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# taz.de -- Verschobenen Wahlen in Somaliland: Stabilität kann schnell vergehen
> In der schwersten Hungerkrise der Geschichte Somalilands verhärten sich
> nun die politischen Fronten. Die Opposition erkennt den Präsidenten nicht
> mehr an.
Bild: So wichtig wie anderswo der Finanzmarkt: Viehmarkt in Burao, Somaliland
Hargeisa taz | Wäre alles wie geplant gelaufen, wäre Muse Bihi Abdi
möglicherweise längst nicht mehr im Amt. [1][2017 wurde der 74-Jährige zum
Präsidenten von Somaliland gewählt]. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre, eine
Wiederwahl ist möglich. Doch im September ließ der Ältestenrat des Landes,
genannt Guurti, die für den 13. November geplante Präsidentschaftswahl
verschieben und der Amtsinhaber bleibt ohne Wahl bis zu zwei weitere Jahre
an der Macht.
Für die Opposition ist dieser Zustand nicht haltbar. „Seine Amtszeit ist
vorbei und die Verlängerung illegal“, sagt Mohamud Adan Jama, Sprecher der
größten Oppositionspartei Waddani. Man erkenne Muse Bihi Abdi nicht mehr
als legitimen Präsidenten an. „Er hat alles versucht, um Wahlen zu
verhindern.“
Die Regierung sieht das gelassener. „Wir haben diese Angewohnheit,
Amtszeiten zu verlängern“, sagt Saad Ali Shire. Somalilands Finanzminister
war ab 2010 zuerst Planungs- und dann Außenminister. Schon bei zwei
früheren Präsidenten sei das Mandat um zwei Jahre verlängert worden,
Verfassung hin oder her.
In den Straßen von Hargeisa, der Hauptstadt, hält sich die Aufregung ebenso
in Grenzen wie in entlegenen Dörfern. Von den 3,5 Millionen
Einwohner*innen Somalilands lebt schätzungsweise ein Drittel in
absoluter Armut und viele davon sorgen sich eher um die nächste Mahlzeit
als um die nächsten Wahlen. Die international nicht anerkannte Republik
Somaliland, die von den UN als Teil Somalias definiert wird, leidet unter
[2][der anhaltenden Dürre am Horn von Afrika], die Hilfswerke als die
schwerste der vergangenen 40 Jahre bezeichnen und die den verbreiteten
Hunger hervorgerufen hat. Nach UN-Schätzungen sind 36 Millionen Menschen in
Kenia, Äthiopien und Somalia – einschließlich Somaliland – auf humanitäre
Hilfe angewiesen.
## Ohne Anerkennung: kein Zugang zu internationalen Krediten
Die verschobenen Wahlen könnten in Somaliland die humanitäre Notlage weiter
verschärfen. Der Staatshaushalt hat ein Volumen von gerade einmal rund 350
Millionen US-Dollar pro Jahr. Im besonderen Maße trägt dazu die
Viehwirtschaft bei, die etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.
[3][Doch aufgrund der Dürre verenden Tiere]. Gleichzeitig ist Somaliland
stark von der Weltwirtschaft abhängig. Ohne verarbeitende Industrie und mit
nur wenig Landwirtschaft muss so ziemlich alles eingeführt werden: von
Zucker über Pasta bis hin zu Baumaterial. Aber da Somaliland nicht als
Staat anerkannt ist, hat es keinen Zugang zu Krediten von Weltbank und
Internationalem Währungsfonds, um Finanzlöcher zu stopfen. Mehr noch als
andere arme Länder hängt Somaliland von Privatinvestoren und Überweisungen
aus seiner Diaspora ab. Politische Instabilität hilft da nicht. „Konflikte
entmutigen Investitionen. Konflikte stehen stets im Gegensatz zur
Entwicklung“, gibt Finanzminister Saad Ali Shire zu.
