# taz.de -- Nach Festnahmen wegen Korruptionsverdacht: Reformen im EU-Parlament… | |
> Nachdem die Vorwürfe gegen Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili bekannt | |
> geworden sind, wird der Ruf nach besseren Kontrollmechanismen in Brüssel | |
> lauter. | |
Bild: Das Europäische Parlament in Strasbourg: Fähnchen im Wind | |
BRÜSSEL afp | Nach Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe gegen die | |
[1][EU-Vizeparlamentspräsidentin Eva Kaili] mahnen Expert*innen Reformen | |
an. Das Parlament habe jahrzehntelang die Entwicklung einer „Kultur der | |
Straflosigkeit“ und einen „Mangel an unabhängiger ethischer Kontrolle“ | |
zugelassen, erklärte die Nichtregierungsorganisation [2][Transparency | |
International] am Samstag. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola | |
sicherte der Justiz die Unterstützung ihres Hauses bei der Aufklärung des | |
Falles zu. | |
Am Freitag waren in Brüssel insgesamt fünf Menschen im Zusammenhang mit | |
Korruptionsermittlungen festgenommen worden, bei denen mutmaßlich [3][das | |
WM-Gastgeberland Katar] eine maßgebliche Rolle spielt. Unter ihnen ist | |
Kaili, eine der 14 Vizepräsidenten des EU-Parlaments. Auch vier Italiener | |
wurden festgenommen, unter ihnen Kailis Lebensgefährte Francesco Giorgi, | |
der parlamentarischer Mitarbeiter der sozialdemokratischen Fraktion im | |
Europaparlament ist. | |
Festgenommen wurden zudem der ehemalige sozialdemokratische | |
Europaabgeordnete und heutige Chef der Nichtregierungsorganisation Fight | |
Impunity, Pier Antonio Panzeri, sowie der Generalsekretär des | |
Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), Luca Visentini. | |
Die belgischen Ermittler gehen dem Verdacht der „bandenmäßigen Korruption | |
und Geldwäsche“ nach. Es besteht die Vermutung, dass Katar mit | |
beträchtlichen Geldsummen und Geschenken versuchte, die Entscheidungen des | |
Europa-Parlaments zu beeinflussen. | |
## Asselborn enttäuscht | |
Es handele sich „nicht um einen Einzelfall“, erklärte Transparency | |
International nach den Festnahmen. Die Kontrollmechanismen im Parlament | |
seien „fehlerhaft“, schrieb Alberto Alemanno, Jura-Professor am | |
Europakolleg im belgischen Brügge im Kurzbotschaftendienst Twitter. | |
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn forderte die festgenommene | |
Kaili zum Verzicht auf ihren Parlamentssitz auf. „Ich hoffe, dass diese | |
Frau den Anstand hat, ihr Mandat zurückzugeben“, sagte Asselborn dem | |
Tagesspiegel. Es sei „sehr enttäuschend, dass im Europaparlament Korruption | |
im Spiel ist“. | |
Auch aus Kailis sozialistischer Pasok-Partei wurde die Forderung nach einem | |
Mandatsverzicht laut. In der Partei werde „Druck ausgeübt, damit Frau Kaili | |
ihren Parlamentssitz abgibt“, sagte ein Pasok-Mitglied in Athen. | |
Nach den Festnahmen vom Freitag befassen sich die belgischen Ermittler | |
damit, die beschlagnahmten Mobiltelefone und andere Datenträger | |
auszuwerten. Am Samstag wurden die fünf Beschuldigten nach Angaben eines | |
Sprechers der belgischen Bundesstaatsanwaltschaft in Brüssel weiter | |
vernommen. | |
## 48 Stunden Zeit | |
Der zuständige Ermittlungsrichter musste entscheiden, ob die Beschuldigten | |
in Untersuchungshaft kommen. Die Frist für diese Entscheidung läuft nach | |
belgischem Recht 48 Stunden nach der Festnahme ab – im Fall von | |
Parlamentsvizepräsidentin Kaili also am Sonntagabend. | |
Am Samstag veröffentlichte die belgische Zeitung L'Echo weitere | |
Informationen zur Festnahme Kailis. Demnach entdeckten die Ermittler | |
„mehrere Säcke voller Geldscheine“ in der Brüsseler Wohnung der | |
Politikerin. Die Durchsuchung der Räumlichkeiten brachte die Polizei | |
„L'Echo“ zufolge auf den Weg, nachdem sie den Vater Kailis mit einer großen | |
Menge Bargeld in „einem Koffer“ erwischt habe. | |
## Verhandlungen über Visa-Erleichterungen ausgesetzt | |
Inzwischen wollen mehrere Fraktionen im EU-Parlament geplante Verhandlungen | |
über Visa-Erleichterungen für Bürger des Golfemirats Katar aussetzen. „Wir | |
von den Grünen sind dagegen, dass Katar in der aktuellen Situation eine | |
Visa-Erleichterung bekommt“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Erik | |
Marquardt am Samstag. | |
Am Montag sollte im EU-Parlament formell der Beginn von Verhandlungen | |
zwischen Parlament und den Mitgliedstaaten über Visa-Erleichterungen für | |
Katar und Kuwait bekannt gegeben werden. Der zuständige Ausschuss im | |
Parlament sowie die Mitgliedsländer hatten sich bereits grundsätzlich dafür | |
ausgesprochen, dass Bürger aus Katar und Kuwait sich bis zu 90 Tage ohne | |
Visum in der EU aufhalten dürfen. | |
Marquardt, der im Parlament für den Gesetzentwurf federführend zuständig | |
ist, erklärte, den Start der Verhandlungen und damit mögliche | |
Visa-Erleichterungen aussetzen zu wollen, bis mehr Informationen über den | |
Korruptionsvorwurf bekannt sind. „Man muss sicherstellen, dass es keine | |
Beeinflussung von Abgeordneten oder Angestellten auf den Textentwurf des | |
EU-Parlaments zu Visa-Erleichterungen für Katar gab“, sagte Marquardt. | |
Auch die Linksfraktion und die Sozialdemokraten forderten spätere | |
Verhandlungen. „Solange keine Klarheit herrscht, inwieweit katarisches Geld | |
geflossen ist, darf es keine Visa-Erleichterungen für Katar geben“, sagte | |
der Ko-Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament, Martin | |
Schirdewan. | |
Die Fraktion der Sozialdemokraten hatte am Freitag in einer | |
Pressemitteilung eine „Aussetzung von Arbeiten an allen Dossiers und | |
Plenarabstimmungen bezüglich der Golfstaaten, besonders Visa-Erleichterung | |
und geplante Besuche“ gefordert. | |
10 Dec 2022 | |
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