# taz.de -- Der Hausbesuch: Aktivist mit 30-Stunden-Woche | |
> Die Bewohner:innen des Klimacamps auf dem Freiburger Rathausplatz | |
> protestieren gegen Braunkohle und vieles mehr. Lucas Zander ist einer von | |
> ihnen. | |
Bild: Lucas Zander hat auch seine Eltern schon zu Umweltaktivist:innen gemacht | |
Er will Arzt werden, aber derzeit lernt er vor allem, wie wichtig ziviler | |
Ungehorsam ist. Für eine bessere Klimapolitik ist Lucas Zander permanent im | |
Einsatz. | |
Draußen: Der Tag im Klimacamp Freiburg beginnt routiniert. Vor den drei | |
großen Campingzelten hat jemand mit einem Alu-Solarkocher Kaffee aufgesetzt | |
und so Aktivist:innen aus dem Schlafzelt gelockt. Am Infotisch auf dem | |
Rathausplatz neben den Zelten sitzen ein paar Leute. Zwischen Fußgängerzone | |
und eingepflasterten Bäumen steht eine Schautafel. Plakate liefern Details | |
über den Ausbau der Autobahn A 5, über die Abholzung des Dietenbachwaldes | |
in Freiburg und über [1][das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath], das | |
die Braunkohlebagger von RWE gerade bedrohen – „ein Symbol für die | |
gescheiterte Klimapolitik“, wie auf einem Pappschild steht. | |
Drinnen: Ein Blick ins Materialzelt enthüllt geordnetes Chaos. Wer sich | |
nicht auskennt, findet nichts und manchmal auch nichts wieder. Boxen und | |
Regale sind mit Schildern aus Pappe beschriftet. Benutztes Geschirr lagert | |
in einer Kiste; Technik und Aktionsmaterial stapeln sich in weiteren. Ein | |
Schild hängt an einem Zeltpfosten: „Regeln“ steht darauf. Nebenan befindet | |
sich das Schlafzelt. Dort verbringt Lucas Zander häufig die Nacht – auch | |
jetzt, in der kälteren Jahreszeit. Dann bettet er sich im Schlafsack auf | |
eine der zwei großen Matratzen, die bespannt sind mit abwischbaren Laken. | |
„Einmal in der Woche werden die ausgewechselt. Wegen Krätzegefahr“, sagt | |
Zander. Mit Krankheiten kennt er sich aus. | |
Prioritäten: Denn eigentlich studiert Zander im dritten Semester Medizin. | |
Doch derzeit hat der Klimaaktivismus Vorrang – bis zu 6 Stunden pro Tag. | |
Eine 30-Stunden-Woche, unbezahlt. „Klar, dass man da nicht jede Nacht | |
feiern gehen kann.“ Noch kann Zander Studium, Sozialleben und Aktivismus | |
miteinander vereinbaren. „Viele meiner Freund:innen machen Aktivismus.“ | |
Hin und wieder sorgen sich seine Eltern trotzdem um Schlaf und Studium des | |
Sohnes. „Die befürchten, dass ich mich im Aktivismus verliere“, sagt | |
Zander. So wie im letzten Semester. „Aber irgendwie hat dann am Ende alles | |
hingehauen.“ | |
Aufgaben: Zander vernetzt sich mit Aktivist:innen anderer Klimacamps, | |
schreibt Pressemitteilungen, bietet Passant:innen eine klimapolitische | |
Sicht auf lokale Bauvorhaben an, beteiligt sich an lokalen Protestaktionen | |
wie die gegen den Abriss des Ortes Lützerath. Ehrenamtlich mal eben schnell | |
die Welt retten ist anstrengend, besonders wenn die Mobilisierung für | |
Großaktionen ansteht. Dann muss auch die An- und Abfahrt für viele | |
Menschen koordiniert werden. | |
Forderungen: Lucas Zander und seine Mitstreiter:innen fordern unter | |
anderem den Ausbau von lokalen Solaranlagen und überregionaler Windkraft, | |
eine Neuordnung der EU-Agrarsubventionen und ein Verbot von | |
