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# taz.de -- Internationaler Gipfel zu Biodiversität: Der Elefant im UN-Konfere…
> Weltweit sind rund eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Ein
> Abkommen soll Biodiversität schützen. Die wichtigsten Fragen und
> Antworten.
Bild: Die Zahl der afrikanischen Waldelefanten sank in etwa 30 Jahren um 90 Pro…
Der Klimagipfel von [1][Scharm al-Scheich] ist gerade erst vorbei – und
schon kommt der nächste UN-Gipfel zur Biodiversität in Montreal. Wieso ist
er wichtig?
Im besten Falle beschließen die 196 Mitgliedstaaten der Konvention zur
Biologischen Vielfalt im Dezember konkrete Ziele, Maßnahmen und
Finanzmittel, mit denen die Biodiversität in den nächsten zehn Jahren
effektiv geschützt wird. Das ist dringend nötig: Derzeit sind nach
Schätzungen weltweit rund eine Million Arten direkt vom Aussterben bedroht
– 25 Prozent aller Säugetiere, 13 Prozent der Vögel und 42 Prozent der
Amphibien.
Es geht um den Schutz von Bienen, Elefanten, Orchideen. Wieso heißt es
„Biodiversitäts-Konvention“ und nicht „Artenschutzkonferenz“?
Weil es um mehr geht als um den Schutz bestimmter Arten. Der Verlust der
Biodiversität ist der Zwilling des Klimawandels, die beiden planetaren
Krisen gehören zusammen. Wissenschaftler:innen und
Journalist:innen diskutieren inzwischen, ob sie bei Berichten über den
Verlust der Biodiversität Fehler gemacht haben. Häufig ging es dabei um
einzelne, auffällige Arten. Doch so wünschenswert das Überleben von
Nashörnern oder Feldlerchen ist: Die Komplexität und Dringlichkeit des
Themas wird anhand von Einzelfällen nicht deutlich. „Wir können in unserem
Fachgebiet keine charismatischen Arten bieten“, sagt etwa die Mikrobiologin
Kirsten Küsel von der Universität Jena, die über Mikroorganismen in
Gewässern und Böden forscht, „wir können sie nicht einmal ohne Mikroskop
sehen und brauchen molekulare Methoden, um sie zu bestimmen und zu
quantifizieren. Noch schwieriger ist es herauszufinden, wie die
verschiedenen Organismen – Pflanzen, Bakterien, Pilze, Tiere – zusammen
leben und wirken“, sagt Küsel. Darum drängen Ökologen darauf, Ökosysteme
als Ganzes zu schützen. Biodiversität bedeutet die Vielfalt der Arten, die
genetische Vielfalt innerhalb einer Art und der Ökosysteme. In allen drei
Dimensionen ist sie bedroht – und damit unsere Lebensgrundlage. „Vielfalt
ist das wichtigste Überlebensprinzip der Natur“, schreibt das Bundesamt für
Naturschutz. Das Netzwerk der Natur sichert fruchtbare Böden, sauberes
Wasser, ein stabiles Klima.
Worüber wird auf der 15. Conference of the Parties – COP15 – konkret
verhandelt?
Die [2][Themenvielfalt] ist fast unüberschaubar. Wichtig ist das Ziel, bis
2030 insgesamt 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz zu
stellen. Ohne strenge, gut geschützte Naturschutzgebiete kann sich die
Natur nicht erholen, da sind sich die Experten einig. Dabei kommt es auf
die Formulierungen im Vertragstext an: „Wenn in diesen 30 Prozent eine
‚nachhaltige Nutzung‘ möglich ist, wäre Greenwashing Tür und Tor geöffn…
sagt Martin Kaiser von Greenpeace. Lediglich lokale Gemeinschaften dürften
dort leben und wirtschaften, industrielle Nutzungen – wie Forstwirtschaft
oder Fischerei – müssten verboten werden. Was noch wichtig ist: „Die
Menschenrechte müssen sich in dem Abkommen von Montreal widerspiegeln“,
sagt Kaiser, „die indigenen Bevölkerungen müssen in die Planung der
Schutzgebiete einbezogen werden.“
Wie ließen sich die Ziele umsetzen?
Die Weltgemeinschaft hatte sich schon mal weitreichende Ziele gesetzt. Weil
sie aber weder festhielt, wie sie umgesetzt werden, noch wie Fortschritte
gemessen werden sollten, blieben sie Papiertiger. Jetzt kommt es darauf an,
dass die Mitgliedstaaten auch „Mechanismen zur Umsetzung beschließen, ein
Monitoring sowie eine ausreichende Finanzausstattung“, sagt Axel Paulsch,
der das „Institut für Biodiversität“ leitet, ein Forschungsnetzwerk zur
Biologischen Vielfalt. Die Schätzungen darüber, wie viel Geld nötig ist,
gehen weit auseinander und schwanken zwischen jährlich 60 Milliarden und
200 Milliarden Euro weltweit. Deutschland ist im September vorgeprescht: In
New York hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, Deutschland
werde ab 2025 mehr Geld für den globalen Schutz der Biodiversität ausgeben,
nämlich 1,5 Milliarden Euro jährlich. Umweltverbände wie [3][Nabu] und
[4][WWF] halten 8 Milliarden Euro jährlich für angemessen.
