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# taz.de -- Geld aus Katar? Kaili unter Verdacht: Schnelles Ende einer Karriere
> Das EU-Parlament wird von einem Korruptionsfall erschüttert. Die
> Vizepräsidentin Eva Kaili wurde „auf frischer Tat ertappt“.
Bild: Eva Kaili, hier noch in aller Unschuld, 7. 12. 2022
Brüssel taz | Die Bombe platzte zur Unzeit. Die 705 Abgeordneten des
Europaparlaments bereiteten sich gerade auf ihre Plenartagung in Straßburg
vor, am Montag wollten sie über Visa-Erleichterungen für Katar abstimmen.
Auch über Korruption und Vetternwirtschaft in Ungarn wollten sie reden: Die
Parlamentarier fordern, wegen Misswirtschaft 13 Milliarden Euro aus dem
EU-Budget zu sperren.
Und nun das: Eine Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Griechin Eva
Kaili, wird selbst der Korruption beschuldigt. Sie soll Geld von Katar
angenommen haben und wurde zusammen mit vier anderen Verdächtigen von den
belgischen Behörden in Brüssel festgenommen. Am Sonntag wurden vier
Haftbefehle erlassen – nach Angaben der Zeitung [1][Le Soir] muss auch
Kaili im Gefängnis bleiben.
Die vier Inhaftierten werden der „Beteiligung an einer kriminellen
Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt“, teilte die
Staatsanwaltschaft in Brüssel mit. Zudem sei am Samstagabend das Haus eines
weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht worden. Dabei gehe es um den
Belgier Marc Tarabella, so Le Soir.
Es ist der größte Korruptionsskandal, in den das Europaparlament je
verwickelt war. Und das zu einer Zeit, da sich die Abgeordneten als
Vorkämpfer von Recht und Gesetz in Pose werfen. Nicht nur in Ungarn, auch
in Katar wollen sie für Ordnung sorgen. In einer Resolution wurde das
Emirat als Unrechtsstaat verurteilt. Der Fußball-Weltverband Fifa wurde der
Korruption bezichtigt.
## Bestechlichlichkeit und Geldgier
Und nun das: Mitten in ihren Reihen, sogar auf der Führungsebene, soll sich
ein Abgrund von Bestechlichkeit und Geldgier auftun. Bei den Durchsuchungen
wurden insgesamt 600.000 Euro in bar beschlagnahmt. In Kailis Wohnung
fanden die Ermittler belgischen Medienberichten zufolge Taschen voller
Bargeld. Le Soir schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat erwischt
worden.
Nun steht die EU unter Schock. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat es
die Sprache verschlagen. Die konservative Politikerin wollte den Fall nicht
kommentieren. Sie gab auch keine Antwort auf die Frage, warum ihre
Stellvertreterin keine Immunität genieße. Stattdessen enthob sie Kaili
ihrer Ämter. „Wir stehen entschieden gegen Korruption“, hieß es zur
Begründung.
Auch die Sozialdemokraten ließen ihre prominente Genossin fallen – sie
suspendierten die Mitarbeit in der S&D-Fraktion und setzten die
Parteimitgliedschaft aus. „Das zeigt, wie ernst wir die Vorwürfe nehmen“,
sagte Parlamentsvizepräsidentin Katharina Barley (SPD) der taz. „Korruption
ist Gift für die Demokratie und muss ohne Wenn und Aber bekämpft werden.“
## Sie hatte einen guten Ruf
Dabei genoss Kaili bisher einen guten Ruf. Sie war in der Parlamentsspitze
für „[2][Corporate social responsibility]“ zuständig und engagierte sich
für Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte. Aufgefallen ist sie erst am 21.
November. Nach einem Besuch in Katar lobte sie den Golfstaat als Vorreiter
bei den Arbeitsrechten.
