Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alltag in Russland in Kriegszeiten: Wenn alle Kollegen im Ausland s…
> Hunderttausende Russen haben seit der Teilmobilmachung ihr Land
> verlassen. Deshalb muss unsere Autorin jetzt wieder mehr per Videocall
> arbeiten.
Bild: Stehengeblieben: Atlas in St. Petersburg
Der Dezember ist ein verrückter Monat. Die Arbeit vervielfacht sich
irgendwie, die Deadlines stressen, und der größte Wunsch für die Feiertage
ist: ausschlafen. Dieses Jahr macht da keine Ausnahme: Jobevents,
Kulturveranstaltungen, Promo-Aktionen und wissenschaftliche Konferenzen
gibt es auch in Kriegszeiten. Die hektische Zeit für die Kreativbranche und
Event-Agenturen hat wieder begonnen.
Für mich beginnt gleich ein Arbeitstreffen für ein neues Projekt. Ich sitze
vor dem Monitor in meinem leeren Büro und warte, dass die Kollegen über
Videoschalte dazukommen: der Cutter aus Kasachstan, der Grafiker aus
Georgien und der Drehbuchautor aus der Türkei. Ich mache Witze, dass unsere
kleine Videoproduktionsfirma internationales Niveau erreicht hat. Nur
wenige Tage nach Bekanntgabe der [1][Teilmobilmachung in Russland] hat
unsere Firma lauter kleine Standorte im Ausland bekommen.
Während der Pandemie haben wir alle gelernt, aus der Ferne zu arbeiten.
Aber es war trotzdem eine Erleichterung, als wir in den Offline-Modus
zurückkehren konnten. Keine Videokonferenz kann die direkte Zusammenarbeit
ersetzen, bei der man einfach mit dem Finger auf den Monitor zeigen kann,
um schnell etwas zu erklären.
Jetzt sind eben diese Videokonferenzen wieder integraler Bestandteil
unseres Lebens geworden, und das Büro ist wieder leer. Die Kollegen, die
wegen des Krieges das Land verlassen haben, verdienen ihr Geld immer noch
mit Aufträgen aus Russland. Und ich chatte gleichzeitig mit zehn
verschiedenen Leuten aus verschiedenen Zeitzonen.
„Ist alles klar mit der Aufgabe? Wann kannst du schicken?“
„Um acht“
„Moskauer oder georgische Zeit?“
Einigen Berichten zufolge hat im September 2022 rund [2][eine Million
Menschen Russland verlassen]. Gefühlt ist rund ein Drittel meiner Kollegen
aus Videoproduktionsfirmen, aus der Kino- und Reklamebranche ausgereist.
Einen Kameramann zu finden, ist dadurch ziemlich schwierig geworden. Die
Verbliebenen sind jetzt sehr gefragt. Regisseure, Producer, Tontechniker,
Beleuchter, Videotechniker, Texter – längst nicht mit allen kann man remote
arbeiten. Ein großer Teil der Spezialisten muss direkt am Produktionsort
sein. Darum erhöhen die, die noch da sind, ihre Honorarsätze, obwohl sie
nicht immer auf hohem Niveau arbeiten.
Ich beende die Videoschalte. Im Büro ist es so still, dass ich den
Schneesturm vor dem Fenster hören kann. Ich vermisse die anderen. In der
Teeküche quatschen, freitags Pizza bestellen und die letzten Trailer
besprechen klappt per Videocall nicht so wirklich gut. Ich schreibe eine
Nachricht nach Kasachstan:
„Was meinst Du – kommst Du irgendwann zurück?“
„Ich komme zurück. Ich bin zu schnell weggefahren, um nicht
wiederzukommen.“
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey]
Finanziert von der [4][taz Panter Stiftung].
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [5][edition.fotoTAPETA]
im September herausgebracht
30 Dec 2022
## LINKS
[1] /Teilmobilmachung-in-Russland/!5879729
[2] /Russen-fliehen-nach-Georgien/!5883416
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[4] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Olga Lizunkova
## TAGS
Kolumne Krieg und Frieden
Russland
Braindrain
Mobilmachung
Emigration
Kolumne Krieg und Frieden
Filmbranche
Georgien
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Osteuropa – ein Gedankenaustausch
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Einreiseverbot in Georgien: Franz Kafka lässt grüßen
Unser russischer Autor lebt im Exil in Georgien. Als er von einer
Dienstreise zurückkam, durfte er ohne Angabe von Gründen nicht mehr ins
Land.
Filmindustrie in Russland: Tscheburaschka rettet das Kino
Ein Held des sowjetischen Trickfilms kommt zurück auf die Leinwand.
„Tscheburaschka“ wird zum Kassenschlager.
Gesetz in Georgien: Demokratie unter Druck
Unter der Führung der Regierungspartei Georgischer Traum driftet Georgien
in Richtung Russland. Nun droht gar ein Gesetz gegen ausländische Agenten.
Asyl für russische Kriegsverweigerer: „Die Leute werden total hängen gelass…
Sie sind gegen den Krieg – und kommen aus Russland. Über den komplizierten
Weg für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, Asyl zu bekommen.
Russische Staatspropaganda: Putins schöne weite Welt
Das Konzept der „Russischen Welt“ ist nicht klar definiert. Jetzt kämpft
Russland unter diesem Banner in der Ukraine auch gegen Satanismus.
Moskau und der Krieg in der Ukraine: Furchtbare neue Welt
Russlands Sommer der Verdrängung ist einem Herbst der Sorgen gewichen. Der
Krieg ist in jedes Wohnzimmer eingezogen. Die meisten Menschen nehmen es
hin.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.