Kurzstreckenflügen. Ihr Anspruch: Sie sind gekommen, um zu bleiben – bis | |
2035. Nach den Vorstellungen politischer Utopist:innen ist Deutschland | |
bis dahin klimaneutral. Nach Zanders Einschätzung wird das ohne immense | |
Kraftanstrengungen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht | |
gelingen. | |
Familie: Der Sohn wird wie die Eltern Mediziner. Umgekehrt hat der | |
Klimawandel das heimische Wohnzimmer erreicht. Telefonate und persönliche | |
Gespräche kreisen, neben der Frage nach Zanders durchschnittlichem | |
Schlafpensum, um Umweltschutz, Emissionen, geplante oder vergangene | |
Aktionen und die damit einhergehenden Risiken. „Am Anfang waren meine | |
Eltern nicht begeistert.“ Da der Sohn aber nicht aufhört, dem Klima Vorrang | |
einzuräumen, räumen die Eltern schließlich dem Klima einen Platz auf ihrer | |
Prioritätenliste frei. Nun engagieren auch sie sich ehrenamtlich in | |
politischen Gruppen. „Die haben angefangen, sich voll zu politisieren“, | |
sagt Zander. Darauf ist er ein bisschen stolz. | |
Braunkohle: Zander ist in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, in Bonn. Von | |
dort ist der rheinische Braunkohletagebau Garzweiler nur eine Stunde | |
Fahrtzeit entfernt: „Meine Eltern wohnen quasi direkt daneben.“ Der Abriss | |
und die Einebnung ganzer Dörfer erhitzte und erhitzt Gemüter, zerstörte | |
Natur und Orte, die Menschen ihr Zuhause nennen. Es kam und kommt zu | |
Protesten. Als die aktuellen Aktionen begannen, war Zander noch nicht | |
dabei. „Ich habe die Diskussionen mitbekommen, aber war mir der | |
Dringlichkeit noch nicht bewusst“, sagt er. Erst als er schon in Freiburg | |
lebte, stand er einmal an der Tagebaugrube. Da kam bei ihm das Unbehagen | |
auf. „Die Gruben haben sich bis zum Horizont erstreckt.“ | |
Protestwerkzeuge: Zander entdeckt in Freiburg die Bandbreite des | |
aktivistischen Werkzeugkastens – Plena, Konsens, Stimmungsbilder. Bezugs- | |
und Arbeitsgruppen kommen dazu. Er lernt ein neues aktivistisches Vokabular | |
und neue Formen des Protests. Mit der Ortsgruppe Students for Future | |
organisiert er eine Fahrraddemo, die teils über die Autobahn A 5 laufen | |
soll, aber von der Stadt Freiburg nicht genehmigt wird. Bei der Besetzung | |
eines Hörsaals ist er eine der treibenden Kräfte, fordert von der | |
Universitätsleitung die Ausrufung des sozialökologischen Notstands. „Das | |
war eine intensive Woche.“ Dazu falle immer noch die Nachbereitung der | |
geführten Gespräche an. Wenn alles nicht helfe, sei ziviler Ungehorsam für | |
ihn ein Weg, Ziele zu erreichen, sagt Zander. Dazu gehöre auch, dass manche | |
sich weigern, [2][ihre Identität preiszugeben]. | |
Repressionen: Es sei „vollkommen fair, wenn Leute das mit der | |
Identitätsverweigerung machen“, sagt Zander. Er spielt auf die Frau an, die | |
bei den Protesten im Braunkohletagebau in der Lausitz dabei war und | |
kürzlich zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Das Gericht weiß | |
nicht, wie sie heißt. Er selbst macht das aber nicht, sondern will „immer | |
mit vollem Namen und die Repressionen annehmend hinter den Sachen stehen“. | |
Einmal hat Zander aufgrund einer Sitzblockade Sozialstunden kassiert. „Beim | |