Vor allem aber schadet die Krise dem Ruf Somalilands als einzigem
funktionierenden Staat auf dem Gebiet Somalias – eine Errungenschaft, deren
Anerkennung alle politischen Lager des Landes eint. „In Bezug auf
Stabilität und Demokratie sind wir eine Erfolgsgeschichte. Darauf sind wir
stolz“, betont Oppositionspolitiker Mohamud Adan Jama.
Somaliland war bis 1960 ein britisches Kolonialgebiet am Golf von Aden.
Nach der Unabhängigkeit 1960 vereinte es sich mit der ehemals italienischen
Somalia-Kolonie weiter südlich. Aber im Mai 1991 erklärte Somaliland unter
Führung einer Rebellenorganisation wieder seine Trennung von Somalia, das
nach dem Sturz von Langzeitdiktator Siad Barre in politischen Wirren
versunken war. Damals lag die heutige Hauptstadt Hargeisa in Trümmern, aber
ein neuer Staat wurde aufgebaut. Somaliland ist seitdem weitgehend von den
mörderischen Clankonflikten verschont geblieben, die Somalia seit dreißig
Jahren zerreißen, und auch bisher nicht in den Fokus der islamistischen
Terrorgruppe al-Shabaab geraten, die bis heute Teile Somalias beherrscht
und in der Hauptstadt Mogadischu mörderische Angriffe verübt.
Dafür fließen allerdings in Somaliland auch mehr als ein Drittel des
Budgets in die Sicherheit. Bleibt das Land stabil und demokratisch – für
den globalen Norden bedeutet das vor allem regelmäßige Wahlen –, dann
könnte der Staat möglicherweise eines Tages tatsächlich international
anerkannt werden. Bisher hat das nur Taiwan getan, obwohl eine Reihe von
Staaten und Organisationen Vertretungen in Hargeisa unterhalten, die
faktisch als Botschaften fungieren.
Die verschobenen Wahlen verschlechtern nun auch die Situation der
Menschenrechte. Bei Protesten im August kamen fünf Menschen ums Leben, über
100 wurden verletzt. „Die Sicherheitskräfte haben sich unverhältnismäßig
verhalten“, kritisiert Waddani-Sprecher Mohamud Adan Jama. Khadija Mousa,
Programmkoordinatorin des somaliländischen Menschenrechtszentrums (HRC),
hat bei erneuten Protesten am 13. November außerdem 63 willkürliche
Festnahmen dokumentiert. „In den vergangenen zwei Jahren hat das immer mehr
zugenommen“, kritisiert sie. Die Festgenommenen würden weder erfahren,
warum sie festgehalten werden, noch würden sie einem Haftrichter
vorgeführt. Ende November wurde sogar ein Journalist nach einer Reihe von
Facebook-Posts bezüglich mutmaßlicher Verwicklungen des Präsidenten in das
Khat-Drogengeschäft festgenommen, schreibt HRC. Jede Form des Ungehorsams
würde gleich als Regierungskritik verstanden werden.
Was die Lage verschärft, ist die von der Verfassung geregelte
Notwendigkeit, Ende Dezember drei neue Parteien zuzulassen – ein
einzigartiger Vorgang. Um eine Zersplitterung der politischen Landschaft zu
verhindern, sind in Somaliland zeitgleich nur jeweils drei Parteien
zugelassen. Welche, wird alle zehn Jahre neu entschieden – in wenigen
Wochen ist der nächste Termin. Werden aber die neuen Parteilizenzen vor der
Präsidentschaftswahl vergeben, könnte das Präsident Muse Bihi Abdi helfen,
findet die Opposition.
Bei einer Präsidentschaftswahl würde Waddani-Kandidat Abdirahman Mohamed
Abdullahi haushoch mit bis zu 70 Prozent der Stimmen gewinnen, behauptet
Parteisprecher Mohamud Adan Jama. Schon bei den Parlamentswahlen
vergangenes Jahr wurde Waddani stärkste Kraft.
16 Dec 2022
## LINKS
[1] /Praesidentschaftswahl-in-Somaliland/!5461361
[2] /Trockenheit-in-Aethiopien/!5786642
[3] /Hungersnot-in-Ostafrika/!5398695
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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