# taz.de -- Buch über NS-Elite nach 1945: Die Judenhasser | |
> Eine Biografie über den Auschwitz-Überlebenden Philipp Auerbach | |
> dokumentiert den deutschen Antisemitismus nach 1945. | |
Bild: Das Begräbnis von Philipp Auerbach glich einer Demonstration. Andrang am… | |
Nicht aus Feigheit, nicht aus meinem Schuldbekenntnis handle ich, sondern | |
weil ein Glaube an das Recht für mich nicht mehr besteht […]. Ich bin | |
unschludig verurteilt […]. Ich habe mich niemals persönlich bereichert und | |
kann dieses entehrende Urteil nicht weiterhin tragen. Ich habe bis zuletzt | |
gekämpft. Es war umsonst. Mein Blut komme auf das Haupt der Meineidigen.“ | |
Als Philipp Auerbach im August 1952 diese Zeilen der Öffentlichkeit | |
hinterließ, war er 45 Jahre alt. Er starb mittellos und gezeichnet von | |
schwerer Krankheit. In den Suizid getrieben wurde er von einem | |
ungeheuerlichen, intriganten Gerichtsprozess. Der Prozess gegen ihn gehört | |
zu den schillernsten Justizaffären in der frühen Bundesrepublik, die auch | |
im Ausland Beachtung fand. | |
Auerbach war der bekannteste Vertreter der jüdischen Gemeinschaft im | |
Nachkriegsdeutschland. Seine Beerdigung glich einer politischen | |
Demonstration, an der etwa 2.000 Menschen teilnahmen. Und doch ist seine | |
Geschichte heute vergessen. Nun ist eine neue Biografie von Hans-Hermann | |
Klare erschienen, die die „Affäre Auerbach“ endlich einer breiteren | |
Öffentlichkeit bekannt machen kann. | |
Geboren wurde Philipp Auerbach 1906 in Hamburg. Politisch engagierte er | |
sich in der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei und beim | |
demokratischen Wehrverband „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“. 1934 rettete | |
sich Auerbach mit seiner Familie nach Antwerpen. Ab 1940 wurde er in | |
verschiedene französische Lager verschleppt, Frau und Tochter konnten 1941 | |
in die USA entkommen. Auerbach selbst überlebte Auschwitz, Groß-Rosen und | |
Buchenwald. | |
## Nazis und Profiteure aufspüren | |
Nach der Befreiung gelangte er nach Düsseldorf. Dort setzten ihn die Briten | |
in der Fürsorge für ehemalige KZ-Häftlinge ein. Darüber hinaus versuchte | |
Auerbach eigenständig, in den Behörden untergekommene Nazis und Profiteure | |
aufzuspüren, womit er sich nicht nur bei den Deutschen schnell Feinde | |
machte. Als er zum früheren Wirken des Oberpräsidenten der Provinz | |
Rheinland, Robert Lehr, Material sammeln ließ, suspendierte ihn die | |
britische Militärregierung. | |
1946 wurde Auerbach als „Staatskommissar für rassisch, religiös und | |
politisch Verfolgte“ nach München gerufen. In der US-amerikanischen Zone | |
lebten damals teils über 150.000 jüdische Displaced Persons (DPs) – meist | |
in der Hoffnung auf eine schnelle Weiterreise ins Ausland. Manche blieben | |
jedoch länger, das letzte DP-Lager existierte bis 1957. Vielen | |
nicht-jüdischen Deutschen galten die Camps als Brutstätten des | |
Schwarzmarktes und ihre Bewohner:innen nicht als | |
unterstützungsbedürftige Überlebende und Flüchtlinge. | |
Philipp Auerbach und seine Behörde versuchten unermüdlich, die Situation | |
der DPs zu verbessern. Zudem meldete er sich regelmäßig öffentlich zu Wort. | |
Im Bayerischen Rundfunk etwa sprach er 1947 zum Jahrestag der Befreiung. | |
1951 kommentierte er in Radio-Ansprachen eine Demonstration in Landsberg am | |
Lech für die Begnadigung von dort inhaftierten NS-Kriegsverbrechern. | |
Proteste von DPs stießen damals auf „Juden-raus-Rufe“, gegen die ehemaligen | |
KZ-Häftlinge ging die Polizei schließlich mit Gummiknüppeln vor. | |
## Der Zorn der Deutschen | |
Mit seinen öffentlichen Reden zog Auerbach den Zorn vieler Deutscher auf | |
