# taz.de -- Fridays for Future in Japan: Bloß nicht zu radikal | |
> Die Klimabewegung Fridays for Future ist in Japan trotz des hohen | |
> Treibhausgasausstoßes des Landes noch sehr klein. Aber sie will wachsen. | |
Bild: Speerspitze der Klimabewegung in Japan: eine Handvoll Aktivist:innen bei … | |
TOKIO taz | Es ist schon dunkel im Regierungsviertel von Tokio an diesem | |
Freitagnachmittag Ende Oktober. Die U-Bahnen füllen sich mit Menschen, die | |
von der Arbeit nach Hause fahren. Über 9,5 Millionen Einwohner hat die | |
Hauptstadt. Doch es sind nur drei junge Menschen, die sich um 17.30 Uhr vor | |
dem Wirtschaftsministerium, vor den Türen des „Amts für natürliche | |
Ressourcen und Energie“ einfinden. Zwei weitere stoßen im Laufe der Aktion | |
hinzu. | |
Mit selbst gemalten Plakaten, Edding auf Pappkartons, Masken und in | |
Secondhand-Klamotten repräsentieren sie die | |
[1][Fridays-for-Future]-Bewegung Tokio. Sie wollen die | |
Mitarbeiter:innen des Ministeriums, die täglich darüber entscheiden | |
können, in welche Energiequellen investiert wird, an die Brisanz der | |
Klimakrise erinnern. | |
Japan hat mit einer landesweiten durchschnittlichen CO₂-Emissionsbilanz von | |
8,6 Tonnen pro Kopf im Jahr 2021 etwas mehr als Deutschland mit 8,1 Tonnen. | |
Weniger Kohle abbauen und damit CO₂-Emissionen reduzieren, lauten deshalb | |
die zentralen Forderungen auf den Plakaten der Aktivist:innen. Gestartet | |
haben sie die wöchentliche Aktion im September. | |
## Greta hat überzeugt | |
„Insgesamt sind wir um die 20 bis 30 wirklich engagierte Aktivisten“, sagt | |
Fuka Kurokawa. Die Gruppe organisiert sich auf dem japanischen | |
Messengerdienst Line, dort zählt sie um die 100 Mitglieder. Die zwei | |
bekanntesten Gesichter der Bewegung sind Isao Sakai, Gründer von Fridays | |
for Future (FFF) Japan, und Lillian Ono, japanweit wohl die berühmteste | |
Aktivistin, sie sind heute nicht dabei. | |
Kurokawa, 23 Jahre alt und seit etwa zwei Jahren aktiv, trägt ein selbst | |
gemaltes Schild, mit Greta Thunberg umrahmt von japanischen Schriftzeichen. | |
„Greta hat mich überhaupt dazu gebracht, mich der Klimabewegung | |
anzuschließen“, erzählt sie. Sie habe sie auf Youtube gesehen und sich dann | |
der Gruppe in Tokio angeschlossen. | |
Diese gibt es seit 2019 und sie gehört neben denen in den Städten Kioto, | |
Fukuoka und Sapporo zu den größten und aktivsten Japans. „Hauptsächlich | |
sind es Studierende, die bei uns mitmachen, aber es kommen immer mehr | |
Highschool-Schüler hinzu“, sagt Kurokawa. Nach Psychologie studiert sie nun | |
Buchhaltung für eine bessere Qualifikation – wie sie selbst sagt. | |
## Vieles geht nicht so wie in Europa | |
Von Beginn der heutigen Protestaktion an dabei ist neben Kurokawa und einem | |
19-jährigen Studenten auch eine junge Soziologiestudentin aus Frankreich, | |
die lieber anonym bleiben möchte, da ihr Forschungsprojekt noch nicht | |
abgeschlossen ist. An der Tokyo Metropolitan University schreibt sie gerade | |
ihre Masterarbeit zur jungen Klimabewegung in Japan, genauer zu FFF. Sie | |
steht heute als Feldforscherin vor dem riesigen Gebäude aus Beton und Glas. | |
„Hier in Japan können Aktivisten viele Dinge nicht so machen wie in | |
Europa“, erklärt sie. Seit den Studentenaufständen und Besetzungen von | |
Universitäten in den 1968er Jahren in Tokio, die mit Straßenschlachten mit | |
der Polizei endeten, denke die Bevölkerung nicht besonders gut über Demos, | |
geschweige denn zivilen Ungehorsam. | |
Es sind wenn überhaupt die globalen Klimastreiks, an denen die Gruppe auch | |
in Tokio auf die Straße geht. Das letzte Mal am 23. September. Um 400 | |
Demonstrierende seien es an dem Tag gewesen, erzählen Kurokawa und die | |
Masterstudentin. | |
## Autobahnblockaden? Niemals! | |
Zwar ist die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Japan gegeben, | |
Demonstrationen liefen in Japan aber viel geordneter ab, als man das zum | |
Beispiel aus Europa kennt: viel durchorganisierter. In geordneten Reihen | |
seien die Demonstrierenden von der Polizei durch Omotesando, einer der | |
prächtigsten Alleen Tokios, an dem weiterlaufenden Verkehr vorbeigeleitet | |
worden. Es sei mehr ein Marsch auf dem Bürgersteig gewesen, statt einer | |
