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# taz.de -- Proteste in China: In der Null-Covid-Sackgasse
> Mit Polizeipräsenz und Einschüchterung versucht Peking, weiteren Protest
> im Keim zu ersticken. Die Coronapolitik Präsident Xis ist gescheitert.
Bild: Am Sonntag gingen in Peking Hunderte auf die Straße
Peking taz | Wo noch vor wenigen Stunden die [1][Pekinger ihre Freiheit
forderten], hat der Sicherheitsapparat unlängst eine Machtdemonstration par
excellence hingelegt: Entlang des Liangma-Flusses parkt alle 20 Meter ein
Polizeiauto mit heulenden Sirenen. Weitere Sicherheitskräfte machen in
dieser bitterkalten Novembernacht ihre Runden, unzählige Männer in zivil
sind an den umliegenden Straßenkreuzungen positioniert.
Die [2][ersten landesweiten Proteste in China seit den 1990er Jahren] haben
Staatschef Xi Jinping vor ein Dilemma gestellt: Soll die Regierung, die
sich nach außen hin keinen Hauch Schwäche erlauben will, mit Kompromissen
auf das demonstrierende Volk zugehen? Oder wendet sie erneut jene
Repressionstaktiken an, wie sie es in den letzten Jahren wiederholt getan
hat?
Die Antwort fällt spätestens seit Dienstag eindeutig aus. Mehrere
Universitäten haben ihre Studierende in Busse gesteckt und – unter dem
Vorwand des Schutzes vor Corona – in ihre Heimatstädte gefahren. In
Schanghai stoppten die Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung Passanten, um ihre
Smartphones zu filzen: Sämtliche „sensiblen“ Fotoaufnahmen oder westliche
Messengerdienste mussten gelöscht werden. Wer sich weigerte, wurde
abgeführt.
Mit Big Data und Überwachungskameras sucht die Staatssicherheit zudem
eifrig nach Teilnehmern der friedlichen Proteste. Mehrere Chinesen haben
bereits beklagt, dass sie bei ihrem Arbeitgeber oder ihrer Universität
gemeldet wurden. Andere wurden rückwirkend von der Polizei in Gewahrsam
genommen.
## Die Pandemie ist zurück
„Ich rechne in den nächsten Tagen nicht mit vielen groß angelegten
Protesten. Die Regierung hat ausreichend Durchsetzungskraft, um diese zu
verhindern“, kommentiert Taisu Zhang, Professor für Rechtswissenschaften
und Geschichte an der Yale-Universität, auf Twitter. „Aber den chinesischen
sozialen Medien nach zu urteilen, ist der Verlust des politischen
Vertrauens in der Bevölkerung ziemlich weit verbreitet und wahrscheinlich
nachhaltig.“
Um die Wut etwas zu mildern, hat der Staatsrat am Dienstag eine
Pressekonferenz einberufen. Wer sich eine Lockerung der Null-Covid-Politik
erhoffte, wurde allerdings weitestgehend enttäuscht. Doch immerhin sprach
die Regierung nach langer Zeit endlich wieder von einer Impfkampagne.
„Wir sollten die Impfung gegen Covid-19 beschleunigen, insbesondere bei
älteren Menschen“, sagte Mi Feng, Sprecher der Pekinger
Gesundheitskommission – und signalisierte damit zumindest mittelfristig
eine Öffnung des Landes. Wie man die niedrige Booster-Rate der über
80-Jährigen, die nach wie vor bei nur 40 Prozent liegt, konkret erhöhen
will, ist bislang aber offen.
Viele Demonstranten werden sich ohnehin durch eine bloße Lockerung der
Pandemiemaßnahmen nicht zufriedenstellen lassen. Insbesondere die jungen
Demonstranten erwarten sich eine Öffnung der Gesellschaft, mehr
Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und politischen Wandel. Ihre Stimmen
werden jedoch im Pekinger Regierungsviertel Zhongnanhai auf wenig Gehör
treffen.
Dabei sollten der Parteiführung die Entwicklungen mehr als zu denken geben.
Der Staatsapparat mag die Protestbewegung zwar mit Polizeigewalt und
Einschüchterung unterdrücken können, nicht jedoch die Gründe für den
Volkszorn auflösen. Immer deutlicher wird die Null-Covid-Sackgasse, in die
Xi Jinping sein Land geführt hat: Schon Ende 2020 hatte die Regierung den
„Sieg über das Virus“ propagiert, wobei es sich in Wahrheit aber vielmehr
um einen vorübergehenden Waffenstillstand handelte. Spätestens mit der
hochansteckenden Omikron-Variante ist die Pandemie in China mit aller Wucht
zurückgekehrt, während in der Zwischenzeit der Rest der Welt längst
versucht, mit dem Virus zu leben.
Die Volksrepublik China hat es allerdings versäumt, die gekaufte Zeit der
Nullinfektionen für eine Impfkampagne zu nutzen oder gar die Anzahl an
Notfallbetten in den Krankenhäusern zu erhöhen. Stattdessen flossen
sämtliche Ressourcen in tägliche Massentests und Quarantänezentren. Die
Bevölkerung wurde mit endlosen Lockdowns und dystopischer Überwachung
drangsaliert.
Die Null-Covid-Politik stellt Chinas Staatsführung noch vor ein weiteres
Dilemma: Sie ist ganz unmittelbar mit der Person Xi Jinpings verknüpft, der
die Maßnahmen allesamt als weltweit einmalige Erfolgsgeschichte gepriesen
hat. Diese nun als gescheitert zu erklären, dürfte selbst für die
chinesische Propagandabehörde eine überaus große Herausforderung
darstellen.
29 Nov 2022
## LINKS
[1] /Tausende-protestieren-in-Peking/!5898419
[2] /Protestwelle-in-China/!5895088
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
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