For Christmas“, Careys schwungvoller Weihnachtshit
aus dem Jahr 1994.
Während viele Popstars irgendwann beginnen, ihre großen Hits zu hassen,
weil sie sich wie eine banale Verzerrung ihres Werks anfühlen – Madonna
sagt, sie wolle „Like a Virgin“ nie wieder spielen, außer jemand zahle ihr
30 Millionen Dollar Gage –, scheint Carey genau das selbst zu machen,
anstatt es der Welt zu überlassen: Ihren Namen und ihr Image auf diesen
einen Song zu reduzieren. Und auf diesen Feiertag. Mit einer Kampagne, die
jedes Jahr ein neues Mariah-Weihnachtsprodukt abwirft (diesmal ein
Kinderbuch), fängt die Sängerin gewöhnlich am Tag nach Halloween bereits
an, in weihnachtlichen Pyjamas vor die Kamera zu treten und die ersten Töne
ihres Klassikers zu trällern.
Vor zwei Jahren gab es einen Weihnachtsfilm für Apple TV, dieses Jahr ein
Weihnachtskonzert, das übers US-Fernsehen Millionen Haushalte erreichen
soll. Mariah Carey ist nicht mehr nur eine Begleiterscheinung von
Weihnachten. Sie ist zur popkulturellen Personifizierung des Feiertags
geworden: Mariah, der Weihnachtsmann.
## Reclaiming des eigenen Erfolgs
Ist das eine lockere Geldmaschine? Klar. Aber es wäre langweilig, das als
einzigen Grund für diese Inszenierung zu sehen. Denn die 53-jährige R &
B-Sängerin hat durchaus mehr Errungenschaften, auf die sie zurückblicken
kann. Ganze 19 Nummer-1-Hits hat Carey in den letzten drei Dekaden
gelandet, 18 davon selbst geschrieben und mitproduziert. Ohne Alben wie
„Music Box“, „Butterfly“ oder „Rainbow“ wäre die Popgeschichte des…
Jahrhunderts womöglich ganz anders verlaufen. Kaum denkbar, dass es ohne
eine Mariah Carey je eine Rihanna, eine Beyoncé oder eine Ariana Grande
gegeben hätte. Davon kann man sich als alternde Ikone in der heutigen
Aufmerksamkeitsökonomie aber, rein bildlich gesprochen, nicht viel kaufen.
Dazu ist spätestens seit der kürzlich erschienen Autobiografie bekannt, wie
Mariah Careys Bilderbuchkarriere geprägt war von einem gewalttätigen
Ex-Mann und Produzenten, der Carey zuerst zum Star macht und dann zerstören
will; und einer Familie, die sie als Kind vernachlässigt und missbraucht,
um sie später auszubeuten und am Tiefpunkt ihrer Karriere gegen ihren
Willen in eine Psychiatrie einzuweisen.
So mutet das unaufhörliche Covern ihres Weihnachtshits mehr wie ein
Reclaiming des eigenen Erfolgs an, den Carey an seinem Höhepunkt nie feiern
konnte. Die Nostalgie in ihrem ulkigen Weihnachtsfetisch erscheint wie die
Sehnsucht nach einer Kindheit, die es so nie gegeben hat. Für den Fall,
dass ein paar Zeitreisende also fragen sollten: „Ihr hört immer noch Mariah
Carey?“, kann man getrost sagen: „Ja.“
18 Dec 2022
## LINKS
[1] /Musik-von-Amy-Winehouse/!5115654
[2] /Neues-Album-der-Arctic-Monkeys/!5509757
[3] /Superstar-Dua-Lipa-in-Hamburg/!5850789
[4] /Adele/!t5254493
[5] /Mariah-Carey/!t5651932
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
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