Essenstreff, einer Art Tafel.“ Die Stunden hat er noch nicht abgeleistet, | |
aber das steht bald an. Gewaltfreier ziviler Ungehorsam gilt in Deutschland | |
als eine Form politischer Meinungs- und Willensbildung. „Das ist ein | |
Privileg“, sagt Zander. Insbesondere, da meist keine Lebensgefahr bestehe. | |
Maximal „sitzt man 24 Stunden in einer Zelle mit Fußbodenheizung“. Und er | |
sei ein Mann – ein weißer Mann. Da passiere dann auch vonseiten der Polizei | |
weniger. | |
Gegenspieler: Besagte Polizei kontrolliert mehrmals täglich die Anwesenheit | |
der Aktivist:innen. Denn sobald weniger als zwei Personen das Camp | |
betreuen, kann die Versammlung aufgelöst werden. Das gilt auch für die | |
Nacht. Mittlerweile ist es mitunter mit der Besetzung der Schichten eng, | |
hat aber immer funktioniert. „Die Polizei hat uns sehr auf dem Kieker“, | |
sagt Zander. Auch im Gemeinderat sitzen Gegenspieler. „Die AfD und die | |
Freien Wähler schreiben böse Briefe an den Oberbürgermeister und wollen uns | |
loswerden“, sagt Zander. | |
Lokalpolitik: Freiburg nenne sich zwar „Green City“, sei aber | |
klimapolitisch verschlafen, sagt Zander. Und die Freiburger Stadtpolitik | |
scheint mit dem lokalen Klimaaktivismus noch ein wenig zu fremdeln – auch | |
[3][der parteilose Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn]. „Der fährt | |
jeden Morgen mit dem Fahrrad am Rathausplatz vorbei“, sagt Zander. Bei | |
einer Bürger:innenversammlung gab es im vergangenen Herbst erste | |
Annäherungen. Nach der Veranstaltung haben Zander und eine weitere | |
Aktivistin mit dem OB gesprochen und ein Gespräch für diesen Monat | |
vereinbart. Zander wünscht sich, „dass die Politik uns nicht ignoriert“ – | |
das Gespräch auf kommunaler Ebene könnte ein Einstieg sein. Vielleicht | |
klappt es dieses Mal mit der Forderung an die Stadt Freiburg, den | |
sozial-ökologischen Notstand auszurufen. | |
Politisierung: Zanders aktivistischer Anfang liegt zwei Jahre zurück. | |
Damals ist er 18, noch Schüler und mit Freund:innen auf seiner ersten | |
Fridays-for-Future-Demonstration. „So richtiger Klimaaktivismus war das | |
noch nicht. Wir sind da einfach mitgelaufen.“ Sein Bewusstsein für „das | |
Ganze“ sei erst später entstanden, sagt er und meint den Klimanotstand, | |
[4][das Artensterben] und das drohende Verfehlen des Ziels, die | |
Erderhitzung bis 2035 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. „Wenn wir das bis | |
dahin nicht geschafft haben, ist es zu spät“, sagt Zander. „An den Folgen | |
des Klimawandels hängen ja nicht nur Waldbrände oder die Versauerung der | |
Meere, sondern Flucht, Hunger, Wassermangel im Globalen Süden.“ | |
Koordination: Plötzlich hält Zander inne; sein Smartphone klingelt. „Darf | |
ich kurz rangehen?“, fragt er. Es geht um Lautsprecher, Technik, Anschlüsse | |
und Strom. „Ich schicke dir kurz die Nummer von dem, der Strom hat“, sagt | |
Zander ins Telefon. Er legt auf. „Das ist eine andere Aktion heute Mittag | |
vor der Mensa der Uni. Für eine autofreie Zone.“ Nachher wird er dort | |
vorbeischauen. Aber nur kurz, dann muss er zu einer Vorlesung. Er studiert | |
ja noch, so nebenbei. | |
15 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Frederike Grund | |
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