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# taz.de -- DFB-Niederlage gegen Japan: Nur Moralweltmeister
> Erneut vergurken die Deutschen das WM-Auftaktspiel, diesmal mit 1:2 gegen
> Japan. Hat das DFB-Team ob seines aktivistischen Eifers den Fokus
> verloren?
Bild: Horrorszenario zum Auftakt: Rüdiger stürzt, Takefusa Kubo stürmt
Doha taz | Antonio Rüdiger ist ein furchtloser Mann. Nach dem Abpfiff blieb
er dort wie angewurzelt stehen, wo die Japaner eine Jubeltraube bildeten.
Er schaute sich das fröhliche Treiben aus nächster Nähe an. Die kleinen
Männer in den blauen Trikots hopsten und lachten. Rüdiger blickte sie stumm
und kühl an. Dann klatschte ihn ein Japaner ab und er erwachte aus seinem
kurzzeitigen Stupor. Die anderen Deutschen standen ratlos auf dem Platz
herum, als sei ein Dschinn durchs Khalifa-Stadion gewirbelt, der ihnen das
Verständnis für das geraubt hat, was da gerade passiert war: 1:2 zum
WM-Auftakt gegen Japan. Echt? Ja, echt.
Wie schon bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland [1][vergurkten die
Deutschen das erste Spiel], damals mit einem 0:1 gegen Mexiko. Und wie es
dann weiterging, ist allgemein bekannt: Aus in der Vorrunde, nur Platz vier
in der Gruppe F. Antonio Rüdiger erklärte am Mittwochabend leider nicht,
was ihn bewegte, wie er diesen Schock auf die Schnelle verdaut hat. Er ging
wortlos an den Journalisten vorbei, was vielleicht keine schlechte Idee
war, denn er war als Innenverteidiger Teil des deutschen Abwehrblocks, der
von den Offensivkräften im Team mit Worten, durchschlagend wie ein
Presslufthammer, bearbeitet wurde. „Ich weiß nicht, ob jemals bei einer WM
ein einfacheres Tor erzielt wurde“, kommentierte İlkay Gündoğan den
Siegtreffer der Japaner durch Takuma Asano.
Der Angreifer des VfL Bochum nahm einen langen Pass, eigentlich eine
Bogenlampe, hinter der Viererkette auf, stand nicht im Abseits, das Niklas
Süle in der Mitte aufhob, und Nico Schlotterbeck gab Asano brav
Geleitschutz, bis der die Sensation mit einem satten Schuss in den Winkel
vollbracht hatte. „Vom Ergebnis her ist das ein Horrorszenario“, sagte
Thomas Müller, der wie alle Spieler auf die vielen vergebenen Chancen
hinwies. Und so unrecht hatte er ja auch nicht. Noch nie hat eine
Mannschaft mit einem Expected-Goal-Wert von 3,27 (Japan: 1,42) ein WM-Spiel
verloren; und nur einmal in der WM-Geschichte hat eine Mannschaft mit
weniger als 26,2 Prozent Ballbesitz ein Spiel gewonnen: Südkorea gegen das
DFB-Team bei besagter Russland-WM; da hatten die Asiaten 26,0 Prozent
Ballbesitz. Conclusio: Die Deutschen wackeln bei Kontern, sind schlecht im
Umkehrspiel, gestern wie heute.
Keeper Manuel Neuer sagte: „In der ersten Halbzeit hatte jeder Pass eine
Message, und es ist unverständlich für mich, warum wir nicht so
weitergemacht haben.“ Ein paar Spieler hätten sich, nachdem sie durch das
aggressivere Pressing der Japaner in Halbzeit zwei verunsichert worden
seien, regelrecht versteckt: „Das sind Basics, die man von Spielern, die
für Deutschland antreten, einfach erwarten muss.“
## „Reife fehlt – oder Qualität“
Namen wollte er keine nennen, aber es war klar, wen er meinte: vor allem
Schlotterbeck und Süle, Letzterer war von Bundestrainer Hansi Flick auf den
Posten des rechten Außenverteidigers gestellt worden und gab auch beim
ersten Tor keine gute Figur ab. „Die Art und Weise, wie wir die Tore
hergeschenkt haben, war viel zu einfach“, moserte Joshua Kimmich, „ich weiß
nicht, ob die Reife fehlt – oder die Qualität.“ Wenn man so hoch in der
Abwehr stehe, also nahe der Mittellinie verteidigt, „dann muss man gut
abgestimmt sein“.