sich, die die [1][Nazi-Herrschaft mitsamt ihrer eigenen Verstrickung | |
verdrängen wollten.] Unter ihnen befand sich nicht nur der zum | |
Bundesinnenminister aufgestiegene Robert Lehr (CDU). Auch dem bayerischen | |
Justizminister Josef Müller (CSU) war Auerbach ein Dorn im Auge, da dieser | |
möglicherweise von seiner verschwiegenen Vergangenheit als an einer | |
Arisierung beteiligter Rechtsanwalt wusste. | |
Unterstützt von Lehr, startete Müller eine intrigante Hetzkampagne. Er ließ | |
kompromittierendes Material gegen Auerbach sammeln, lancierte Gerüchte in | |
der Presse und machte ihn sogar öffentich für einen Großteil des | |
Antisemitismus verantwortlich. | |
Anfang 1951 kam es zu einer mehrwöchigen Razzia im Landesentschädigungsamt. | |
Auerbach wurde schließlich verhaftet und wegen Erpressung, Unterschlagung, | |
Veruntreuung, passiver Bestechung und unberechtigten Führens eines | |
akademischen Titels vor Gericht gestellt. | |
Den Ablauf des Prozesses und seine Dynamiken rekonstruiert Klare in seinem | |
Buch mit großer Akribie. Dazu kommt die detaillierte Kontextualisierung der | |
Biografien der vorsitzenden Richter. Alle drei waren Mitglieder der NSDAP | |
und von NS-Unterorganisationen gewesen. Anträge von Auerbachs Verteidigung | |
auf Befangenheit wurden abgelehnt – mit Verweis auf Auerbachs angebliche | |
„Überängstlichkeit“. | |
## „Eine psychopathische Persönlichkeit“ | |
Gleich zu Beginn hatte Auerbach das Führen eines falschen Doktortitels | |
zugegeben, der Psychiater Vult Ziehen, auch er früher NSDAP- und | |
SS-Mitglied, bescheinigte Auerbach jedoch „von Haus aus eine | |
psychopathische Persönlichkeit“, die sich durch eine „querulatorische | |
Aggressivität“ auszeichne. Auerbachs angebliches zwanghaftes Lügen hätte | |
„ihn auch früher schon an und über die Grenze der Kriminalität geführt“. | |
Dass gegen den Hauptbelastungszeugen parallel ein Verfahren wegen Meineids | |
lief, ignorierten Anklage und Gericht. Nach 62 Verhandlungstagen wurde | |
Auerbach zu einer Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren und einer | |
Geldstrafe von 2.700 Mark verurteilt. Nun war er aus dem Weg geräumt | |
worden. Für Auerbach brach mit dem Urteil der Glaube an Gerechtigkeit, | |
Wiedergutmachung und eine jüdische Zukunft in Deutschland endgültig | |
zusammen. | |
Auf Auerbachs Beerdigung waren Transparente zu sehen, die den vorsitzenden | |
Richter als „Nazirichter“ angriffen und an den Juszizminister gerichet | |
„Bist Du nun zufrieden?“ fragten. 1954 rehabilierte ein | |
Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags Auerbach vollständig: | |
Aufgaben wie seine seien „nicht mit normalen Mitteln und auch nicht von | |
Persönlichkeiten zu lösen, die zwar getreu dem Gesetz arbeiteten, der | |
außergewöhnlichen Lage gegenüber jedoch ziemlich hilflos gewesen wären“, | |
hieß es. | |
Hans-Hermanns Klares Biografie ist eine sehr lesenswerte und wichtige | |
Studie. Dort, wo sich nichts rekonstruieren ließ, lässt Klare offene Fragen | |
stehen. | |
## Nach Auschwitz | |
Interessant wäre es gewesen, noch mehr über die Rezeption der | |
„Auerbach-Affäre“ im Ausland zu erfahren; ebenso eine systematischere | |
Analyse sowohl der Positionierungen in der bayerischen Staatsregierung und | |
im Landtag als auch der Presseveröffentlichungen zum Thema. | |
In jedem Fall wird deutlich, wie auch Philipp Auerbachs Nachkriegsbiografie | |
davon geprägt ist, was der israelische Psychoanalytiker Zvi Rex einmal | |
formulierte: dass [2][die Deutschen den Juden Auschwitz nie verzeihen | |
werden]. | |
9 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Till Schmidt | |
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