Das Land habe sich der Welt geöffnet, so Kaili. „Dennoch rufen einige hier
dazu auf, sie (= die Katarer) zu diskriminieren. Sie schikanieren sie und
beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption.“ Das fällt ihr
nun auf die Füße. Allerdings ist unklar, ob den Worten auch Taten folgten.
Kaili war kein Mitglied des Innenausschusses, der über eine
Visa-Liberalisierung für Katar berät.
An den Beratungen beteiligt war dagegen Erik Marquardt. Der grüne
Europaabgeordnete ist als Berichterstatter für das Thema zuständig. Kaili
habe ihn in der Frage der Visaerleichterung mehrmals kontaktiert, so
Marquardt zur taz. „Es ist erst mal nicht ungewöhnlich, dass sich die
Vizepräsidentin und die Berichterstatter zu laufenden Themen austauschen.“
Kaili habe sich in den Gesprächen für eine schnelle Lockerung eingesetzt.
Sie sei jedoch nicht direkt an den Verhandlungen zwischen den Fraktionen
beteiligt gewesen. Nun müsse aber geprüft werden, ob möglicherweise andere
Abgeordnete oder deren Mitarbeiter, die an dem Verfahren beteiligt waren,
beeinflusst worden seien.
Das Thema wurde von der Tagesordnung genommen, das Parlament will die
Verhandlungen mit Katar und Kuwait verschieben. „Ich halte es jedenfalls
für nicht vorstellbar, dass Katar in absehbarer Zeit Visaerleichterungen
bekommt“, so Marquardt. Falls das Emirat tatsächlich versucht haben sollte,
Abgeordnete zu kaufen, so ist der Schuss nach hinten losgegangen.
## Keine Details
In Doha versucht man den Fall herunterzuspielen. Ein Regierungsbeamter
sagte der Nachrichtenagentur AFP, seinem Land seien „keine Details über
eine Untersuchung bekannt“. Jegliche „Behauptung eines Fehlverhaltens des
Staates Katar“ sei unzutreffend. Kurz vor dem Ende der Fußball-WM kommen
die Vorwürfe für das Land zur Unzeit.
Auch für die EU ist die Affäre peinlich. Die EU-Spitzen haben den Worldcup
zwar gemieden. Im Vorfeld haben sie jedoch eifrig um Katar geworben. Im
Januar feierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sogar eine
neue „Energiepartnerschaft“. Ihre Behörde hat auch die nun aufgeschobene
Visaerleichterung vorgeschlagen.
Den größten Schaden hat jedoch das Parlament. Es muss um seinen Ruf bangen.
Die Abgeordneten brüsteten sich gern, die schärfsten Antikorruptionsregeln
zu haben. Nun räumen sie ein, dass diese für Drittländer wie Katar gar
nicht gelten. „Hier muss die EU umgehend reagieren“, sagte der
Grünen-Abgeordnete Daniel Freund.
Für Michiel van Hulten von Transparency International ist der Fall Kaili
nur die Spitze eines Eisbergs. „Über Jahrzehnte hat das Parlament geduldet,
dass sich eine Kultur der Straflosigkeit entwickelt.“ Jeder Versuch, mehr
Verantwortlichkeiten zu schaffen, sei abgeblockt worden. Es sei „Zeit für
eine grundlegende Reform“.
Zunächst will sich das Parlament aber reinwaschen. Wenn die Abgeordneten am
Montag in Straßburg eintreffen, wollen sie sofort über Kailis endgültige
Absetzung beraten. So schnell ist eine EU-Karriere noch nie zu Ende
gegangen – dabei sind die Ermittlungen noch ganz am Anfang. Das Geld wurde
sichergestellt. Doch was genau passiert ist, liegt noch im Dunkeln.
11 Dec 2022
## LINKS
[1] https://www.lesoir.be/482400/article/2022-12-11/la-vice-presidente-du-parle…
[2] https://www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/nachhaltigkeit/unternehmen/ek_def…
## AUTOREN
Eric Bonse
Anna Lehmann
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