Demo. | |
Schon mal innerhalb der Gruppe über Autobahnblockaden und zivilen | |
Ungehorsam nachgedacht? Kurokawa lacht. „Niemals würde das hier | |
funktionieren“, sagt sie. Das würde der Bewegung eher schaden, die wenigen | |
Menschen, die mit ihnen sympathisierten, würden sich abwenden. Und das | |
scheint der Gruppe besonders wichtig zu sein: ihr Bild, das sie in der | |
japanischen Gesellschaft haben. Ein großes Ziel ist Anerkennung, um | |
zusätzliche Mitglieder gewinnen zu können. | |
„In der japanischen Presse kommen die Aktionen der Aktivisten gut an“, sagt | |
die Feldforscherin. „Sie haben das Image junger Menschen, die sich | |
engagieren und sich für die Umwelt einsetzen.“ Dabei stünden sie nicht | |
alleine da: Im Hintergrund bekomme FFF in Japan Unterstützung von den | |
eigenen Eltern oder Verbänden wie Greenpeace oder der internationalen | |
Klimaschutzorganisation 350.org. Die Reaktionen der Politiker:innen | |
seien aber bis auf ein paar vereinzelte Treffen mit lokalen Bürgermeistern | |
bislang ausgeblieben. | |
## Kohlekraftwerke statt AKWs | |
In Japan stellt seit 1955 – mit wenigen, kurzen Unterbrechungen – fast | |
durchgängig die Liberaldemokratische Partei (LDP) die Regierung. | |
Klimapolitisch lassen sich ihre Erfolge in drei Stichworten zusammenfassen: | |
die Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens, das Versprechen, bis 2030 | |
die Emission um fast die Hälfte zu senken, indem zum Beispiel | |
„inneffektive“ Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, und die Bepreisung von | |
Plastiktüten. | |
Doch immer noch liegt Japan – das Land, in dem das berühmte Kioto-Protokoll | |
unterschrieben wurde – im weltweiten Ranking der meist emittierenden | |
Ländern auf Platz 5, macht 3,2 Prozent des globalen Gesamtausstoßes aus. Im | |
Jahr 2021 lag der Anteil der Kohle an der Stromerzeugung in Japan bei 32 | |
Prozent. Was fossile Energieträger insgesamt angeht, lag er 2020 bei 84,8 | |
Prozent. Die Rohstoffe hierfür muss Japan fast komplett importieren. | |
Dennoch werden weitere Kohlekraftwerke gebaut, das größte in Planung ist | |
das an der Küste von Yokosuka, rund 100 Kilometer südlich von Tokio. | |
Aufgrund der starken Abneigung in der Gesellschaft gegen Atomkraft als | |
Energiequelle seit der nuklearen Katastrophe in Fukushima 2011 scheint | |
Kohle die momentane Lösung für die japanische Energiepolitik zu sein. | |
Erneuerbare Energien, also Wind- und Sonnenenergie, Biomasse sowie | |
Erdwärme, für die FFF plädiert, machten 7,7 Prozent des japanischen | |
Gesamtverbrauchs von 2019 aus, Wasserkraft zudem noch zusätzlich knappe 8 | |
Prozent. | |
## Mehr Einfluss übers Internet | |
Ihre größte Wirkung erzielt FFF in Japan aber nicht über Aktionen vor Ort, | |
sondern über die sozialen Medien. Spätestens seit der Coronapandemie, in | |
der Versammlungen sehr ungern gesehen waren, spielten diese eine | |
bedeutende, fast entscheidende Rolle, erklärt die Soziologiestudentin. | |
Meinungen zum Umgang mit der Klimakrise und Forderungen würden auf Twitter | |
oder Instagram geteilt. So gebe es jetzt im Rahmen der Weltklimakonferenz | |
auch eine Fotoaktion der Gruppe. „Einmal hat es geregnet und wir waren nur | |
zu dritt, da haben wir ein Foto gemacht und sind direkt wieder gegangen“, | |
erzählt sie weiter. Die Aktion – so kurz sie auch gewesen sei – auf den | |
sozialen Netzwerken zu verbreiten, bewirke viel mehr. | |
Heute regnet es nicht, die Nacht ist lau. Noch etwa eine Stunde wollen die | |
Aktivist:innen auf dem Bürgersteig vor dem Ministerium stehen. Immer | |
wieder laufen Menschen in Anzügen an ihnen vorbei. Stehen bleibt niemand. | |
„Es hat auch schon mal der ein oder andere gefragt, wofür wir stehen, und | |
sich informiert“, sagt Kurokawa. Heute laufen die meisten lieber, den Blick | |
nach vorn gerichtet, an ihnen vorbei Richtung U-Bahn-Station. Doch an | |
aufgeben ist bei den fünf Aktivist:innen nicht zu denken. Sie harren | |
weiter aus und fordern weiter. Greta hätte es schließlich nicht anders | |
gemacht. | |
Die Recherche für den Artikel wurde gefördert und finanziert von der taz | |
Panter Stiftung | |
29 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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