Ist das Ziel „30 Prozent Schutzgebiete bis 2030“ so etwas wie das
1,5-Grad-Ziel in den Klimaverhandlungen?
Nicht wirklich. Ökolog:innen und Artenschützer wollten ein ähnlich
plakatives Ziel, um das Thema begreifbar zu machen. Aber für einen
effektiven Schutz der Biodiversität reichen Schutzgebiete nicht. „Wir
müssen den ökologischen Fußabdruck adressieren“, sagt Christoph Heinrich
vom WWF, „außerhalb der strengen Schutzgebiete müssen wir nachhaltig
wirtschaften.“ Etwa bedrohe der hohe Fleischkonsum und der Verbrauch von
Metallen, Baurohstoffen oder Öl die Biodiversität. Die Regierungen müssten
den Unternehmen konkrete Vorschriften und Berichtspflichten auferlegen,
schädliche Subventionen abbauen und entsprechende Investitionen ächten,
sagt Heinrich.
Wieso schauen auch die Biotechnologiebranche und Wissenschaftler gespannt
nach Montreal?
Weil es um Biodiversität als Ressource geht. Genau genommen darum, wer
künftig – zu welchen Bedingungen – die Millionen von Informationen über d…
Erbgut von Pflanzen, Bakterien, Pilzen oder Tieren nutzen darf, die
weltweit in digitalen Datenbanken gespeichert sind. Die sogenannten
Digitalen Sequenzinformationen (DSI) sind ein begehrter Forschungsrohstoff
für Wissenschaftler und Unternehmen. Sie nutzen sie, um etwa gegen Viren
resistente Pflanzen zu züchten oder Impfstoffe herzustellen. Bislang
sollten Regelungen, die im sogenannten Nagoya-Protokoll festgehalten sind,
dafür sorgen, dass die Länder, aus denen ein Organismus ursprünglich
stammt, an Gewinnen an ihm beteiligt werden; wenn daraus etwa ein
Lebensmittel entwickelt wird. Doch dieser „Vorteilsausgleich“ im
Nagoya-Protokoll hat schon bislang nicht funktioniert – und regelt nicht
den Umgang mit öffentlich verfügbaren digitalen Sequenzinformation. Die
„DSI“ sind eine Grauzone der Regulierung. Die Konfliktlinien in den
Verhandlungen sind wie folgt: Einige Länder wollen, dass Wissenschaftler
und Unternehmen künftig freien Zugang zu allen Datenbanken erhalten – etwa
Japan. Eine Gruppe lateinamerikanischer Länder hingegen würde den Zugang zu
ihren Sequenzdaten am liebsten selbst regeln und möglichst hohe
Beteiligungen heraushandeln. Es deutet sich an, dass die EU und Afrika eine
Mittelrolle einnehmen könnten. Sie setzen auf ein möglichst einfaches,
globales System, in dem Zahlungen nicht an den Zugang zu DSI gekoppelt ist.
Wissenschaftler:innen sollen weiter kostenlos auf die Datenbanken
zugreifen können, solange sie ihre eigenen Forschungsergebnisse kostenlos
zur Verfügung stellen. Auf den Vorverhandlungen haben sich die
Vertragsstaaten kaum angenähert. „Ich fürchte, das Thema ist zur
Verhandlungsmasse geworden“, sagt Amber Hartman-Scholz vom Leibniz Institut
Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig,
„wir werden wohl erst am Ende der Verhandlungen sehen, ob Forschung mit DSI
für Wissenschaftler offen bleibt.“
Die Vertragsstaaten verhandeln schon seit über zwei Jahren über das
Abkommen, weil die COP wegen Corona immer wieder verschoben wurde. Ist der
Vertragstext schon so gut wie fertig?
Nein, im Gegenteil. Schon seit dem Wochenende sitzen die Fachleute der
Delegationen zusammen, um noch vor Verhandlungsbeginn wenigstens einige der
Hunderten von Klammern zu beseitigen, die noch im Text stehen. Das liest
sich so: Ziel A, Option 1: „Die Integrität, Vernetzung und
Widerstandsfähigkeit [aller] [empfindlicher und bedrohter natürlicher]
Ökosysteme soll erhalten, wiederhergestellt oder verbessert werden …“
Variante folgt Variante. Es ist gut möglich, dass die wichtigsten Punkte
auch nach Montreal weiter verhandelt werden – vor allem, weil sich das
Engagement der chinesischen Präsidentschaft bislang in Grenzen hält. Nicht
mal die Regierungschefs hat sie eingeladen – nur Fachminister werden
verhandeln.
7 Dec 2022
## LINKS
[1] /COP27-in-Scharm-al-Scheich/!5891303
[2] /Artenschutzkonferenz-Cites-in-Panama/!5893218
[3] https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/naturschutz/weltweit/globale-biodi…
[4] https://www.wwf.at/weltnaturkonferenz-wwf-fordert-ambitioniertes-abkommen-u…
## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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