Dieses Spiel hatte in mehrfacher Hinsicht einen bemerkenswerten Verlauf
genommen. Teilweise war es im Stadion so leise, dass man sich flüsternd mit
dem Nachbarn unterhalten und das Rauschen der vielen Klimaanlagen hören
konnte. Ein echter deutscher Fanblock war nicht vorhanden, und hätte nicht
ein japanischer Trupp bisweilen getrommelt und gesungen, die Partie wäre
als Geisterspiel in die WM-Annalen eingegangen. Das wird es wohl auch in
sportpolitischer Hinsicht, denn das DFB-Team machte da weiter, wo es die
letzten Tage aufgehört hatte: mit einer Politisierung des Ballspiels.
## Ab jetzt geht es um Erfolge
Da [2][die Fifa die One-Love-Binde verboten hatte], hielten sich die
Spieler beim Mannschaftsfoto [3][vor dem Spiel den Mund zu]. „Wir wollen
uns von der Fifa nicht den Mund verbieten lassen“, sagte Leon Goretzka. Das
Team wurde auf den Rängen von Innenministerin Nancy Faeser (SPD)
unterstützt, die ebenjene Binde am linken Arm trug. Der neben ihr sitzende
Fifa-Präsident Gianni Infantino schien diese Geste freilich nicht als
Affront zu begreifen, er scherzte mit der Politikerin nach Fifa-Gusto.
So fragten sich einige Beobachter im Rund, ob das DFB-Team ob seines
politischen Aktivismus nicht den wahren Fokus aus den Augen verloren habe:
Spiele gewinnen, konzentriert und unwiderstehlich auftreten, den Kopf frei
haben. Die Trainer anderer Mannschaften hatten kurz vorm WM-Anpfiff einen
klaren Schlussstrich gezogen, Louis van Gaal oder Gareth Southgate etwa,
die das Engagement ihrer Mannschaften für Menschenrechte hervorhoben, aber
eben auch betonten: Ab jetzt geht es um Fußball, um Erfolg, um Siege.
Sie würden keine Fragen zu diesen Themen mehr beantworten, und das hätten
sie ihren Teams auch klargemacht. Rächt sich diese Unentschiedenheit von
Trainer Hansi Flick nun, der sich dem Druck der Medien und [4][seines
eigenen Fußballpräsidenten, Bernd Neuendorf], beugte? In den sozialen
Netzwerken wird über den Moralweltmeister Deutschland hergezogen; sie
könnten belehren, aber nicht ballern. Sie seien super im Zeichensetzen,
aber keineswegs kühl vorm Kasten.
Das DFB-Team hat diesen Spott durchaus provoziert, denn wer sich aus dem
Fenster lehnt, sollte so stabil sein, nicht aus selbigem zu fallen. Und
nun? Müssen zwei Siege gegen Spanien am Sonntag und danach gegen Costa Rica
her. „Es ist so, dass ich ganz großen Wert darauf lege, dass die Mannschaft
die richtigen Schlüsse zieht und die Verantwortung übernimmt“, sagte Hansi
Flick. Auf dem Platz, hätte er anfügen können. Denn da liegt im Fußball
bekanntlich die Wahrheit.
24 Nov 2022
## LINKS
[1] /Gruppe-F-Deutschland--Mexiko/!5513664
[2] /Streit-um-Kapitaensbinde-bei-WM/!5894105
[3] /Deutsche-WM-Niederlage-gegen-Japan/!5894125
[4] /Refoermchen-im-DFB/!5859481
## AUTOREN
Markus Völker
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